Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 12, 1853, II. Semester. I. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

Die Besprechung der öffentlichen Angelegenheiten enthält nichts Neues und hätte
füglich wegbleiben können. Die romantischen Ereignisse sind verständlich erzählt
und mit einer ziemlich lebhaften Phantasie dargestellt, der Stil ist häufig incor-
rect und verliert sich in Phrasen. Der Hauptinhalt des Buchs sind die Conflicte
des Judenthums mit deu gegenwärtigen Staats- und Rechtsverhältnissen. Es ist
ganz merkwürdig, wie groß in dieser Beziehung jetzt die Empfindlichkeit gewor¬
den ist. Die politische Emancipation der Juden, d. h. ihre rechtliche Gleich¬
stellung mit den christlichen Staatsbürgern und die Aufhebung der Beschränkungen,
die sie vom Eintritt in eine beliebige Carriere abhielten, ist zwar noch nicht völlig
durchgesetzt, aber es sind doch überall sehr bedeutende Schritte dafür geschehen, und
wir werden voraussichtlich darin immer weiter komme". Wenn wir es also anch ganz
natürlich finden, daß man in dieser Beziehung die Ansprüche niemals ganz einschla¬
fen läßt, so finden wir doch zu einer leidenschaftlichen Berfolgung derselben jetzt kei¬
nen Grund mehr. Was deu religiösen Gegensatz betrifft, so ist er allerdings noch
vorhanden und wird auch wol nie aufhören, solange es überhaupt Religionen gibt.
Die Juden werden doch nicht leugnen wollen, daß von ihrer Seite der Gegensatz
wenigstens ebenso oder eigentlich viel mehr empfunden wird, als von der unsrige",
woraus wir ihnen übrigens keinen Vorwurf machen wollen, da sie lange Zeit die
Unterdrückten gewesen sind, aber die Juden sollten nie vergessen, daß grade von
ihrer Religion die religiöse Exclusivität ausgegangen ist, und daß sie noch von
keiner andern erreicht worden sind. Freilich haben die gegenwärtigen Juden an
dem Rigorismus ihrer Vorfahre" keine Schuld; aber so etwas rächt sich unaus¬
bleiblich in der Geschichte, und die Unschuldigen müssen für die Sünden der Vergangen¬
heit büßen. Außerdem ist es mit diesem religiösen Gegensatz gegenwärtig nicht mehr so
schlimm, theils die Fortschritte der Humanität, theils auch die Ausgleichung der bürger¬
lichen Stellung haben darin das ihrige gethan. Wenn "och einzelne Conflicte daraus
entstehen, we"" z. B. eine Jüdin sich erst laufen lassen muß, um einen Christen
zu heirathen, so send das ebeu Conflicte, die nicht dem Judenthum ausschließlich
angehören. Die Liebe bringt zwischen Adligen und Bürgerlichen ganz ähnliche
Kollisionen hervor, und bei dem immer schärfer sich ausbildende" Parteileben
wird es an Wiederholungen der Montecchi und Capulelti anch nicht fehlen. Also
haben die Juden eigentlich über nichts mehr zu klagen, als über das gesellschaft¬
liche Vorurtheil, das ihnen entgegensteht. Aber da müssen sie sich einmal in die
Lage ihrer christlichen Mitbürger versetzen. Die am meisten verbreitete Classe
der Juden, diejenige, mit der man im bürgerlichen Leben am vielfältigste" ver¬
kehrt, si"d die Trödler, die Haussier, die Schacherjude". Auch diese haben zwar
viele Vorzüge, durch die sie mauche" Christe" übertreffen, sie sind von einer seltenen
Arbeitsamkeit und Ausdauer, sie erfreuen sich eines soliden Familienlebens u. s. w.;
aber diese Seiten drängen sich der Cinbildnngskraft nicht ans, sondern man be¬
merkt zuerst immer die eigenthümliche Art ihres Geschäftsverkehrs, von der doch


Die Besprechung der öffentlichen Angelegenheiten enthält nichts Neues und hätte
