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Die Grenzboten. Jg. 12, 1853, II. Semester. II. Band.

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gewisse, dem Nachdenken zugängliche und von dem Nachdenken wirklich gefundene
Gesetze auflöse, kraft deren sie sich, in Nothwendigkeit und Freiheit zugleich,
vollzieht.--" (S. 67): "Das Volksbewußtsein ist die überwältigende Macht,
welche die Volköangehörigen hindert, daß sie aus der Kindheit heraustreten, . . .
ihr Bewußtsein, ihre Auffassung von Gott, Welt und Natur kommt nie über das
Lkrwoeinari wmMiuri ex vmeuUs hinaus. Daher ist die Form, in der sich alle
geistige Volkserrungenschaft offenbart, nicht die krystallene Durchsichtigkeit des lo¬
gischen Gedankens, in dem sich Inhalt und Form decken, sondern die träumerisch¬
ahnungsvolle der Poesie: mau hat daher in Wahrheit vou der Poesie im Recht
sprechen dürfen.--" (S. 69): ". . Gemütherfrischend, sinnig, poetisch sind diese
RechtSbcstimmuugen: nur muß mau sich hüten, in ihnen, die bestimmen wollen
und solle", ohne Bestimmtheit in Form und Inhalt, die allein der Gedanke hat,
wenn er in der Form deö Gedankens auftritt, aus poetisch-historischem Vorurtheil
eine weit deutlichere und gründlichere Fassung zu erblicken, als die Sprache der
Gesetze und der Fortschritt juristischer Bildung sie zu geben im Staude sind. --"
(S. 78): "Was im Laufe der Zeit mit unablässiger Steigerung an dem untersten
Lebensnerv der überlieferten volksmäßigen RcchtSsitte nagt und in ihr eine Zer¬
störung von innen heraus bewirkt, ist das Leben selbst. Das Leben bringt sich
täglich neu hervor; neue gesellige und damit neue rechtliche Beziehungen tauchen
unaufhörlich im Laufe der Zeiten auf; Frage", die unabweislich ihre Beantwor¬
tung fordern, werden stets von neuem gestellt. . . . Der Schatz der überliefer¬
ten Rechtssitte : . . reicht nicht mehr immer aus, die Combinationen des sich
mehr und mehr ent- und verwickelnden Lebens zu lösen. ... In diesem Sinn
sind die Ncchtsübenden auch in späteren Zeiten . . . dahin geführt, Finder und
Schöffen deö Rechts zu sein. In solcher Thätigkeit sind sie aber gehemmt durch
die objectiv ihnen gegenüberstehende, von den Altvordern überlieferte Rechtssitte,
mit der sie ihr Neugefuudenes in Einklang zu bringen haben . . . das Gefühl
der Unzulänglichkeit des traditionellen Rechts für die Gegenwart erzeugt dann die
bittere Empfindung, daß das, was Rechtens ist, nicht mehr den Bedürfnissen der
Zeit entspricht. . . .


Es erben sich Gesetz und Rechte
Wie eine co'ge Krankheit fort u. s. w." --

Nachdem also der Versasser gezeigt, daß in der Existenz der Volksrechte zu¬
gleich ein Hinderniß für die organische Entwickelung des Rechts liegt, geht er zu
dem römischen Recht über, welches in einem künstlichen Volk entstanden, allmälig
durch organische Fortbildung für die Bewohner des gesammten Erdkreises verarbeitet
wurde. Er geht die ganze römische Geschichte durch, und weist uach, daß sie eine
unausgesetzte Ueberwindung des traditionellen ki'as zu Gunsten deö ^us xentium
war, und daß das so erwachsene Recht als ein absolutes, der Menschheit auge-


gewisse, dem Nachdenken zugängliche und von dem Nachdenken wirklich gefundene
Gesetze auflöse, kraft deren sie sich, in Nothwendigkeit und Freiheit zugleich,
vollzieht.--" (S. 67): „Das Volksbewußtsein ist die überwältigende Macht,
welche die Volköangehörigen hindert, daß sie aus der Kindheit heraustreten, . . .
ihr Bewußtsein, ihre Auffassung von Gott, Welt und Natur kommt nie über das
Lkrwoeinari wmMiuri ex vmeuUs hinaus. Daher ist die Form, in der sich alle
geistige Volkserrungenschaft offenbart, nicht die krystallene Durchsichtigkeit des lo¬
gischen Gedankens, in dem sich Inhalt und Form decken, sondern die träumerisch¬
ahnungsvolle der Poesie: mau hat daher in Wahrheit vou der Poesie im Recht
sprechen dürfen.—" (S. 69): „. . Gemütherfrischend, sinnig, poetisch sind diese
RechtSbcstimmuugen: nur muß mau sich hüten, in ihnen, die bestimmen wollen
und solle», ohne Bestimmtheit in Form und Inhalt, die allein der Gedanke hat,
wenn er in der Form deö Gedankens auftritt, aus poetisch-historischem Vorurtheil
eine weit deutlichere und gründlichere Fassung zu erblicken, als die Sprache der
Gesetze und der Fortschritt juristischer Bildung sie zu geben im Staude sind. —"
(S. 78): „Was im Laufe der Zeit mit unablässiger Steigerung an dem untersten
Lebensnerv der überlieferten volksmäßigen RcchtSsitte nagt und in ihr eine Zer¬
störung von innen heraus bewirkt, ist das Leben selbst. Das Leben bringt sich
täglich neu hervor; neue gesellige und damit neue rechtliche Beziehungen tauchen
unaufhörlich im Laufe der Zeiten auf; Frage», die unabweislich ihre Beantwor¬
tung fordern, werden stets von neuem gestellt. . . . Der Schatz der überliefer¬
ten Rechtssitte : . . reicht nicht mehr immer aus, die Combinationen des sich
mehr und mehr ent- und verwickelnden Lebens zu lösen. ... In diesem Sinn
sind die Ncchtsübenden auch in späteren Zeiten . . . dahin geführt, Finder und
Schöffen deö Rechts zu sein. In solcher Thätigkeit sind sie aber gehemmt durch
die objectiv ihnen gegenüberstehende, von den Altvordern überlieferte Rechtssitte,
mit der sie ihr Neugefuudenes in Einklang zu bringen haben . . . das Gefühl
der Unzulänglichkeit des traditionellen Rechts für die Gegenwart erzeugt dann die
bittere Empfindung, daß das, was Rechtens ist, nicht mehr den Bedürfnissen der
Zeit entspricht. . . .


