Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 12, 1853, I. Semester. I. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

gegen in den letzten Jahren beinahe gänzlich eingeschlafen, wie denn überhaupt
dem literarischen Interesse ein socialer Mittel- und Sammelpunkt gänzlich fehlt.
Ungehört verhallen die oft erneuter Anregungen dazu; und wie die Dinge hier
bestellt sind, ist auch noch sehr darau zu zweifeln , daß mit der Verwirklichung
ein gedeihliches Verhältniß herzustellen wäre. Es leben hier zu wenig selbst¬
ständige Schriftsteller, der Journalismus auf der einen, literarischer Dilettantismus
ans der andern Seite ist zu vorherrschend. Und ob die Männer der Kunst aus
ihrem abgeschlossenen Reiche heranzuziehen wäre", ist sehr fraglich. Ueberdies
sind die heutigen Welt- und Preßverhältnisse wahrlich nicht danach angethan, um
die Vertreter der Literatur und Kunst für gesellige Vereinigungen aufzuheitern.
IrimsLall

Doch wir sprechen von Lichtern in den Nachtseiten des Lebens, da wir vom
Lichterglanz und Tvngewirr des Faschings erzählen wollten. Ein Straßenmasken-
leben gab und giebt es freilich nicht. Bei so eingefriedeten Erwcrbsverhältnissen
konnte auch der Drang nach wahrhaft offe"elichen Festlichkeiten niemals groß sein.
Schon in den alltäglichen Freistunden liebt der Frankfurter das blanke Gasthaus¬
leben keineswegs in gleicher Weise, wie der Baier, Oesterreicher oder Würten-
berger. Es ist schon nicht im gleichen Maße stereotyp, daß die Männer der
Mittelklasse ihre Abende im Wein- oder Bierhaus zubringen, wenn auch nicht so
selten, als früher in Norddeutschland. Jedenfalls aber suchen sie sich dort wieder
in sogenannte "College" absondernd zusammen zu thun. Ihre Zahl war ehedem
Legion und zerfällt noch hente sehr streng in die der christlichen und jüdischen
College. Außerdem bilden vorzüglich einige geschlossene Maurergesellschaften die
halböffentlichen Sammelpunkte und gleichzeitig die Uebergänge zu den Privat¬
gesellschaften. Unter ihnen ist das Casino im eigenen Hanse am Roßplatz der
älteste und insofern charakteristischste Verein der Reichshandelsstadt, als dem Kauf¬
manne vor Allem der Nachweis eines ziemlich großen Jahreseinkommens die Be¬
werbung um die Mitgliedschaft gestattet; Gelehrte und Künstler brauchen diesen
Nachweis nicht, sondern nur den Jahresbeitrag von 33 Fi. zu zahlen. Vorzugs¬
weise einigen Mitgliedern der Diplomatie zu Liebe sonderte sich daraus vor einigen
Jahren eine Gesellschaft ab, deren Jahresbeitrag in 100 Fi. besteht, und welche
den Namen des "Fürstencollegs" annahm, nachdem zwei oder drei der benach¬
barten souveraine als Mitglieder eingetreten waren. Diesen aristokratisch-finan¬
ziellen Vereinigungen gegenüber entstand erst I8i8 eine Gesellschaft des großen
Mittelstandes, der (alte) "Bürgerverein", welcher jetzt bereits an 1600 Mitglieder
zählt. Seine eben so bequeme, geräumige als prachtvolle Einrichtung im käuflich
erworbenen ehemaligen Rcichsverweserpalaste bildete jüngsthin einen stehenden Ar¬
tikel so ziemlich aller Zeitungen, kann also einer erneueten Schilderung füglich
entbehren. Der Bürgerverein umfaßt alle Klassen der Frankfurter Gesellschaft,
vom millionenreichcn Borsenfürsten bis zu dem Handwerker, welcher 10 Fi. Jahres-


gegen in den letzten Jahren beinahe gänzlich eingeschlafen, wie denn überhaupt
dem literarischen Interesse ein socialer Mittel- und Sammelpunkt gänzlich fehlt.
