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Die Grenzboten. Jg. 12, 1853, II. Semester. I. Band.

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eins Irrthum, die Anerkennung verweigert." Sie hat ferner aus bloßer Nachäf-
fung der Franzosen sich das Bürgerthum entfremdet, und sich wenigstens dem
Verdacht ausgesetzt, als ob sie ihre Politik vorzugsweise auf die Kräfte und In¬
teressen des Proletariats gestellt habe, sie hat endlich das Heer fortwährend aus das
tödtlichste beleidigt. "So hat deun die demokratische Partei durch eine Reihe
der schwersten, man mochte sagen der unbegreiflichsten Fehler, den Beweis gelie¬
fert, daß sie im Jahre 18i8 den Umständen keineswegs gewachsen war, daß sie
nicht den Beruf hatte, in die damals schwankenden staatlichen Geschicke Deutsch¬
lands bestimmend und entscheidend einzugreifen, sie ist seit jener Zeit mehr und
mehr in den Hintergrund getreten, ihre Organisation ist überall zersprengt, ihre
Presse ist fast allenthalben zum Schweigen gebracht, die meisten ihrer Häupter
sind in die Verbannung zerstreut. Ob uuter den Ueberbleibsel" der demokratischen Par¬
tei als Ersatz für alle jene Einbuße wenigstens das Verständniß der politische"
Wirklichkeit und ihrer gebieterischen Forderungen zugenommen habe, das kann nach
gewissen Erscheinungen der jüngsten Tage z. B. nach der wiederholten Wahlent¬
haltung in Preußen für sehr zweifelhaft gelten. Gleichwol hat sich der Glaube an
die Zukunft der Demokratie in der Stille mehr und mehr ausgebreitet, selbst
nach den Seiten hin, von denen man die Zukunft derselben am meisten fürchtet,
und dieser Glaube ist es, welcher der demokratischen Partei zur Zeit jedenfalls
größere Dienste leistet, als die eigene Einsicht und Thatkraft." --

Wir eilen zum Schluß. Der Kern der deutschen Frage liegt in dem Ver¬
hältniß zwischen Oestreich und Preußen. "Preußen muß wachsen, um zu bestehe"
und Oestreich darf Preußen nicht wachsen lassen, um nicht unterzugehen, das die
Sachlage, welche dem Wechselverhältniß zwischen beiden Staaten seinen eigent¬
lichen Charakter gibt." An und für sich verfolgt keiner von diesen beiden Staate"
deutsche Interesse" und kaun es auch nicht thun. "Um die östreichische oder die
preußische Staatsmacht für den Dienst der deutsche" Nationalsache anzuwerben,
darf man kein geringeres Handgeld biete", als Deulschlaiid selbst. Damit ist
bereits ausgesprochen, daß es unmöglich ist, beide Staaten zugleich für den Dienst
der Nation zu gewinnen. Demnach hat die Nationalpvlitit ihrerseits zuerst darüber
ins klare zu kommen, ob einer und welcher der beiden Großstaaten i" der Lage
ist, ihre" Zwecke" wirksam zu diene". Mit diesem Staat, wenn er sich findet,
wird sie sich bei richtiger Berechnung so vollständig als möglich zu verkörpern
suchen ohne Vorbehalte, welche die Aufgabe erschweren und nach Lösung der¬
selben entweder überflüssig oder wirkungslos bleiben würden." --

Der Verfasser spricht seine Antwort nicht mit offenen Worten ans, aber da
seine A"sicht vo" Deutschlands Zukunft durchaus optimistisch ist, da er fer"er
nicht in den demokratischen Irrthum .verfällt, bei der Entscheidung das Heer
umgehen zu wolle", da er das Heer nur durch die Vermittelung einer der beiden


eins Irrthum, die Anerkennung verweigert." Sie hat ferner aus bloßer Nachäf-
fung der Franzosen sich das Bürgerthum entfremdet, und sich wenigstens dem
Verdacht ausgesetzt, als ob sie ihre Politik vorzugsweise auf die Kräfte und In¬
teressen des Proletariats gestellt habe, sie hat endlich das Heer fortwährend aus das
tödtlichste beleidigt. „So hat deun die demokratische Partei durch eine Reihe
der schwersten, man mochte sagen der unbegreiflichsten Fehler, den Beweis gelie¬
fert, daß sie im Jahre 18i8 den Umständen keineswegs gewachsen war, daß sie
nicht den Beruf hatte, in die damals schwankenden staatlichen Geschicke Deutsch¬
lands bestimmend und entscheidend einzugreifen, sie ist seit jener Zeit mehr und
mehr in den Hintergrund getreten, ihre Organisation ist überall zersprengt, ihre
Presse ist fast allenthalben zum Schweigen gebracht, die meisten ihrer Häupter
sind in die Verbannung zerstreut. Ob uuter den Ueberbleibsel» der demokratischen Par¬
tei als Ersatz für alle jene Einbuße wenigstens das Verständniß der politische»
Wirklichkeit und ihrer gebieterischen Forderungen zugenommen habe, das kann nach
gewissen Erscheinungen der jüngsten Tage z. B. nach der wiederholten Wahlent¬
haltung in Preußen für sehr zweifelhaft gelten. Gleichwol hat sich der Glaube an
die Zukunft der Demokratie in der Stille mehr und mehr ausgebreitet, selbst
nach den Seiten hin, von denen man die Zukunft derselben am meisten fürchtet,
und dieser Glaube ist es, welcher der demokratischen Partei zur Zeit jedenfalls
größere Dienste leistet, als die eigene Einsicht und Thatkraft." —

Wir eilen zum Schluß. Der Kern der deutschen Frage liegt in dem Ver¬
hältniß zwischen Oestreich und Preußen. „Preußen muß wachsen, um zu bestehe»
und Oestreich darf Preußen nicht wachsen lassen, um nicht unterzugehen, das die
Sachlage, welche dem Wechselverhältniß zwischen beiden Staaten seinen eigent¬
lichen Charakter gibt." An und für sich verfolgt keiner von diesen beiden Staate»
deutsche Interesse» und kaun es auch nicht thun. „Um die östreichische oder die
preußische Staatsmacht für den Dienst der deutsche» Nationalsache anzuwerben,
darf man kein geringeres Handgeld biete», als Deulschlaiid selbst. Damit ist
bereits ausgesprochen, daß es unmöglich ist, beide Staaten zugleich für den Dienst
der Nation zu gewinnen. Demnach hat die Nationalpvlitit ihrerseits zuerst darüber
ins klare zu kommen, ob einer und welcher der beiden Großstaaten i» der Lage
ist, ihre» Zwecke» wirksam zu diene». Mit diesem Staat, wenn er sich findet,
wird sie sich bei richtiger Berechnung so vollständig als möglich zu verkörpern
suchen ohne Vorbehalte, welche die Aufgabe erschweren und nach Lösung der¬
selben entweder überflüssig oder wirkungslos bleiben würden." —

Der Verfasser spricht seine Antwort nicht mit offenen Worten ans, aber da
seine A»sicht vo» Deutschlands Zukunft durchaus optimistisch ist, da er fer»er
nicht in den demokratischen Irrthum .verfällt, bei der Entscheidung das Heer
umgehen zu wolle», da er das Heer nur durch die Vermittelung einer der beiden


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 12, 1853, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341576_96174/362>, abgerufen am 27.05.2024.