Es erben sich Gesetz und Rechte
Wie eine co'ge Krankheit fort u. s. w." —

Nachdem also der Versasser gezeigt, daß in der Existenz der Volksrechte zu¬
gleich ein Hinderniß für die organische Entwickelung des Rechts liegt, geht er zu
dem römischen Recht über, welches in einem künstlichen Volk entstanden, allmälig
durch organische Fortbildung für die Bewohner des gesammten Erdkreises verarbeitet
wurde. Er geht die ganze römische Geschichte durch, und weist uach, daß sie eine
unausgesetzte Ueberwindung des traditionellen ki'as zu Gunsten deö ^us xentium
war, und daß das so erwachsene Recht als ein absolutes, der Menschheit auge-


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[0272] gewisse, dem Nachdenken zugängliche und von dem Nachdenken wirklich gefundene Gesetze auflöse, kraft deren sie sich, in Nothwendigkeit und Freiheit zugleich, vollzieht.--" (S. 67): „Das Volksbewußtsein ist die überwältigende Macht, welche die Volköangehörigen hindert, daß sie aus der Kindheit heraustreten, . . . ihr Bewußtsein, ihre Auffassung von Gott, Welt und Natur kommt nie über das Lkrwoeinari wmMiuri ex vmeuUs hinaus. Daher ist die Form, in der sich alle geistige Volkserrungenschaft offenbart, nicht die krystallene Durchsichtigkeit des lo¬ gischen Gedankens, in dem sich Inhalt und Form decken, sondern die träumerisch¬ ahnungsvolle der Poesie: mau hat daher in Wahrheit vou der Poesie im Recht sprechen dürfen.—" (S. 69): „. . Gemütherfrischend, sinnig, poetisch sind diese RechtSbcstimmuugen: nur muß mau sich hüten, in ihnen, die bestimmen wollen und solle», ohne Bestimmtheit in Form und Inhalt, die allein der Gedanke hat, wenn er in der Form deö Gedankens auftritt, aus poetisch-historischem Vorurtheil eine weit deutlichere und gründlichere Fassung zu erblicken, als die Sprache der Gesetze und der Fortschritt juristischer Bildung sie zu geben im Staude sind. —" (S. 78): „Was im Laufe der Zeit mit unablässiger Steigerung an dem untersten Lebensnerv der überlieferten volksmäßigen RcchtSsitte nagt und in ihr eine Zer¬ störung von innen heraus bewirkt, ist das Leben selbst. Das Leben bringt sich täglich neu hervor; neue gesellige und damit neue rechtliche Beziehungen tauchen unaufhörlich im Laufe der Zeiten auf; Frage», die unabweislich ihre Beantwor¬ tung fordern, werden stets von neuem gestellt. . . . Der Schatz der überliefer¬ ten Rechtssitte : . . reicht nicht mehr immer aus, die Combinationen des sich mehr und mehr ent- und verwickelnden Lebens zu lösen. ... In diesem Sinn sind die Ncchtsübenden auch in späteren Zeiten . . . dahin geführt, Finder und Schöffen deö Rechts zu sein. In solcher Thätigkeit sind sie aber gehemmt durch die objectiv ihnen gegenüberstehende, von den Altvordern überlieferte Rechtssitte, mit der sie ihr Neugefuudenes in Einklang zu bringen haben . . . das Gefühl der Unzulänglichkeit des traditionellen Rechts für die Gegenwart erzeugt dann die bittere Empfindung, daß das, was Rechtens ist, nicht mehr den Bedürfnissen der Zeit entspricht. . . . Es erben sich Gesetz und Rechte Wie eine co'ge Krankheit fort u. s. w." — Nachdem also der Versasser gezeigt, daß in der Existenz der Volksrechte zu¬ gleich ein Hinderniß für die organische Entwickelung des Rechts liegt, geht er zu dem römischen Recht über, welches in einem künstlichen Volk entstanden, allmälig durch organische Fortbildung für die Bewohner des gesammten Erdkreises verarbeitet wurde. Er geht die ganze römische Geschichte durch, und weist uach, daß sie eine unausgesetzte Ueberwindung des traditionellen ki'as zu Gunsten deö ^us xentium war, und daß das so erwachsene Recht als ein absolutes, der Menschheit auge-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 12, 1853, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341576_96706/272>, abgerufen am 10.06.2024.