Ungehört verhallen die oft erneuter Anregungen dazu; und wie die Dinge hier
bestellt sind, ist auch noch sehr darau zu zweifeln , daß mit der Verwirklichung
ein gedeihliches Verhältniß herzustellen wäre. Es leben hier zu wenig selbst¬
ständige Schriftsteller, der Journalismus auf der einen, literarischer Dilettantismus
ans der andern Seite ist zu vorherrschend. Und ob die Männer der Kunst aus
ihrem abgeschlossenen Reiche heranzuziehen wäre», ist sehr fraglich. Ueberdies
sind die heutigen Welt- und Preßverhältnisse wahrlich nicht danach angethan, um
die Vertreter der Literatur und Kunst für gesellige Vereinigungen aufzuheitern.
IrimsLall

Doch wir sprechen von Lichtern in den Nachtseiten des Lebens, da wir vom
Lichterglanz und Tvngewirr des Faschings erzählen wollten. Ein Straßenmasken-
leben gab und giebt es freilich nicht. Bei so eingefriedeten Erwcrbsverhältnissen
konnte auch der Drang nach wahrhaft offe»elichen Festlichkeiten niemals groß sein.
Schon in den alltäglichen Freistunden liebt der Frankfurter das blanke Gasthaus¬
leben keineswegs in gleicher Weise, wie der Baier, Oesterreicher oder Würten-
berger. Es ist schon nicht im gleichen Maße stereotyp, daß die Männer der
Mittelklasse ihre Abende im Wein- oder Bierhaus zubringen, wenn auch nicht so
selten, als früher in Norddeutschland. Jedenfalls aber suchen sie sich dort wieder
in sogenannte „College" absondernd zusammen zu thun. Ihre Zahl war ehedem
Legion und zerfällt noch hente sehr streng in die der christlichen und jüdischen
College. Außerdem bilden vorzüglich einige geschlossene Maurergesellschaften die
halböffentlichen Sammelpunkte und gleichzeitig die Uebergänge zu den Privat¬
gesellschaften. Unter ihnen ist das Casino im eigenen Hanse am Roßplatz der
älteste und insofern charakteristischste Verein der Reichshandelsstadt, als dem Kauf¬
manne vor Allem der Nachweis eines ziemlich großen Jahreseinkommens die Be¬
werbung um die Mitgliedschaft gestattet; Gelehrte und Künstler brauchen diesen
Nachweis nicht, sondern nur den Jahresbeitrag von 33 Fi. zu zahlen. Vorzugs¬
weise einigen Mitgliedern der Diplomatie zu Liebe sonderte sich daraus vor einigen
Jahren eine Gesellschaft ab, deren Jahresbeitrag in 100 Fi. besteht, und welche
den Namen des „Fürstencollegs" annahm, nachdem zwei oder drei der benach¬
barten souveraine als Mitglieder eingetreten waren. Diesen aristokratisch-finan¬
ziellen Vereinigungen gegenüber entstand erst I8i8 eine Gesellschaft des großen
Mittelstandes, der (alte) „Bürgerverein", welcher jetzt bereits an 1600 Mitglieder
zählt. Seine eben so bequeme, geräumige als prachtvolle Einrichtung im käuflich
erworbenen ehemaligen Rcichsverweserpalaste bildete jüngsthin einen stehenden Ar¬
tikel so ziemlich aller Zeitungen, kann also einer erneueten Schilderung füglich
entbehren. Der Bürgerverein umfaßt alle Klassen der Frankfurter Gesellschaft,
vom millionenreichcn Borsenfürsten bis zu dem Handwerker, welcher 10 Fi. Jahres-


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <div n="2">
            <pb facs="#f0301" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/186177"/>
            <p xml:id="ID_925" prev="#ID_924"> gegen in den letzten Jahren beinahe gänzlich eingeschlafen, wie denn überhaupt<lb/>
dem literarischen Interesse ein socialer Mittel- und Sammelpunkt gänzlich fehlt.<lb/>
