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Die Grenzboten. Jg. 12, 1853, I. Semester. I. Band.

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und diese sehr wichtige Frage in ihrer ganzen Tiefe erschöpft. Nicht minder
wirkungsvoll war Auerswald's Rede; er zeichnete zunächst, nach einer vortrefflichen
Kritik der Gen.-Ordn. von 18L0, die Art und Weise, wie sie zum Vortheil des
Landes hätte ausgeführt werden müssen, ging dann auf die Zustände der Rhein-
provinz über, schilderte den raschen Wechsel der Gesetzgebung, dem diese Provinz
unterlege" hätte, wie hier das Communalwcsen 18is neu geordnet, dann 18!>0
wieder umgestaltet wäre, und schloß mit der Erklärung, daß er nach diesen Vor¬
gängen eine abermalige Beseitigung der jetzt seit 3 Jahren in Kraft stehenden
Gemeindeordnung für eine durchaus subversive Maßregel, für eine wahre Landes-
calamität halten müsse. Unter den anderen Rednern verdienen namentlich Riedel,
v. Patow und Graf v. d. Goltz ausgezeichnet zu werden; der letztere führte
sich durch einen glänzenden und geistreichen Vortrag in die parlamentarische
Debatte ein.

Morgen wird es sich entscheiden, ob die Gen.-Ordn. v. 18ö0 wenigstens für
einzelne Landestheile zu retten sein wird. Ich glaube nicht, daß selbst für die Rhein-
provinz Aussicht vorhanden ist, obgleich einige Mitglieder der Rechten, selbst solche^
die nicht den westlichen Provinzen angehören, durch den übereinstimmenden Wunsch
der Rheinländer, dnrch die zahllosen ans jener Provinz eingelaufenen Petitionen
zu tut Ueberzeugung geführt sind, daß es nicht rathsam sei, den Rhein¬
ländern ein ihnen werthes Gesetz zu rauben. Es ist überhaupt eine bemerkens-
werthe Thatsache, daß, wo das Gesetz wirklich eingeführt ist, die Betheiligten es
zu behalten wünschen. Ans dem platten Lande der östlichen Provinzen ist es nur
in zwei Kreisen, Stallupönen und Zeitz, die unter der Leitung liberaler Landräthe
standen (Gamradt und Jacobi v. Wangelin), rasch und ohne Widerstreben der
Einfassen durchgeführt. Herr v. Gerlach versicherte frischweg, daß hier die Be¬
seitigung des Gesetzes heiß ersehnt werde, und gab dadurch dem anch in dieser
Session anwesenden Abg. Gamradt Veranlassung zu der sehr bestimmten Ent¬
gegnung, daß ihm aus dem seiner Leitung anvertrauten Kreise dergleichen Wünsche
nicht bekannt geworden wären. Angesichts solcher Thatsachen und gegenüber den
ritterschaftlichen Theorien konnte der Abg. Riedel, nachdem er die wirkliche Sach¬
lage resumirt, mit vollem Recht die Frage auswerfen, welche Seite des Hauses
denn aus Grund praktischer Erfahrungen, und welche ans Grund kahler Prin¬
cipien kämpfe.

Ein uuheilschwaugrcs Ereigniß der letzten Woche kann ich unmöglich mit
Stillschweigen übergehen. Der Abg. Aldcnhoven, jetzt Mitglied der katholischen
Fraction, ließ sich in seinem Unmuth zu leidenschaftlichen Aeußerungen fortreißen,
die gegen die parlamentarische Ordnung sehr verstießen und auf beiden Seiten
des Hauses mit gleich starkem Mißfallen aufgenommen wurden. Aus einer Aeu¬
ßerung des Ministerpräsidenten geht hervor, daß das Ministerium in diesem
Vorfall eine geeignete Veranlassung erblickt, durch einen Gesetzentwurf die Rede-


und diese sehr wichtige Frage in ihrer ganzen Tiefe erschöpft. Nicht minder
wirkungsvoll war Auerswald's Rede; er zeichnete zunächst, nach einer vortrefflichen
Kritik der Gen.-Ordn. von 18L0, die Art und Weise, wie sie zum Vortheil des
Landes hätte ausgeführt werden müssen, ging dann auf die Zustände der Rhein-
provinz über, schilderte den raschen Wechsel der Gesetzgebung, dem diese Provinz
unterlege» hätte, wie hier das Communalwcsen 18is neu geordnet, dann 18!>0
wieder umgestaltet wäre, und schloß mit der Erklärung, daß er nach diesen Vor¬
gängen eine abermalige Beseitigung der jetzt seit 3 Jahren in Kraft stehenden
Gemeindeordnung für eine durchaus subversive Maßregel, für eine wahre Landes-
calamität halten müsse. Unter den anderen Rednern verdienen namentlich Riedel,
v. Patow und Graf v. d. Goltz ausgezeichnet zu werden; der letztere führte
sich durch einen glänzenden und geistreichen Vortrag in die parlamentarische
Debatte ein.

Morgen wird es sich entscheiden, ob die Gen.-Ordn. v. 18ö0 wenigstens für
einzelne Landestheile zu retten sein wird. Ich glaube nicht, daß selbst für die Rhein-
provinz Aussicht vorhanden ist, obgleich einige Mitglieder der Rechten, selbst solche^
die nicht den westlichen Provinzen angehören, durch den übereinstimmenden Wunsch
der Rheinländer, dnrch die zahllosen ans jener Provinz eingelaufenen Petitionen
zu tut Ueberzeugung geführt sind, daß es nicht rathsam sei, den Rhein¬
ländern ein ihnen werthes Gesetz zu rauben. Es ist überhaupt eine bemerkens-
werthe Thatsache, daß, wo das Gesetz wirklich eingeführt ist, die Betheiligten es
zu behalten wünschen. Ans dem platten Lande der östlichen Provinzen ist es nur
in zwei Kreisen, Stallupönen und Zeitz, die unter der Leitung liberaler Landräthe
standen (Gamradt und Jacobi v. Wangelin), rasch und ohne Widerstreben der
Einfassen durchgeführt. Herr v. Gerlach versicherte frischweg, daß hier die Be¬
seitigung des Gesetzes heiß ersehnt werde, und gab dadurch dem anch in dieser
Session anwesenden Abg. Gamradt Veranlassung zu der sehr bestimmten Ent¬
gegnung, daß ihm aus dem seiner Leitung anvertrauten Kreise dergleichen Wünsche
nicht bekannt geworden wären. Angesichts solcher Thatsachen und gegenüber den
ritterschaftlichen Theorien konnte der Abg. Riedel, nachdem er die wirkliche Sach¬
lage resumirt, mit vollem Recht die Frage auswerfen, welche Seite des Hauses
denn aus Grund praktischer Erfahrungen, und welche ans Grund kahler Prin¬
cipien kämpfe.

Ein uuheilschwaugrcs Ereigniß der letzten Woche kann ich unmöglich mit
Stillschweigen übergehen. Der Abg. Aldcnhoven, jetzt Mitglied der katholischen
Fraction, ließ sich in seinem Unmuth zu leidenschaftlichen Aeußerungen fortreißen,
die gegen die parlamentarische Ordnung sehr verstießen und auf beiden Seiten
des Hauses mit gleich starkem Mißfallen aufgenommen wurden. Aus einer Aeu¬
ßerung des Ministerpräsidenten geht hervor, daß das Ministerium in diesem
Vorfall eine geeignete Veranlassung erblickt, durch einen Gesetzentwurf die Rede-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 12, 1853, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341576_185875/311>, abgerufen am 22.05.2024.