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Die Grenzboten. Jg. 12, 1853, II. Semester. I. Band.

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daß im Moralcodex der Kolonisten das Wort "betrügerisch" gar nicht existirt,
sondern nur "811in" d. h. "knapp".

Eine üble Gewohnheit, die jedoch einigermaßen durch die Nothwendigkeit ge¬
rechtfertigt wird, ist das Ausschmieren der Zimmer mit Kuhmist. Der Preis des
Holzes im Innern ist so hoch und die Einfuhr so spärlich, daß mau fast nirgends
ein gedieltes Haus findet. Die Fluren bestehen daher aus geschlagenem Thone,
wie in unsern Scheuern. Da aber der Thon nicht fett ist und sehr bald zu locke¬
rem Staube wird, überschmiert man die Flur gewöhnlich zweimal wöchentlich
mit dünnem Kuhmiste, ein durchaus nicht so ekelhaftes Mittel, wenn die Weioe
grün ist und die Tage heiß sind. Immer hat es jedoch die üble Folge, daß eine
Unzahl kleiner Flöhe in das Haus kommt, die wie die Teufel beißen und sich zu
Millionen in dem Kuhmiste zu erzeugen scheinen. Andere haben die Gewohnheit,
den Mist mit Blut zu mengen, was auch in der That eine bei weitem härtere
Flur macht; allein der Gestank dieser Mixtur, selbst wenn gehörig getrocknet, ist
unausstehlich. In den Dörfern ist Kuhmist oft selten und nichts ist possierlicher,
als, wenn einige Rinder in das Dorf kommen, die Manoeuvres mehrer Dienst¬
boten zu beobachte", den Preis davon zu tragen. --




Wochenbericht.
1.

Es ist ein ausnehmend interessanter Ort, aus
dessen Mauern ich Ihnen heute schreibe. Von außen und namentlich seewärts gesehen,
nimmt sich das Ensemble der Häuser, die mit ihren Ziegeldächern äußerst sauber
und in dieser Hinsicht von den Wohnungen in andern türkischen Städten unterschieden,
über die weißen Festungsmauern hinausragen, ziemlich kleinlich aus; indeß wohnen nicht
weniger als 12,000 Menschen darin, die Straßen sind eng, wirklich aber dennoch freund¬
licher als man sie sonst wol im hiesigen Lande anzutreffen gewohnt ist. Das macht
der Handel, der rege Verkehr mit europäischen Seestädten. Warnas Rhede liegt den
Nord- und Ostwinden offen und ist darum nicht sicher, aber sie erlaubt den Fahrzeu¬
gen, ziemlich dicht an die Stadt heranzulegeu, da die Seeticse bedeutend ist. Nur die
Dreimaster und großen Dampfer halten sich auf der Außer-Rhcoc zurück.

Als Festung hat Varna die Bedeutung eines Sperrpunktes. Nicht nur führt eine
sehr wichtige Straße von Silistria über Varna gegen die östlichen Küstcnpässe des Bal¬
kan, sondern eine zweite Straße, welche von Rustcndsche ausgeht, vereinigt sich mit
der ersteren noch vor der in Rede stehenden Festung bei Basatschin. Sodann ist hier
der Ausflußpuukt des Dewnosccs, der die Mauern der Stadt bespült und vom Meere
nur durch einen schmalen Küstcnstreis getrennt wird, welcher somit in der "Kehle" der
Festung liegt. Ueber diesen Streifen, also zuvor durch den Platz muß alles passiren,
was aus dem Norden Bulgariens, der Küste nachgehend, gegen den Balkan sich bewegt.
Im andern Fall würde der Dewnosee, der mit seiner Längenrichtung auf die Pontische


daß im Moralcodex der Kolonisten das Wort „betrügerisch" gar nicht existirt,
sondern nur „811in" d. h. „knapp".

Eine üble Gewohnheit, die jedoch einigermaßen durch die Nothwendigkeit ge¬
rechtfertigt wird, ist das Ausschmieren der Zimmer mit Kuhmist. Der Preis des
Holzes im Innern ist so hoch und die Einfuhr so spärlich, daß mau fast nirgends
ein gedieltes Haus findet. Die Fluren bestehen daher aus geschlagenem Thone,
wie in unsern Scheuern. Da aber der Thon nicht fett ist und sehr bald zu locke¬
rem Staube wird, überschmiert man die Flur gewöhnlich zweimal wöchentlich
mit dünnem Kuhmiste, ein durchaus nicht so ekelhaftes Mittel, wenn die Weioe
grün ist und die Tage heiß sind. Immer hat es jedoch die üble Folge, daß eine
Unzahl kleiner Flöhe in das Haus kommt, die wie die Teufel beißen und sich zu
Millionen in dem Kuhmiste zu erzeugen scheinen. Andere haben die Gewohnheit,
den Mist mit Blut zu mengen, was auch in der That eine bei weitem härtere
Flur macht; allein der Gestank dieser Mixtur, selbst wenn gehörig getrocknet, ist
unausstehlich. In den Dörfern ist Kuhmist oft selten und nichts ist possierlicher,
als, wenn einige Rinder in das Dorf kommen, die Manoeuvres mehrer Dienst¬
boten zu beobachte«, den Preis davon zu tragen. —




Wochenbericht.
1.

Es ist ein ausnehmend interessanter Ort, aus
dessen Mauern ich Ihnen heute schreibe. Von außen und namentlich seewärts gesehen,
nimmt sich das Ensemble der Häuser, die mit ihren Ziegeldächern äußerst sauber
und in dieser Hinsicht von den Wohnungen in andern türkischen Städten unterschieden,
über die weißen Festungsmauern hinausragen, ziemlich kleinlich aus; indeß wohnen nicht
weniger als 12,000 Menschen darin, die Straßen sind eng, wirklich aber dennoch freund¬
licher als man sie sonst wol im hiesigen Lande anzutreffen gewohnt ist. Das macht
der Handel, der rege Verkehr mit europäischen Seestädten. Warnas Rhede liegt den
Nord- und Ostwinden offen und ist darum nicht sicher, aber sie erlaubt den Fahrzeu¬
gen, ziemlich dicht an die Stadt heranzulegeu, da die Seeticse bedeutend ist. Nur die
Dreimaster und großen Dampfer halten sich auf der Außer-Rhcoc zurück.

Als Festung hat Varna die Bedeutung eines Sperrpunktes. Nicht nur führt eine
sehr wichtige Straße von Silistria über Varna gegen die östlichen Küstcnpässe des Bal¬
kan, sondern eine zweite Straße, welche von Rustcndsche ausgeht, vereinigt sich mit
der ersteren noch vor der in Rede stehenden Festung bei Basatschin. Sodann ist hier
der Ausflußpuukt des Dewnosccs, der die Mauern der Stadt bespült und vom Meere
nur durch einen schmalen Küstcnstreis getrennt wird, welcher somit in der „Kehle" der
Festung liegt. Ueber diesen Streifen, also zuvor durch den Platz muß alles passiren,
was aus dem Norden Bulgariens, der Küste nachgehend, gegen den Balkan sich bewegt.
Im andern Fall würde der Dewnosee, der mit seiner Längenrichtung auf die Pontische


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 12, 1853, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341576_96174/157>, abgerufen am 28.05.2024.