Ungehört verhallen die oft erneuter Anregungen dazu; und wie die Dinge hier<lb/>
bestellt sind, ist auch noch sehr darau zu zweifeln , daß mit der Verwirklichung<lb/>
ein gedeihliches Verhältniß herzustellen wäre. Es leben hier zu wenig selbst¬<lb/>
ständige Schriftsteller, der Journalismus auf der einen, literarischer Dilettantismus<lb/>
ans der andern Seite ist zu vorherrschend. Und ob die Männer der Kunst aus<lb/>
ihrem abgeschlossenen Reiche heranzuziehen wäre», ist sehr fraglich. Ueberdies<lb/>
sind die heutigen Welt- und Preßverhältnisse wahrlich nicht danach angethan, um<lb/>
die Vertreter der Literatur und Kunst für gesellige Vereinigungen aufzuheitern.<lb/>
IrimsLall</p><lb/>
            <p xml:id="ID_926" next="#ID_927"> Doch wir sprechen von Lichtern in den Nachtseiten des Lebens, da wir vom<lb/>
Lichterglanz und Tvngewirr des Faschings erzählen wollten. Ein Straßenmasken-<lb/>
leben gab und giebt es freilich nicht. Bei so eingefriedeten Erwcrbsverhältnissen<lb/>
konnte auch der Drang nach wahrhaft offe»elichen Festlichkeiten niemals groß sein.<lb/>
Schon in den alltäglichen Freistunden liebt der Frankfurter das blanke Gasthaus¬<lb/>
leben keineswegs in gleicher Weise, wie der Baier, Oesterreicher oder Würten-<lb/>
berger. Es ist schon nicht im gleichen Maße stereotyp, daß die Männer der<lb/>
Mittelklasse ihre Abende im Wein- oder Bierhaus zubringen, wenn auch nicht so<lb/>
selten, als früher in Norddeutschland. Jedenfalls aber suchen sie sich dort wieder<lb/>
in sogenannte &#x201E;College" absondernd zusammen zu thun. Ihre Zahl war ehedem<lb/>
Legion und zerfällt noch hente sehr streng in die der christlichen und jüdischen<lb/>
College. Außerdem bilden vorzüglich einige geschlossene Maurergesellschaften die<lb/>
halböffentlichen Sammelpunkte und gleichzeitig die Uebergänge zu den Privat¬<lb/>
gesellschaften. Unter ihnen ist das Casino im eigenen Hanse am Roßplatz der<lb/>
älteste und insofern charakteristischste Verein der Reichshandelsstadt, als dem Kauf¬<lb/>
manne vor Allem der Nachweis eines ziemlich großen Jahreseinkommens die Be¬<lb/>
werbung um die Mitgliedschaft gestattet; Gelehrte und Künstler brauchen diesen<lb/>
Nachweis nicht, sondern nur den Jahresbeitrag von 33 Fi. zu zahlen. Vorzugs¬<lb/>
weise einigen Mitgliedern der Diplomatie zu Liebe sonderte sich daraus vor einigen<lb/>
Jahren eine Gesellschaft ab, deren Jahresbeitrag in 100 Fi. besteht, und welche<lb/>
den Namen des &#x201E;Fürstencollegs" annahm, nachdem zwei oder drei der benach¬<lb/>
barten souveraine als Mitglieder eingetreten waren. Diesen aristokratisch-finan¬<lb/>
ziellen Vereinigungen gegenüber entstand erst I8i8 eine Gesellschaft des großen<lb/>
Mittelstandes, der (alte) &#x201E;Bürgerverein", welcher jetzt bereits an 1600 Mitglieder<lb/>
zählt. Seine eben so bequeme, geräumige als prachtvolle Einrichtung im käuflich<lb/>
erworbenen ehemaligen Rcichsverweserpalaste bildete jüngsthin einen stehenden Ar¬<lb/>
tikel so ziemlich aller Zeitungen, kann also einer erneueten Schilderung füglich<lb/>
entbehren. Der Bürgerverein umfaßt alle Klassen der Frankfurter Gesellschaft,<lb/>
