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Die Grenzboten. Jg. 12, 1853, I. Semester. I. Band.

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Verachtung spießbürgerlicher Prosa sind die Eindrücke, welche sie in ihren Romanen ver¬
arbeiten. Zu diesen kommen bei Einem oder dem Andern Reminiscenzen aus der Jugend¬
zeit, das Dorf, die kleine Stadt, enge Familienverhältnisse, in denen sie aufgewachsen
sind, hier und da Reise- und literarische Bekanntschaften und die große Masse der destil-
lirten Empfindungen und Anschauungen, welche sie durch eine wahllose Lectüre aller
möglichen andern Romane gewinneu. Aus solchen Reminiscenzen wird ein erster, ein
zweiter Roman zusammengeschrieben, vielleicht zeigt sich eine jugendliche Kraft darin,
vielleicht sind es auch nur Zufälligkeiten des Stoffes, welche das hungrige Publicum
unsrer schlechten Lesebibliotheken anlocken. Ein gewisser kleiner Ruf wird gewonnen, die
buchhändlerische Speculation bemächtigt sich des jungen Dichters und treibt ihn zu
neuem Schaffen, wenn dies nicht schon die Geldnoth, der gemeine Zwang der äußeren
Verhältnisse thut. So entsteht ein Produciren ohne besondre Berechtigung. Die wenigen
lebhaften Eindrücke und Anschauungen, welche das eigene Leben gegeben hatte, sind schnell
verarbeitet, die feste, respectable Stellung in der bürgerlichen Gesellschaft fehlt, welche
dem Menschen regelmäßige Pflichten und innern Halt am ersten giebt, und am besten
ein regelmäßiges Einströmen gesunder Anschauungen und neuer Eindrücke vermittelt,
und so wird die Darstellung flüchtig, skizzenhaft, die Erfindung schwächlich oder aben¬
teuerlich, der Styl bleibt ungebildet wie der Charakter. Das ist das traurige Schicksal
der meisten deutschen Romanschriftsteller. Das ist auch der Grund, weshalb wir fast
gar keine gute, und so sehr viele schlechte Romane zu lesen verurtheilt sind.

Ob der gegenwärtige Zustand unsrer Bildung und des deutschen Lebens vorzugs¬
weise geeignet ist, gute Romandichter hervorzubringen, läßt sich allerdings bezweifeln,
vor Allem deshalb, weil gerade jetzt auch dem Leben der Besseren ein Theil von dem
Behagen fehlt, ohne welches das schöne Schaffen undenkbar ist. Aber daß unsre
Romanschriftstellerei -- immer im Ganzen betrachtet -- schlechter als mittelmäßig ist,
daran tragen die Schaffenden allein die Schuld, und vergebens suchen sie diese auf ungün¬
stige Verhältnisse des Vaterlandes, auf die Prosa des Lebens, auf die Industrie der
Buchhändler und die Rohheit des großen Lesepublicums zu wälzen.

