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Die Grenzboten. Jg. 12, 1853, I. Semester. I. Band.

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für sich in Sicherheit zu bringen, was nnr gerettet werden kann; die Rheinländer
wollen sie ganz für ihre Provinz behalten; desgleichen die Westphalen; desgleichen
ein kleines Häuflein todesmnthiger Sachsen. Die Fraction Helgoland will die
Gemeindeordnung wenigstens für die Städte der östlichen Provinzen erhalten
wissen. Selbst in dem conservativen Lager zeigen sich Spuren einer bedenklichen
Meuterei. Während Herr v. Westphalen jede Provinz mit einer besondern
Landgemciudevrdnuug bedacht hat, kommt ein sehr conservativer Schriftsteller,
der Freiherr von Haxthausen, der sich schon seit Decennien mit dem Communal-
wesen beschäftigt hat, und findet, daß eine besondere Laudgemeindeordnuug für
Westphalen nicht genüge; diese Provinz müßte wenigstens zwei haben, wenn den
realen Verhältnissen Rechnung getragen werden solle. Erwägen Sie nun noch die
besondere Stellung der Polen, so werden Sie die Ueberzeugung gewinnen, daß
schow jetzt das System der "provinziellen Gliederung" seinen reichsten Segen über
uns ausgießt. Es ist eine Saat von Drachenzähnen, die durch die Tendenz,
"Eigenthümlichkeiten zu pflegen," ausgestreut wird: Provinz steht aus gegen
Provinz, um ohne Rücksicht auf das Gemeinwohl für sich so viel zu erHaschen,
als möglich ist, und auch damit hat die Zwietracht noch kein Ende. Der Kampf
ur große politische Zwecke löst sich in ein kleinliches Jutrigueuspiel auf,
in welchem Jeder seinen beschränkten Vortheil sucht, ohne sich um
den andern zu kümmern. Denn es fehlt viel, daß die Abgeordneten der Pro¬
vinzen, welche die Gesetzgebung ". 18ö0 beizubehalten wünschen, sich gegenseitig
unterstützen, es stimmen vielmehr Rheinländer gegen Westphalen, und umgekehrt,
in der Meinung, daß die Regierung die Gemeindeordnung eher einer als meh¬
re rü Provinzen zu belassen geneigt sein wird. Auch hier zeigt sich, daß die
Rheinländer im Allgemeinen weit von der politischen Einsicht und der Selbst¬
verleugnung entfernt sind, welche die ostpreußischen Deputaten auf dem Ver¬
einigten Landtage auszeichnete. Diese mochten den Vortheil ihrer lange vernach¬
lässigten Provinz nicht durch die Bewilligung eiuer zum Bau der Ostbahn be¬
stimmten Anleihe erkaufen, und so den großen Rechtssatz umstoßen, daß nur
Reichsstände zur Bewilligung von Anleihen befugt wären. Jetzt, wo es sich
um die Aufrechterhaltung einer gemeinsamen Commuualgesetzgcbnug handelt, giebt
ein liberales Organ, die Kölnische Zeitung, schon vor dem Tage der Schlacht
den Seinigen die Anweisung, statt an den gemeinsamen Kampf bei Zeiten an
sich selbst zu denken, die östlichen Provinzen allein für sich sorgen zu lassen,
und der Rheinprovinz die Gemeindeordnung zu retten. Wie sehr diese Taktik
die liberalen Abgeordneten der östlichen Provinzen, deren Kampf gegen die ritter¬
schaftlichen Tendenzen ohnehin viel schwieriger ist, verstimmen muß, brauche ich
kaum zu bemerken; sie erblicken darin eine Aufkündigung der alten politischen
Waffenbrüderschaft, die beklagenswerthe Neigung, durch einen neuen Basler
Frieden sich selbst zu sichern und die frühern Freunde im Osten ihren ritterschast-