vom millionenreichcn Borsenfürsten bis zu dem Handwerker, welcher 10 Fi. Jahres-</p><lb/>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0301] gegen in den letzten Jahren beinahe gänzlich eingeschlafen, wie denn überhaupt dem literarischen Interesse ein socialer Mittel- und Sammelpunkt gänzlich fehlt. Ungehört verhallen die oft erneuter Anregungen dazu; und wie die Dinge hier bestellt sind, ist auch noch sehr darau zu zweifeln , daß mit der Verwirklichung ein gedeihliches Verhältniß herzustellen wäre. Es leben hier zu wenig selbst¬ ständige Schriftsteller, der Journalismus auf der einen, literarischer Dilettantismus ans der andern Seite ist zu vorherrschend. Und ob die Männer der Kunst aus ihrem abgeschlossenen Reiche heranzuziehen wäre», ist sehr fraglich. Ueberdies sind die heutigen Welt- und Preßverhältnisse wahrlich nicht danach angethan, um die Vertreter der Literatur und Kunst für gesellige Vereinigungen aufzuheitern. IrimsLall Doch wir sprechen von Lichtern in den Nachtseiten des Lebens, da wir vom Lichterglanz und Tvngewirr des Faschings erzählen wollten. Ein Straßenmasken- leben gab und giebt es freilich nicht. Bei so eingefriedeten Erwcrbsverhältnissen konnte auch der Drang nach wahrhaft offe»elichen Festlichkeiten niemals groß sein. Schon in den alltäglichen Freistunden liebt der Frankfurter das blanke Gasthaus¬ leben keineswegs in gleicher Weise, wie der Baier, Oesterreicher oder Würten- berger. Es ist schon nicht im gleichen Maße stereotyp, daß die Männer der Mittelklasse ihre Abende im Wein- oder Bierhaus zubringen, wenn auch nicht so selten, als früher in Norddeutschland. Jedenfalls aber suchen sie sich dort wieder in sogenannte „College" absondernd zusammen zu thun. Ihre Zahl war ehedem Legion und zerfällt noch hente sehr streng in die der christlichen und jüdischen College. Außerdem bilden vorzüglich einige geschlossene Maurergesellschaften die halböffentlichen Sammelpunkte und gleichzeitig die Uebergänge zu den Privat¬ gesellschaften. Unter ihnen ist das Casino im eigenen Hanse am Roßplatz der älteste und insofern charakteristischste Verein der Reichshandelsstadt, als dem Kauf¬ manne vor Allem der Nachweis eines ziemlich großen Jahreseinkommens die Be¬ werbung um die Mitgliedschaft gestattet; Gelehrte und Künstler brauchen diesen Nachweis nicht, sondern nur den Jahresbeitrag von 33 Fi. zu zahlen. Vorzugs¬ weise einigen Mitgliedern der Diplomatie zu Liebe sonderte sich daraus vor einigen Jahren eine Gesellschaft ab, deren Jahresbeitrag in 100 Fi. besteht, und welche den Namen des „Fürstencollegs" annahm, nachdem zwei oder drei der benach¬ barten souveraine als Mitglieder eingetreten waren. Diesen aristokratisch-finan¬ ziellen Vereinigungen gegenüber entstand erst I8i8 eine Gesellschaft des großen Mittelstandes, der (alte) „Bürgerverein", welcher jetzt bereits an 1600 Mitglieder zählt. Seine eben so bequeme, geräumige als prachtvolle Einrichtung im käuflich erworbenen ehemaligen Rcichsverweserpalaste bildete jüngsthin einen stehenden Ar¬ tikel so ziemlich aller Zeitungen, kann also einer erneueten Schilderung füglich entbehren. Der Bürgerverein umfaßt alle Klassen der Frankfurter Gesellschaft, vom millionenreichcn Borsenfürsten bis zu dem Handwerker, welcher 10 Fi. Jahres-

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341576_185875
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341576_185875/301
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 12, 1853, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341576_185875/301>, abgerufen am 15.06.2024.