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Die Grenzboten. Jg. 12, 1853, II. Semester. I. Band.

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Der Gumruck oder Zoll besteht aus einer Abgabe von 9 "/<, von allen
Waaren, die ans dem Innern nach den Hafenstädten kommen, um von dort aus
nach andern Theilen des Reichs verschickt zu werden, von 12 für die nach
dem Ausland bestimmten Waaren, und von 5 für alle Einfuhrwaaren. Zehnten
und Zölle bilden in Kleinasien die Haupteinnahmeu der Regierung und sind auf
160 Millionen Piaster anzuschlagen, sodaß dadurch schon mehr als das Viertel
der gesammten Staatseinnahmen aufgebracht wird. Mau hat darin einen Ma߬
stab , was bei einer geordneten Verwaltung und einer guten Regierung aus Klein¬
asien werden konnte.

Das Hauptleiter des herrlichen Landes ist, wie überall in der Türkei, die
Ohnmacht der Regierungsbehörde gegen jeden, der sich gegen sie auflehnen will.
Die Armee, die soviel Geld verschlingt, leistet nicht einmal das, was mau zum
mindesten von ihr verlangen kann, denn sie sorgt nicht einmal für die persönliche
Sicherheit der Einwohner. Weite Strecken Kleinasiens, wie die Paschaliks
Siwas, Manisch, Angora und viele andere, sind den Plünderungen der Kurden
und Awcharenstämme überlassen, die nicht nur von den Eingebornen willkürliche
Steuern erheben, sondern auch auf ihren Nomadenzügen die Ernten zerstören,
indem sie ihre Kameele und Schafe auf deu Getreidefeldern weiden lassen. Wenn
die Landbewohner Christen sind, so kennt die Wuth dieser streifenden Horden
keine Grenzen mehr. Die Gegend am Kiön-Ermak, von Kaisarie bis Suvas,
wo sast ausschließlich Armenier wohnen, verwüsten die Kurden alljährlich mit der
doppelten Wuth, die Fanatismus und die Gewißheit der Straflosigkeit einflößen.
Denn die Verwüster wissen nnr zu gut, daß die Klage des Christen vor Gericht
nicht gehört wird, da der Koran gegen Moslim nur das Zeugniß eines Moslim
anerkennt. Und auch wenn die türkischen Behörden die Neigung hätten, zu strafen,
so fehlt ihnen alle Kraft dazu, wie die räuberischen Horden recht gut wisse".
Wir führen nur zwei Beispiele an. Der Sandschak Bohol, ein Theil des großen
Paschaliks Suvas, dient einer großen Anzahl Kurde" vom Stamme Rischwan,
wegen der Kühnheit seiner Raubzüge ein Schrecken der Bewohner Kleinasiens,
zum Winteraufenthalt. Zweimal jährlich zieht dieses Räuberhcer, das nicht we¬
niger als 7--8000 Köpfe zählt, dnrch die Provinz, einmal im Frühjahr, wenn
sie ihre Zelte ans den hohen Plateaux von Siloah und Erzerum aufschlagen,
und dann im Herbst, wenn sie ihre Jailas oder Svmmerweide verlassen, um
wieder ihr Winterlager zu beziehen. Jede oieser Wanderungen ist eine wahre
Landplage für die seßhafte Bevölkerung, und dennoch beziehen jeden Herbst diese
privilegirten Räuber ruhig ihr Winterlager in den Waldthälern von Tschitschek-
Dagh und Mania-Dagh, einer Tagereise von Uusgat, dem Hauptort der Pro¬
vinz und der Residenz des Paschas, der sie verwaltet und sie vertheidigen soll.
Welche Vertheidigungsmittel stellt nun. die Regierung dem Pascha zu Gebote, um
mehre hundert wehrlose Dörfer vor dem Angrisse gutbcwaffneter und gutberit-


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Der Gumruck oder Zoll besteht aus einer Abgabe von 9 "/<, von allen
Waaren, die ans dem Innern nach den Hafenstädten kommen, um von dort aus
nach andern Theilen des Reichs verschickt zu werden, von 12 für die nach
dem Ausland bestimmten Waaren, und von 5 für alle Einfuhrwaaren. Zehnten
und Zölle bilden in Kleinasien die Haupteinnahmeu der Regierung und sind auf
160 Millionen Piaster anzuschlagen, sodaß dadurch schon mehr als das Viertel
der gesammten Staatseinnahmen aufgebracht wird. Mau hat darin einen Ma߬
stab , was bei einer geordneten Verwaltung und einer guten Regierung aus Klein¬
asien werden konnte.