füglich wegbleiben können. Die romantischen Ereignisse sind verständlich erzählt
und mit einer ziemlich lebhaften Phantasie dargestellt, der Stil ist häufig incor-
rect und verliert sich in Phrasen. Der Hauptinhalt des Buchs sind die Conflicte
des Judenthums mit deu gegenwärtigen Staats- und Rechtsverhältnissen. Es ist
ganz merkwürdig, wie groß in dieser Beziehung jetzt die Empfindlichkeit gewor¬
den ist. Die politische Emancipation der Juden, d. h. ihre rechtliche Gleich¬
stellung mit den christlichen Staatsbürgern und die Aufhebung der Beschränkungen,
die sie vom Eintritt in eine beliebige Carriere abhielten, ist zwar noch nicht völlig
durchgesetzt, aber es sind doch überall sehr bedeutende Schritte dafür geschehen, und
wir werden voraussichtlich darin immer weiter komme». Wenn wir es also anch ganz
natürlich finden, daß man in dieser Beziehung die Ansprüche niemals ganz einschla¬
fen läßt, so finden wir doch zu einer leidenschaftlichen Berfolgung derselben jetzt kei¬
nen Grund mehr. Was deu religiösen Gegensatz betrifft, so ist er allerdings noch
vorhanden und wird auch wol nie aufhören, solange es überhaupt Religionen gibt.
Die Juden werden doch nicht leugnen wollen, daß von ihrer Seite der Gegensatz
wenigstens ebenso oder eigentlich viel mehr empfunden wird, als von der unsrige»,
woraus wir ihnen übrigens keinen Vorwurf machen wollen, da sie lange Zeit die
Unterdrückten gewesen sind, aber die Juden sollten nie vergessen, daß grade von
ihrer Religion die religiöse Exclusivität ausgegangen ist, und daß sie noch von
keiner andern erreicht worden sind. Freilich haben die gegenwärtigen Juden an
dem Rigorismus ihrer Vorfahre» keine Schuld; aber so etwas rächt sich unaus¬
bleiblich in der Geschichte, und die Unschuldigen müssen für die Sünden der Vergangen¬
heit büßen. Außerdem ist es mit diesem religiösen Gegensatz gegenwärtig nicht mehr so
schlimm, theils die Fortschritte der Humanität, theils auch die Ausgleichung der bürger¬
lichen Stellung haben darin das ihrige gethan. Wenn »och einzelne Conflicte daraus
entstehen, we»» z. B. eine Jüdin sich erst laufen lassen muß, um einen Christen
zu heirathen, so send das ebeu Conflicte, die nicht dem Judenthum ausschließlich
angehören. Die Liebe bringt zwischen Adligen und Bürgerlichen ganz ähnliche
Kollisionen hervor, und bei dem immer schärfer sich ausbildende» Parteileben
wird es an Wiederholungen der Montecchi und Capulelti anch nicht fehlen. Also
haben die Juden eigentlich über nichts mehr zu klagen, als über das gesellschaft¬
liche Vorurtheil, das ihnen entgegensteht. Aber da müssen sie sich einmal in die
Lage ihrer christlichen Mitbürger versetzen. Die am meisten verbreitete Classe
der Juden, diejenige, mit der man im bürgerlichen Leben am vielfältigste» ver¬
kehrt, si»d die Trödler, die Haussier, die Schacherjude». Auch diese haben zwar
viele Vorzüge, durch die sie mauche» Christe» übertreffen, sie sind von einer seltenen
Arbeitsamkeit und Ausdauer, sie erfreuen sich eines soliden Familienlebens u. s. w.;
aber diese Seiten drängen sich der Cinbildnngskraft nicht ans, sondern man be¬
merkt zuerst immer die eigenthümliche Art ihres Geschäftsverkehrs, von der doch


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0509" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/96684"/>
          <p xml:id="ID_1772" prev="#ID_1771" next="#ID_1773"> Die Besprechung der öffentlichen Angelegenheiten enthält nichts Neues und hätte<lb/>
