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Die Grenzboten. Jg. 12, 1853, II. Semester. I. Band.

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Schwerer würde es freilich sein, zu bestimmen, nach welcher Richtung hin
gegen Rußland die orientalische Frage entschieden werden sollte. Denn so schlimm
es ist, leugnen laßt sich nicht, daß die Herrschaft Rußlands die natürliche Folge
des Zerfalls der Türkei sein würde. Ein unabhängiges, föderatives Staatensystem
würde sich zwar in jenen Gegenden herstellen lassen, sobald man nicht, wie bei
dem unglücklichen Experiment in Griechenland, einen bureaukratischen Staat her¬
stellen wollte. Einem solchen würden Slaven und Griechen vielleicht die alte
Herrschaft der Paschas vorziehn.




Pariser Brief.

Wir wollen die Besprechung der Sculptur der KIs und Mich <Zs inardrs
im Salon, wie der Mös as marin-s vom Vaudeville, für einen nächsten Brief
aufsparen und uns heute ein wenig mit der orientalischen Angelegenheit und
ihren Beziehungen zu Frankreich beschäftigen. Daß wir nicht an den Krieg
glauben, und vorläufig noch weniger an die Theilung der Türkei, trotz des Te¬
stamentes von Peter dem Großen, das haben wir schon in unsern frühern Brie¬
fen auseinandergesetzt und' der kriegerisch diplomatische Apparat Englands und
Frankreichs, die ungewöhnliche Baisse unserer Börse haben uus auch nicht in
unsern Friedcnsansichten erschüttert.

Wir glauben, Frankreich wünscht nichts sehnlicher, als sich mit Rußland wie¬
der gut zu stellen und daß es trotz seiner Allianz mit England und trotz seiner
Rüstungen doch alles thun werde, um dem Zaren seine freundschaftlichen Ge¬
fühle zu beweisen. Napoleon kann in diesem Augenblicke nicht den Krieg wollen.
Er hat alle seine nächsten Zukunftspläne auf die Festigung im Innern abgesehen,
dies beweist jeder Act seiner Regierung -- seine Interessen siud vorläufig noch
identischer mit jenen der Börse als die von Louis Philipp es gewesen. Er
braucht den Frieden, um seine srischgeworbenen Anhänger des Eigennutzes nicht
zu verlieren. Er braucht den Frieden, um die kaum flott gewordene Industrie
nicht wieder gegen sich in Harnisch zu bringen. Worauf es Frankreich ankom¬
me" muß, das ist, als Kaiserreich durch eiuen diplomatischen Act in den Staaten-
congreß einzutreten, das ist, den Coutinentalmächten zu beweisen, daß wenn sie sich
noch so sehr zusammenthun, noch so sehr gegen das Kaiserreich zu barrikadiren und zu
alliiren suchen, sie den neuen Kaiser nicht blos durch unwillige Erklärungen an¬
zuerkennen, sondern daß sie bei jedem wichtigen Acte mit ihm zu rechnen haben.
Dazu dient aber die englische Allianz vortrefflich -- denn durch seine friedlichen
Vergleiche ist Frankreichs Haltung eine Achtung gebietende geworden und beim
Kriege ist sie eine nicht minder zu berücksichtigende.


Schwerer würde es freilich sein, zu bestimmen, nach welcher Richtung hin
gegen Rußland die orientalische Frage entschieden werden sollte. Denn so schlimm
es ist, leugnen laßt sich nicht, daß die Herrschaft Rußlands die natürliche Folge
des Zerfalls der Türkei sein würde. Ein unabhängiges, föderatives Staatensystem
würde sich zwar in jenen Gegenden herstellen lassen, sobald man nicht, wie bei
dem unglücklichen Experiment in Griechenland, einen bureaukratischen Staat her¬
stellen wollte. Einem solchen würden Slaven und Griechen vielleicht die alte
Herrschaft der Paschas vorziehn.




Pariser Brief.

Wir wollen die Besprechung der Sculptur der KIs und Mich <Zs inardrs
im Salon, wie der Mös as marin-s vom Vaudeville, für einen nächsten Brief
aufsparen und uns heute ein wenig mit der orientalischen Angelegenheit und
ihren Beziehungen zu Frankreich beschäftigen. Daß wir nicht an den Krieg
glauben, und vorläufig noch weniger an die Theilung der Türkei, trotz des Te¬
stamentes von Peter dem Großen, das haben wir schon in unsern frühern Brie¬
fen auseinandergesetzt und' der kriegerisch diplomatische Apparat Englands und
Frankreichs, die ungewöhnliche Baisse unserer Börse haben uus auch nicht in
unsern Friedcnsansichten erschüttert.

Wir glauben, Frankreich wünscht nichts sehnlicher, als sich mit Rußland wie¬
der gut zu stellen und daß es trotz seiner Allianz mit England und trotz seiner
Rüstungen doch alles thun werde, um dem Zaren seine freundschaftlichen Ge¬
fühle zu beweisen. Napoleon kann in diesem Augenblicke nicht den Krieg wollen.
Er hat alle seine nächsten Zukunftspläne auf die Festigung im Innern abgesehen,
dies beweist jeder Act seiner Regierung — seine Interessen siud vorläufig noch
identischer mit jenen der Börse als die von Louis Philipp es gewesen. Er
braucht den Frieden, um seine srischgeworbenen Anhänger des Eigennutzes nicht
zu verlieren. Er braucht den Frieden, um die kaum flott gewordene Industrie
nicht wieder gegen sich in Harnisch zu bringen. Worauf es Frankreich ankom¬
me» muß, das ist, als Kaiserreich durch eiuen diplomatischen Act in den Staaten-
congreß einzutreten, das ist, den Coutinentalmächten zu beweisen, daß wenn sie sich
noch so sehr zusammenthun, noch so sehr gegen das Kaiserreich zu barrikadiren und zu
alliiren suchen, sie den neuen Kaiser nicht blos durch unwillige Erklärungen an¬
zuerkennen, sondern daß sie bei jedem wichtigen Acte mit ihm zu rechnen haben.
Dazu dient aber die englische Allianz vortrefflich — denn durch seine friedlichen
Vergleiche ist Frankreichs Haltung eine Achtung gebietende geworden und beim
Kriege ist sie eine nicht minder zu berücksichtigende.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 12, 1853, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341576_96174/23>, abgerufen am 19.05.2024.