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Die Grenzboten. Jg. 11, 1852, II. Semester. IV. Band.

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Letzte von den vielen Personen, welche in dem Romane das Interesse der Leser
für sich gefordert haben.

Bei einem solchen Inhalt ist Einheit und innerer Zusammenhang der Hand¬
lung nicht zu erwarten. Der Held wird erst am Ende des ersten Bandes gebo¬
ren. Im vierten Bande ist über das Schicksal aller Personen, welche bis dahin
ihre Rolle gespielt haben, entschieden; von da ab tummelt sich eine neue
Generation durch die Blätter des Romans, und diese neuen Figuren, nicht
immer glücklich gezeichnet und weniger ausgeführt, vermögen nicht mehr unser
Interesse in Anspruch zu nehmen. Deshalb halten wir den ganzen letzten Theil und
was ihn vorbereitet für unnütz, ja schädlich. Und wieder in den ersten Theilen
ist die Darstellung sehr ausführlich und behaglich, zuweilen breit, und mit lebhaf¬
tem Bedauern sieht man hier einen Inhalt, welcher mehr zusammengezogen das
höchste Interesse mit Recht gefordert hätte, zu weit gedehnt und dadurch in seiner
Wirkung geschwächt.

Mit der Tendenz des Romans wollen wir nicht rechten. Wer den Dichter
selbst lieb hat -- und er zählt in Deutschland sehr viele Freunde und Bekannte
-- der wird mit einer gewissen Wehmuth empfinden, daß die Grundstimmung
des ganzen Romans die einer schwärmenden Resignation ist. Das Leben ist
nur eine Vorbereitung zum Tode, die Freuden der Welt sind nichtig; fromme,
christliche, demüthige Entsagung gewährt noch den besten Trost. An den Altären
der katholischen Kirche ist für ein kindliches Gemüth dieser Trost zu finden. Eine
solche Weltanschauung bei dem Manne, der auf allen deutschen Bühnen die größten
Erfolge errungen hat, der "Drei und dreißig Minuten in Grünberg" und "Die
Wiener in Berlin" geschrieben, der in Goethe's Hanse heimisch war und für Bv-
ranger geschwärmt hat, ist doch wol merkwürdig, freilich anch begreiflich. Die
Kritik aber hat kein Recht, darüber abfällig zu urtheilen, denn diese Anschauung
des Lebens, wie zweifelhaft auch ihre Berechtigung sei, erscheint in dem Romane
nie herb, unschön, unwürdig. Ueberall wird Seelenreinheit, Toleranz gegen
Andersgläubige und werkthätige Liebe zu allen Menschen als das Höchste hinge¬
stellt, gegen welches aller confessionelle Hader, aller egoistische Ehrgeiz, alle
Standesvorurtheile werthlos siud. '

Wenn aber in dem Romane Manches befremdet oder ärgert, so ist auch Vieles
darin, tels vortrefflich genannt werden muß. Denn abgesehen von zu großer Breite in
der Ausführung und zu häufiger Variation desselben Thema's sind die Hauptcharaktere
vortrefflich gezeichnet. Der ehrliche Pedant Ratel mit seiner Liebe zu den alten schlesi-
schen Dichtern, der märkische Husar mit seinen witzigen Sieden und seinem biedern Ge¬
müth, und die holde, treue Mutter des Helden stellen sich oft so schön und imponirend
vor den Leser hin, daß man vor dem großen Talent des Darstellers die höchste
Achtung bekommt. In der Fülle von guter Laune, mit welcher namentlich der
Husar gezeichnet ist, können nur Wenige in Deutschland mit Holtet in Concurrenz


Letzte von den vielen Personen, welche in dem Romane das Interesse der Leser
für sich gefordert haben.

Bei einem solchen Inhalt ist Einheit und innerer Zusammenhang der Hand¬
lung nicht zu erwarten. Der Held wird erst am Ende des ersten Bandes gebo¬
ren. Im vierten Bande ist über das Schicksal aller Personen, welche bis dahin
ihre Rolle gespielt haben, entschieden; von da ab tummelt sich eine neue
Generation durch die Blätter des Romans, und diese neuen Figuren, nicht
immer glücklich gezeichnet und weniger ausgeführt, vermögen nicht mehr unser
Interesse in Anspruch zu nehmen. Deshalb halten wir den ganzen letzten Theil und
was ihn vorbereitet für unnütz, ja schädlich. Und wieder in den ersten Theilen
ist die Darstellung sehr ausführlich und behaglich, zuweilen breit, und mit lebhaf¬
tem Bedauern sieht man hier einen Inhalt, welcher mehr zusammengezogen das
höchste Interesse mit Recht gefordert hätte, zu weit gedehnt und dadurch in seiner
Wirkung geschwächt.

Mit der Tendenz des Romans wollen wir nicht rechten. Wer den Dichter
selbst lieb hat — und er zählt in Deutschland sehr viele Freunde und Bekannte
— der wird mit einer gewissen Wehmuth empfinden, daß die Grundstimmung
des ganzen Romans die einer schwärmenden Resignation ist. Das Leben ist
nur eine Vorbereitung zum Tode, die Freuden der Welt sind nichtig; fromme,
christliche, demüthige Entsagung gewährt noch den besten Trost. An den Altären
der katholischen Kirche ist für ein kindliches Gemüth dieser Trost zu finden. Eine
solche Weltanschauung bei dem Manne, der auf allen deutschen Bühnen die größten
Erfolge errungen hat, der „Drei und dreißig Minuten in Grünberg" und „Die
Wiener in Berlin" geschrieben, der in Goethe's Hanse heimisch war und für Bv-
ranger geschwärmt hat, ist doch wol merkwürdig, freilich anch begreiflich. Die
Kritik aber hat kein Recht, darüber abfällig zu urtheilen, denn diese Anschauung
des Lebens, wie zweifelhaft auch ihre Berechtigung sei, erscheint in dem Romane
nie herb, unschön, unwürdig. Ueberall wird Seelenreinheit, Toleranz gegen
Andersgläubige und werkthätige Liebe zu allen Menschen als das Höchste hinge¬
stellt, gegen welches aller confessionelle Hader, aller egoistische Ehrgeiz, alle
Standesvorurtheile werthlos siud. '

Wenn aber in dem Romane Manches befremdet oder ärgert, so ist auch Vieles
darin, tels vortrefflich genannt werden muß. Denn abgesehen von zu großer Breite in
der Ausführung und zu häufiger Variation desselben Thema's sind die Hauptcharaktere
vortrefflich gezeichnet. Der ehrliche Pedant Ratel mit seiner Liebe zu den alten schlesi-
schen Dichtern, der märkische Husar mit seinen witzigen Sieden und seinem biedern Ge¬
müth, und die holde, treue Mutter des Helden stellen sich oft so schön und imponirend
vor den Leser hin, daß man vor dem großen Talent des Darstellers die höchste
Achtung bekommt. In der Fülle von guter Laune, mit welcher namentlich der
Husar gezeichnet ist, können nur Wenige in Deutschland mit Holtet in Concurrenz


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 11, 1852, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341573_94982/438>, abgerufen am 16.05.2024.