füglich wegbleiben können. Die romantischen Ereignisse sind verständlich erzählt<lb/>
und mit einer ziemlich lebhaften Phantasie dargestellt, der Stil ist häufig incor-<lb/>
rect und verliert sich in Phrasen. Der Hauptinhalt des Buchs sind die Conflicte<lb/>
des Judenthums mit deu gegenwärtigen Staats- und Rechtsverhältnissen. Es ist<lb/>
ganz merkwürdig, wie groß in dieser Beziehung jetzt die Empfindlichkeit gewor¬<lb/>
den ist. Die politische Emancipation der Juden, d. h. ihre rechtliche Gleich¬<lb/>
stellung mit den christlichen Staatsbürgern und die Aufhebung der Beschränkungen,<lb/>
die sie vom Eintritt in eine beliebige Carriere abhielten, ist zwar noch nicht völlig<lb/>
durchgesetzt, aber es sind doch überall sehr bedeutende Schritte dafür geschehen, und<lb/>
wir werden voraussichtlich darin immer weiter komme». Wenn wir es also anch ganz<lb/>
natürlich finden, daß man in dieser Beziehung die Ansprüche niemals ganz einschla¬<lb/>
fen läßt, so finden wir doch zu einer leidenschaftlichen Berfolgung derselben jetzt kei¬<lb/>
nen Grund mehr. Was deu religiösen Gegensatz betrifft, so ist er allerdings noch<lb/>
vorhanden und wird auch wol nie aufhören, solange es überhaupt Religionen gibt.<lb/>
Die Juden werden doch nicht leugnen wollen, daß von ihrer Seite der Gegensatz<lb/>
wenigstens ebenso oder eigentlich viel mehr empfunden wird, als von der unsrige»,<lb/>
woraus wir ihnen übrigens keinen Vorwurf machen wollen, da sie lange Zeit die<lb/>
Unterdrückten gewesen sind, aber die Juden sollten nie vergessen, daß grade von<lb/>
ihrer Religion die religiöse Exclusivität ausgegangen ist, und daß sie noch von<lb/>
keiner andern erreicht worden sind. Freilich haben die gegenwärtigen Juden an<lb/>
dem Rigorismus ihrer Vorfahre» keine Schuld; aber so etwas rächt sich unaus¬<lb/>
bleiblich in der Geschichte, und die Unschuldigen müssen für die Sünden der Vergangen¬<lb/>
heit büßen. Außerdem ist es mit diesem religiösen Gegensatz gegenwärtig nicht mehr so<lb/>
schlimm, theils die Fortschritte der Humanität, theils auch die Ausgleichung der bürger¬<lb/>
lichen Stellung haben darin das ihrige gethan. Wenn »och einzelne Conflicte daraus<lb/>
entstehen, we»» z. B. eine Jüdin sich erst laufen lassen muß, um einen Christen<lb/>
zu heirathen, so send das ebeu Conflicte, die nicht dem Judenthum ausschließlich<lb/>
angehören. Die Liebe bringt zwischen Adligen und Bürgerlichen ganz ähnliche<lb/>
Kollisionen hervor, und bei dem immer schärfer sich ausbildende» Parteileben<lb/>
wird es an Wiederholungen der Montecchi und Capulelti anch nicht fehlen. Also<lb/>
haben die Juden eigentlich über nichts mehr zu klagen, als über das gesellschaft¬<lb/>
liche Vorurtheil, das ihnen entgegensteht. Aber da müssen sie sich einmal in die<lb/>
Lage ihrer christlichen Mitbürger versetzen. Die am meisten verbreitete Classe<lb/>
der Juden, diejenige, mit der man im bürgerlichen Leben am vielfältigste» ver¬<lb/>
kehrt, si»d die Trödler, die Haussier, die Schacherjude». Auch diese haben zwar<lb/>
viele Vorzüge, durch die sie mauche» Christe» übertreffen, sie sind von einer seltenen<lb/>
Arbeitsamkeit und Ausdauer, sie erfreuen sich eines soliden Familienlebens u. s. w.;<lb/>
aber diese Seiten drängen sich der Cinbildnngskraft nicht ans, sondern man be¬<lb/>