Ferner aber ist merkwürdig, mit welcher Beharrlichkeit sich eine andere Abtheilung
unsrer Romanschriftsteller fern von der uns umgebenden Welt in dem kleinen und monotonen
Gebiet der idyllischen Dorfgeschichten umhertreibt. Man konnte vor einigen Jahren
glauben, daß dieses Genre überwunden sei, es lebt jetzt in den Jahren der Reaction
in einer Masse von Romanen, Novellen, Scizzen u. s. w. wieder auf; bei Vielen Symptom
einer mit sich selbst unzufriedenen Bildung, welche gerade Verstand genug hat, einzu¬
sehen, daß es ihr fehlt, aber nicht Kraft genug, dieses Fehlende zu erwerben. Das
Schlimme ist nur, daß diese jungen Flüchtlinge aus dem Culturleben der Zeit ihre
Verstimmung und Schwäche auch aus diesem Gebiete der Stoffe nicht los werden. Ueber
die relative Berechtigung von Dorfgeschichten ist schon früher die Rede gewesen. Wo
eine geniale Kraft, wie Jeremias Gotthelf, oder ein feines Talent, wie Auerbach, etwas
Erfreuliches schaffen konnte, da ist deshalb noch nicht für Jeden ein Geschäft zu machen, am
wenigsten dann, wenn unsre Dichter uns das starke und gesunde, aber immerhin beschränkte
und enge Leben des Bauernstandes durch eine schlechte Zuthat von Sentimentalität verderben.
Wohl ist der Stand des Landmanns der große Quell, woraus sich fortdauernd neue
Familienkraft erhebt, welche in alle Rinnen des Volkslebens hineinfließt und überall
neues Wachsthum hervorbringt. Aber es ist sehr bedenklich, das beschränkte Leben dieses
Standes, in zierlicher poetischer Verklärung dem Leben der Gebildeten, dem modernen
Leben als ein Ganzes von schöner Einfachheit, ein Ideal von Kraft gegenüber zu stellen.
Denn es ist die größte Gefahr vorhanden, dabei unwahr, manirirt, zuletzt langweilig
zu werden. Aber diese Gefahr droht doch nur den besten Idyllenschreibern. Die
meisten kommen nicht über das Ausmalen der Staffage heraus, oder über das Zu-
sammenreihen einzelner Züge, welche der Wirklichkeit abgelauscht sein mögen, denen aber
die künstlerische Verarbeitung fehlt.


Verachtung spießbürgerlicher Prosa sind die Eindrücke, welche sie in ihren Romanen ver¬
arbeiten. Zu diesen kommen bei Einem oder dem Andern Reminiscenzen aus der Jugend¬
zeit, das Dorf, die kleine Stadt, enge Familienverhältnisse, in denen sie aufgewachsen
sind, hier und da Reise- und literarische Bekanntschaften und die große Masse der destil-
lirten Empfindungen und Anschauungen, welche sie durch eine wahllose Lectüre aller
möglichen andern Romane gewinneu. Aus solchen Reminiscenzen wird ein erster, ein
zweiter Roman zusammengeschrieben, vielleicht zeigt sich eine jugendliche Kraft darin,
vielleicht sind es auch nur Zufälligkeiten des Stoffes, welche das hungrige Publicum
unsrer schlechten Lesebibliotheken anlocken. Ein gewisser kleiner Ruf wird gewonnen, die
buchhändlerische Speculation bemächtigt sich des jungen Dichters und treibt ihn zu
neuem Schaffen, wenn dies nicht schon die Geldnoth, der gemeine Zwang der äußeren
Verhältnisse thut. So entsteht ein Produciren ohne besondre Berechtigung. Die wenigen
lebhaften Eindrücke und Anschauungen, welche das eigene Leben gegeben hatte, sind schnell
verarbeitet, die feste, respectable Stellung in der bürgerlichen Gesellschaft fehlt, welche
dem Menschen regelmäßige Pflichten und innern Halt am ersten giebt, und am besten
ein regelmäßiges Einströmen gesunder Anschauungen und neuer Eindrücke vermittelt,
und so wird die Darstellung flüchtig, skizzenhaft, die Erfindung schwächlich oder aben¬
teuerlich, der Styl bleibt ungebildet wie der Charakter. Das ist das traurige Schicksal
der meisten deutschen Romanschriftsteller. Das ist auch der Grund, weshalb wir fast
gar keine gute, und so sehr viele schlechte Romane zu lesen verurtheilt sind.

Ob der gegenwärtige Zustand unsrer Bildung und des deutschen Lebens vorzugs¬
weise geeignet ist, gute Romandichter hervorzubringen, läßt sich allerdings bezweifeln,
vor Allem deshalb, weil gerade jetzt auch dem Leben der Besseren ein Theil von dem
Behagen fehlt, ohne welches das schöne Schaffen undenkbar ist. Aber daß unsre
Romanschriftstellerei — immer im Ganzen betrachtet — schlechter als mittelmäßig ist,
daran tragen die Schaffenden allein die Schuld, und vergebens suchen sie diese auf ungün¬
stige Verhältnisse des Vaterlandes, auf die Prosa des Lebens, auf die Industrie der
Buchhändler und die Rohheit des großen Lesepublicums zu wälzen.