für sich in Sicherheit zu bringen, was nnr gerettet werden kann; die Rheinländer
wollen sie ganz für ihre Provinz behalten; desgleichen die Westphalen; desgleichen
ein kleines Häuflein todesmnthiger Sachsen. Die Fraction Helgoland will die
Gemeindeordnung wenigstens für die Städte der östlichen Provinzen erhalten
wissen. Selbst in dem conservativen Lager zeigen sich Spuren einer bedenklichen
Meuterei. Während Herr v. Westphalen jede Provinz mit einer besondern
Landgemciudevrdnuug bedacht hat, kommt ein sehr conservativer Schriftsteller,
der Freiherr von Haxthausen, der sich schon seit Decennien mit dem Communal-
wesen beschäftigt hat, und findet, daß eine besondere Laudgemeindeordnuug für
Westphalen nicht genüge; diese Provinz müßte wenigstens zwei haben, wenn den
realen Verhältnissen Rechnung getragen werden solle. Erwägen Sie nun noch die
besondere Stellung der Polen, so werden Sie die Ueberzeugung gewinnen, daß
schow jetzt das System der „provinziellen Gliederung" seinen reichsten Segen über
uns ausgießt. Es ist eine Saat von Drachenzähnen, die durch die Tendenz,
„Eigenthümlichkeiten zu pflegen," ausgestreut wird: Provinz steht aus gegen
Provinz, um ohne Rücksicht auf das Gemeinwohl für sich so viel zu erHaschen,
als möglich ist, und auch damit hat die Zwietracht noch kein Ende. Der Kampf
ur große politische Zwecke löst sich in ein kleinliches Jutrigueuspiel auf,
in welchem Jeder seinen beschränkten Vortheil sucht, ohne sich um
den andern zu kümmern. Denn es fehlt viel, daß die Abgeordneten der Pro¬
vinzen, welche die Gesetzgebung ». 18ö0 beizubehalten wünschen, sich gegenseitig
unterstützen, es stimmen vielmehr Rheinländer gegen Westphalen, und umgekehrt,
in der Meinung, daß die Regierung die Gemeindeordnung eher einer als meh¬
re rü Provinzen zu belassen geneigt sein wird. Auch hier zeigt sich, daß die
Rheinländer im Allgemeinen weit von der politischen Einsicht und der Selbst¬
verleugnung entfernt sind, welche die ostpreußischen Deputaten auf dem Ver¬
einigten Landtage auszeichnete. Diese mochten den Vortheil ihrer lange vernach¬
lässigten Provinz nicht durch die Bewilligung eiuer zum Bau der Ostbahn be¬
stimmten Anleihe erkaufen, und so den großen Rechtssatz umstoßen, daß nur
Reichsstände zur Bewilligung von Anleihen befugt wären. Jetzt, wo es sich
um die Aufrechterhaltung einer gemeinsamen Commuualgesetzgcbnug handelt, giebt
ein liberales Organ, die Kölnische Zeitung, schon vor dem Tage der Schlacht
den Seinigen die Anweisung, statt an den gemeinsamen Kampf bei Zeiten an
sich selbst zu denken, die östlichen Provinzen allein für sich sorgen zu lassen,
und der Rheinprovinz die Gemeindeordnung zu retten. Wie sehr diese Taktik
die liberalen Abgeordneten der östlichen Provinzen, deren Kampf gegen die ritter¬
schaftlichen Tendenzen ohnehin viel schwieriger ist, verstimmen muß, brauche ich
kaum zu bemerken; sie erblicken darin eine Aufkündigung der alten politischen
Waffenbrüderschaft, die beklagenswerthe Neigung, durch einen neuen Basler
Frieden sich selbst zu sichern und die frühern Freunde im Osten ihren ritterschast-


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[0309] für sich in Sicherheit zu bringen, was nnr gerettet werden kann; die Rheinländer wollen sie ganz für ihre Provinz behalten; desgleichen die Westphalen; desgleichen ein kleines Häuflein todesmnthiger Sachsen. Die Fraction Helgoland will die Gemeindeordnung wenigstens für die Städte der östlichen Provinzen erhalten wissen. Selbst in dem conservativen Lager zeigen sich Spuren einer bedenklichen Meuterei. Während Herr v. Westphalen jede Provinz mit einer besondern Landgemciudevrdnuug bedacht hat, kommt ein sehr conservativer Schriftsteller, der Freiherr von Haxthausen, der sich schon seit Decennien mit dem Communal- wesen beschäftigt hat, und findet, daß eine besondere Laudgemeindeordnuug für Westphalen nicht genüge; diese Provinz müßte wenigstens zwei haben, wenn den realen Verhältnissen Rechnung getragen werden solle. Erwägen Sie nun noch die besondere Stellung der Polen, so werden Sie die Ueberzeugung gewinnen, daß schow jetzt das System der „provinziellen Gliederung" seinen reichsten Segen über uns ausgießt. Es ist eine Saat von Drachenzähnen, die durch die Tendenz, „Eigenthümlichkeiten zu pflegen," ausgestreut wird: Provinz steht aus gegen Provinz, um ohne Rücksicht auf das Gemeinwohl für sich so viel zu erHaschen, als möglich ist, und auch damit hat die Zwietracht noch kein Ende. Der Kampf ur große politische Zwecke löst sich in ein kleinliches Jutrigueuspiel auf, in welchem Jeder seinen beschränkten Vortheil sucht, ohne sich um den andern zu kümmern. Denn es fehlt viel, daß die Abgeordneten der Pro¬ vinzen, welche die Gesetzgebung ». 18ö0 beizubehalten wünschen, sich gegenseitig unterstützen, es stimmen vielmehr Rheinländer gegen Westphalen, und umgekehrt, in der Meinung, daß die Regierung die Gemeindeordnung eher einer als meh¬ re rü Provinzen zu belassen geneigt sein wird. Auch hier zeigt sich, daß die Rheinländer im Allgemeinen weit von der politischen Einsicht und der Selbst¬ verleugnung entfernt sind, welche die ostpreußischen Deputaten auf dem Ver¬ einigten Landtage auszeichnete. Diese mochten den Vortheil ihrer lange vernach¬ lässigten Provinz nicht durch die Bewilligung eiuer zum Bau der Ostbahn be¬ stimmten Anleihe erkaufen, und so den großen Rechtssatz umstoßen, daß nur Reichsstände zur Bewilligung von Anleihen befugt wären. Jetzt, wo es sich um die Aufrechterhaltung einer gemeinsamen Commuualgesetzgcbnug handelt, giebt ein liberales Organ, die Kölnische Zeitung, schon vor dem Tage der Schlacht den Seinigen die Anweisung, statt an den gemeinsamen Kampf bei Zeiten an sich selbst zu denken, die östlichen Provinzen allein für sich sorgen zu lassen, und der Rheinprovinz die Gemeindeordnung zu retten. Wie sehr diese Taktik die liberalen Abgeordneten der östlichen Provinzen, deren Kampf gegen die ritter¬ schaftlichen Tendenzen ohnehin viel schwieriger ist, verstimmen muß, brauche ich kaum zu bemerken; sie erblicken darin eine Aufkündigung der alten politischen Waffenbrüderschaft, die beklagenswerthe Neigung, durch einen neuen Basler Frieden sich selbst zu sichern und die frühern Freunde im Osten ihren ritterschast-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 12, 1853, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341576_185875/309>, abgerufen am 22.05.2024.