merkt zuerst immer die eigenthümliche Art ihres Geschäftsverkehrs, von der doch</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0509] Die Besprechung der öffentlichen Angelegenheiten enthält nichts Neues und hätte füglich wegbleiben können. Die romantischen Ereignisse sind verständlich erzählt und mit einer ziemlich lebhaften Phantasie dargestellt, der Stil ist häufig incor- rect und verliert sich in Phrasen. Der Hauptinhalt des Buchs sind die Conflicte des Judenthums mit deu gegenwärtigen Staats- und Rechtsverhältnissen. Es ist ganz merkwürdig, wie groß in dieser Beziehung jetzt die Empfindlichkeit gewor¬ den ist. Die politische Emancipation der Juden, d. h. ihre rechtliche Gleich¬ stellung mit den christlichen Staatsbürgern und die Aufhebung der Beschränkungen, die sie vom Eintritt in eine beliebige Carriere abhielten, ist zwar noch nicht völlig durchgesetzt, aber es sind doch überall sehr bedeutende Schritte dafür geschehen, und wir werden voraussichtlich darin immer weiter komme». Wenn wir es also anch ganz natürlich finden, daß man in dieser Beziehung die Ansprüche niemals ganz einschla¬ fen läßt, so finden wir doch zu einer leidenschaftlichen Berfolgung derselben jetzt kei¬ nen Grund mehr. Was deu religiösen Gegensatz betrifft, so ist er allerdings noch vorhanden und wird auch wol nie aufhören, solange es überhaupt Religionen gibt. Die Juden werden doch nicht leugnen wollen, daß von ihrer Seite der Gegensatz wenigstens ebenso oder eigentlich viel mehr empfunden wird, als von der unsrige», woraus wir ihnen übrigens keinen Vorwurf machen wollen, da sie lange Zeit die Unterdrückten gewesen sind, aber die Juden sollten nie vergessen, daß grade von ihrer Religion die religiöse Exclusivität ausgegangen ist, und daß sie noch von keiner andern erreicht worden sind. Freilich haben die gegenwärtigen Juden an dem Rigorismus ihrer Vorfahre» keine Schuld; aber so etwas rächt sich unaus¬ bleiblich in der Geschichte, und die Unschuldigen müssen für die Sünden der Vergangen¬ heit büßen. Außerdem ist es mit diesem religiösen Gegensatz gegenwärtig nicht mehr so schlimm, theils die Fortschritte der Humanität, theils auch die Ausgleichung der bürger¬ lichen Stellung haben darin das ihrige gethan. Wenn »och einzelne Conflicte daraus entstehen, we»» z. B. eine Jüdin sich erst laufen lassen muß, um einen Christen zu heirathen, so send das ebeu Conflicte, die nicht dem Judenthum ausschließlich angehören. Die Liebe bringt zwischen Adligen und Bürgerlichen ganz ähnliche Kollisionen hervor, und bei dem immer schärfer sich ausbildende» Parteileben wird es an Wiederholungen der Montecchi und Capulelti anch nicht fehlen. Also haben die Juden eigentlich über nichts mehr zu klagen, als über das gesellschaft¬ liche Vorurtheil, das ihnen entgegensteht. Aber da müssen sie sich einmal in die Lage ihrer christlichen Mitbürger versetzen. Die am meisten verbreitete Classe der Juden, diejenige, mit der man im bürgerlichen Leben am vielfältigste» ver¬ kehrt, si»d die Trödler, die Haussier, die Schacherjude». Auch diese haben zwar viele Vorzüge, durch die sie mauche» Christe» übertreffen, sie sind von einer seltenen Arbeitsamkeit und Ausdauer, sie erfreuen sich eines soliden Familienlebens u. s. w.; aber diese Seiten drängen sich der Cinbildnngskraft nicht ans, sondern man be¬ merkt zuerst immer die eigenthümliche Art ihres Geschäftsverkehrs, von der doch

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341576_96174
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341576_96174/509
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 12, 1853, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341576_96174/509>, abgerufen am 27.05.2024.