Ferner aber ist merkwürdig, mit welcher Beharrlichkeit sich eine andere Abtheilung
unsrer Romanschriftsteller fern von der uns umgebenden Welt in dem kleinen und monotonen
Gebiet der idyllischen Dorfgeschichten umhertreibt. Man konnte vor einigen Jahren
glauben, daß dieses Genre überwunden sei, es lebt jetzt in den Jahren der Reaction
in einer Masse von Romanen, Novellen, Scizzen u. s. w. wieder auf; bei Vielen Symptom
einer mit sich selbst unzufriedenen Bildung, welche gerade Verstand genug hat, einzu¬
sehen, daß es ihr fehlt, aber nicht Kraft genug, dieses Fehlende zu erwerben. Das
Schlimme ist nur, daß diese jungen Flüchtlinge aus dem Culturleben der Zeit ihre
Verstimmung und Schwäche auch aus diesem Gebiete der Stoffe nicht los werden. Ueber
die relative Berechtigung von Dorfgeschichten ist schon früher die Rede gewesen. Wo
eine geniale Kraft, wie Jeremias Gotthelf, oder ein feines Talent, wie Auerbach, etwas
Erfreuliches schaffen konnte, da ist deshalb noch nicht für Jeden ein Geschäft zu machen, am
wenigsten dann, wenn unsre Dichter uns das starke und gesunde, aber immerhin beschränkte
und enge Leben des Bauernstandes durch eine schlechte Zuthat von Sentimentalität verderben.
Wohl ist der Stand des Landmanns der große Quell, woraus sich fortdauernd neue
Familienkraft erhebt, welche in alle Rinnen des Volkslebens hineinfließt und überall
neues Wachsthum hervorbringt. Aber es ist sehr bedenklich, das beschränkte Leben dieses
Standes, in zierlicher poetischer Verklärung dem Leben der Gebildeten, dem modernen
Leben als ein Ganzes von schöner Einfachheit, ein Ideal von Kraft gegenüber zu stellen.
Denn es ist die größte Gefahr vorhanden, dabei unwahr, manirirt, zuletzt langweilig
zu werden. Aber diese Gefahr droht doch nur den besten Idyllenschreibern. Die
meisten kommen nicht über das Ausmalen der Staffage heraus, oder über das Zu-
sammenreihen einzelner Züge, welche der Wirklichkeit abgelauscht sein mögen, denen aber
die künstlerische Verarbeitung fehlt.