Das Hauptleiter des herrlichen Landes ist, wie überall in der Türkei, die
Ohnmacht der Regierungsbehörde gegen jeden, der sich gegen sie auflehnen will.
Die Armee, die soviel Geld verschlingt, leistet nicht einmal das, was mau zum
mindesten von ihr verlangen kann, denn sie sorgt nicht einmal für die persönliche
Sicherheit der Einwohner. Weite Strecken Kleinasiens, wie die Paschaliks
Siwas, Manisch, Angora und viele andere, sind den Plünderungen der Kurden
und Awcharenstämme überlassen, die nicht nur von den Eingebornen willkürliche
Steuern erheben, sondern auch auf ihren Nomadenzügen die Ernten zerstören,
indem sie ihre Kameele und Schafe auf deu Getreidefeldern weiden lassen. Wenn
die Landbewohner Christen sind, so kennt die Wuth dieser streifenden Horden
keine Grenzen mehr. Die Gegend am Kiön-Ermak, von Kaisarie bis Suvas,
wo sast ausschließlich Armenier wohnen, verwüsten die Kurden alljährlich mit der
doppelten Wuth, die Fanatismus und die Gewißheit der Straflosigkeit einflößen.
Denn die Verwüster wissen nnr zu gut, daß die Klage des Christen vor Gericht
nicht gehört wird, da der Koran gegen Moslim nur das Zeugniß eines Moslim
anerkennt. Und auch wenn die türkischen Behörden die Neigung hätten, zu strafen,
so fehlt ihnen alle Kraft dazu, wie die räuberischen Horden recht gut wisse».
Wir führen nur zwei Beispiele an. Der Sandschak Bohol, ein Theil des großen
Paschaliks Suvas, dient einer großen Anzahl Kurde» vom Stamme Rischwan,
wegen der Kühnheit seiner Raubzüge ein Schrecken der Bewohner Kleinasiens,
zum Winteraufenthalt. Zweimal jährlich zieht dieses Räuberhcer, das nicht we¬
niger als 7—8000 Köpfe zählt, dnrch die Provinz, einmal im Frühjahr, wenn
sie ihre Zelte ans den hohen Plateaux von Siloah und Erzerum aufschlagen,
und dann im Herbst, wenn sie ihre Jailas oder Svmmerweide verlassen, um
wieder ihr Winterlager zu beziehen. Jede oieser Wanderungen ist eine wahre
Landplage für die seßhafte Bevölkerung, und dennoch beziehen jeden Herbst diese
privilegirten Räuber ruhig ihr Winterlager in den Waldthälern von Tschitschek-
Dagh und Mania-Dagh, einer Tagereise von Uusgat, dem Hauptort der Pro¬
vinz und der Residenz des Paschas, der sie verwaltet und sie vertheidigen soll.
Welche Vertheidigungsmittel stellt nun. die Regierung dem Pascha zu Gebote, um
mehre hundert wehrlose Dörfer vor dem Angrisse gutbcwaffneter und gutberit-


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[0219] Der Gumruck oder Zoll besteht aus einer Abgabe von 9 "/<, von allen Waaren, die ans dem Innern nach den Hafenstädten kommen, um von dort aus nach andern Theilen des Reichs verschickt zu werden, von 12 für die nach dem Ausland bestimmten Waaren, und von 5 für alle Einfuhrwaaren. Zehnten und Zölle bilden in Kleinasien die Haupteinnahmeu der Regierung und sind auf 160 Millionen Piaster anzuschlagen, sodaß dadurch schon mehr als das Viertel der gesammten Staatseinnahmen aufgebracht wird. Mau hat darin einen Ma߬ stab , was bei einer geordneten Verwaltung und einer guten Regierung aus Klein¬ asien werden konnte. Das Hauptleiter des herrlichen Landes ist, wie überall in der Türkei, die Ohnmacht der Regierungsbehörde gegen jeden, der sich gegen sie auflehnen will. Die Armee, die soviel Geld verschlingt, leistet nicht einmal das, was mau zum mindesten von ihr verlangen kann, denn sie sorgt nicht einmal für die persönliche Sicherheit der Einwohner. Weite Strecken Kleinasiens, wie die Paschaliks Siwas, Manisch, Angora und viele andere, sind den Plünderungen der Kurden und Awcharenstämme überlassen, die nicht nur von den Eingebornen willkürliche Steuern erheben, sondern auch auf ihren Nomadenzügen die Ernten zerstören, indem sie ihre Kameele und Schafe auf deu Getreidefeldern weiden lassen. Wenn die Landbewohner Christen sind, so kennt die Wuth dieser streifenden Horden keine Grenzen mehr. Die Gegend am Kiön-Ermak, von Kaisarie bis Suvas, wo sast ausschließlich Armenier wohnen, verwüsten die Kurden alljährlich mit der doppelten Wuth, die Fanatismus und die Gewißheit der Straflosigkeit einflößen. Denn die Verwüster wissen nnr zu gut, daß die Klage des Christen vor Gericht nicht gehört wird, da der Koran gegen Moslim nur das Zeugniß eines Moslim anerkennt. Und auch wenn die türkischen Behörden die Neigung hätten, zu strafen, so fehlt ihnen alle Kraft dazu, wie die räuberischen Horden recht gut wisse». Wir führen nur zwei Beispiele an. Der Sandschak Bohol, ein Theil des großen Paschaliks Suvas, dient einer großen Anzahl Kurde» vom Stamme Rischwan, wegen der Kühnheit seiner Raubzüge ein Schrecken der Bewohner Kleinasiens, zum Winteraufenthalt. Zweimal jährlich zieht dieses Räuberhcer, das nicht we¬ niger als 7—8000 Köpfe zählt, dnrch die Provinz, einmal im Frühjahr, wenn sie ihre Zelte ans den hohen Plateaux von Siloah und Erzerum aufschlagen, und dann im Herbst, wenn sie ihre Jailas oder Svmmerweide verlassen, um wieder ihr Winterlager zu beziehen. Jede oieser Wanderungen ist eine wahre Landplage für die seßhafte Bevölkerung, und dennoch beziehen jeden Herbst diese privilegirten Räuber ruhig ihr Winterlager in den Waldthälern von Tschitschek- Dagh und Mania-Dagh, einer Tagereise von Uusgat, dem Hauptort der Pro¬ vinz und der Residenz des Paschas, der sie verwaltet und sie vertheidigen soll. Welche Vertheidigungsmittel stellt nun. die Regierung dem Pascha zu Gebote, um mehre hundert wehrlose Dörfer vor dem Angrisse gutbcwaffneter und gutberit- 27*

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 12, 1853, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341576_96174/219>, abgerufen am 10.06.2024.