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[0087] Verachtung spießbürgerlicher Prosa sind die Eindrücke, welche sie in ihren Romanen ver¬ arbeiten. Zu diesen kommen bei Einem oder dem Andern Reminiscenzen aus der Jugend¬ zeit, das Dorf, die kleine Stadt, enge Familienverhältnisse, in denen sie aufgewachsen sind, hier und da Reise- und literarische Bekanntschaften und die große Masse der destil- lirten Empfindungen und Anschauungen, welche sie durch eine wahllose Lectüre aller möglichen andern Romane gewinneu. Aus solchen Reminiscenzen wird ein erster, ein zweiter Roman zusammengeschrieben, vielleicht zeigt sich eine jugendliche Kraft darin, vielleicht sind es auch nur Zufälligkeiten des Stoffes, welche das hungrige Publicum unsrer schlechten Lesebibliotheken anlocken. Ein gewisser kleiner Ruf wird gewonnen, die buchhändlerische Speculation bemächtigt sich des jungen Dichters und treibt ihn zu neuem Schaffen, wenn dies nicht schon die Geldnoth, der gemeine Zwang der äußeren Verhältnisse thut. So entsteht ein Produciren ohne besondre Berechtigung. Die wenigen lebhaften Eindrücke und Anschauungen, welche das eigene Leben gegeben hatte, sind schnell verarbeitet, die feste, respectable Stellung in der bürgerlichen Gesellschaft fehlt, welche dem Menschen regelmäßige Pflichten und innern Halt am ersten giebt, und am besten ein regelmäßiges Einströmen gesunder Anschauungen und neuer Eindrücke vermittelt, und so wird die Darstellung flüchtig, skizzenhaft, die Erfindung schwächlich oder aben¬ teuerlich, der Styl bleibt ungebildet wie der Charakter. Das ist das traurige Schicksal der meisten deutschen Romanschriftsteller. Das ist auch der Grund, weshalb wir fast gar keine gute, und so sehr viele schlechte Romane zu lesen verurtheilt sind. Ob der gegenwärtige Zustand unsrer Bildung und des deutschen Lebens vorzugs¬ weise geeignet ist, gute Romandichter hervorzubringen, läßt sich allerdings bezweifeln, vor Allem deshalb, weil gerade jetzt auch dem Leben der Besseren ein Theil von dem Behagen fehlt, ohne welches das schöne Schaffen undenkbar ist. Aber daß unsre Romanschriftstellerei — immer im Ganzen betrachtet — schlechter als mittelmäßig ist, daran tragen die Schaffenden allein die Schuld, und vergebens suchen sie diese auf ungün¬ stige Verhältnisse des Vaterlandes, auf die Prosa des Lebens, auf die Industrie der Buchhändler und die Rohheit des großen Lesepublicums zu wälzen. Ferner aber ist merkwürdig, mit welcher Beharrlichkeit sich eine andere Abtheilung unsrer Romanschriftsteller fern von der uns umgebenden Welt in dem kleinen und monotonen Gebiet der idyllischen Dorfgeschichten umhertreibt. Man konnte vor einigen Jahren glauben, daß dieses Genre überwunden sei, es lebt jetzt in den Jahren der Reaction in einer Masse von Romanen, Novellen, Scizzen u. s. w. wieder auf; bei Vielen Symptom einer mit sich selbst unzufriedenen Bildung, welche gerade Verstand genug hat, einzu¬ sehen, daß es ihr fehlt, aber nicht Kraft genug, dieses Fehlende zu erwerben. Das Schlimme ist nur, daß diese jungen Flüchtlinge aus dem Culturleben der Zeit ihre Verstimmung und Schwäche auch aus diesem Gebiete der Stoffe nicht los werden. Ueber die relative Berechtigung von Dorfgeschichten ist schon früher die Rede gewesen. Wo eine geniale Kraft, wie Jeremias Gotthelf, oder ein feines Talent, wie Auerbach, etwas Erfreuliches schaffen konnte, da ist deshalb noch nicht für Jeden ein Geschäft zu machen, am wenigsten dann, wenn unsre Dichter uns das starke und gesunde, aber immerhin beschränkte und enge Leben des Bauernstandes durch eine schlechte Zuthat von Sentimentalität verderben. Wohl ist der Stand des Landmanns der große Quell, woraus sich fortdauernd neue Familienkraft erhebt, welche in alle Rinnen des Volkslebens hineinfließt und überall neues Wachsthum hervorbringt. Aber es ist sehr bedenklich, das beschränkte Leben dieses Standes, in zierlicher poetischer Verklärung dem Leben der Gebildeten, dem modernen Leben als ein Ganzes von schöner Einfachheit, ein Ideal von Kraft gegenüber zu stellen. Denn es ist die größte Gefahr vorhanden, dabei unwahr, manirirt, zuletzt langweilig zu werden. Aber diese Gefahr droht doch nur den besten Idyllenschreibern. Die meisten kommen nicht über das Ausmalen der Staffage heraus, oder über das Zu- sammenreihen einzelner Züge, welche der Wirklichkeit abgelauscht sein mögen, denen aber die künstlerische Verarbeitung fehlt.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 12, 1853, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341576_185875/87>, abgerufen am 15.06.2024.