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Die Grenzboten. Jg. 12, 1853, II. Semester. II. Band.

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im werden um so dringender in Anspruch genommen, als ihr einerseits die Mittel
der politischen Action durch ihre eigene Schuld sehr spärlich zugemessen sind und
die Rechte neue Stürme auf die VerfassnngSreste theils klar theils auf Umwegen
angekündigt hat.

Es fehlen der Linken die Mittel politischer Action, denn sie hat ihr Blatt,
selbst als es in der letzten Phase ganz in ihrem Sinne und auch sonst sorgsam
geleitet ward, eingehen lassen, und es ist keine Aussicht vorhanden, daß diese in
der Geschichte politischer Parteiung wol unerhörte Lücke während der bevorstehen¬
den Session ausgefüllt werde. An liberalen Organen ist sonst freilich kein Man¬
gel, aber sie haben sich von dem thätigen Kampfe fast überall zurückgezogen.
Sie leisten in den großen europäischen Fragen, dem russischen und französischen
Einflüsse gegenüber, gute Dienste, aber in unseren häuslichen Angelegenheiten, die
neben der orientalischen vielleicht noch immer einige Bedeutung haben dürften,
wird ihre Theilnahme selbst innerhalb der von der preußischen Verwaltung aller¬
dings ziemlich eng gesteckten Grenzen oft zum Schaden der liberalen Interessen
vermißt. Wir glauben nicht, daß ein Kandidat der constitutionellen Partei im
Kampfe mit einem Beamten oder einem Kreuzzeitungsmaun auf die nachdrückliche
Unterstützung eines Blattes, das sein Programm theilt, rechnen konnte, ja daß
auch nur während der Wahlen eine einigermaßen lebhafte Regsamkeit der libera¬
len Presse im allgemeinen zu erwarten wäre. Schlimm genug, daß es so mit
uns steht und es würde wenig fördern, wollte man die Wahrheit verhehlen, die,
offen und wohlgemeint ausgesprochen, hie und da vielleicht einer guten Ausnahme
begegnet.

Die Rechte weiß es besser anzusaugen. Sie zählt ihre Leute, hält sie wach¬
sam und rüstet sich zur Debatte. Einen großen Erfolg hat sie schon wieder
durchgesetzt. Die erste Kammer bleibt provisorisch erhalten, bis die Provinzial-
nnd Krcisordnungen definitiv geregelt und noch andere Gegenstände, die den
Gegnern Vortheile bringen sollen, erledigt sind. Vor der neuen Pairie scheint
man sich wie vor eiuer unbekannten Größe nachträglich zu fürchten und es sieht
fast so aus, als hätten die Bethmann-Hollwegiauer und mehre Mitglieder der
Linken sich für die Pairie, dieses vermeintliche Schiboleth conservativ-liberaler
Politik, umsonst abgemüht. Man darf auch uicht daran zweifeln, daß die zwei¬
jährige Berufung der Kammern, die Aenderungen des Preßgesetzes, die verstei¬
nernde Concentration des Grundbesitzes und soviel" andere Entwürfe in demselben
Sinne wieder in Angriff genommen werden sollen.

Betrachtet man neben dieser Rührigkeit die Apathie eines Theiles der Op¬
position, so sollte man glauben, diese ruhe schon auf politischen Lorbeeren und sei
durch die unpoetische und kühle Aufgabe eiuer leichten Defensive etwas entnervt.
Und doch liegen die Dinge in der Wirklichkeit anders. Wir haben das Meiste
wieder zu gewinnen und das Letzte, das heißt alles zu verlieren. In solchem


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im werden um so dringender in Anspruch genommen, als ihr einerseits die Mittel
der politischen Action durch ihre eigene Schuld sehr spärlich zugemessen sind und
die Rechte neue Stürme auf die VerfassnngSreste theils klar theils auf Umwegen
angekündigt hat.

Es fehlen der Linken die Mittel politischer Action, denn sie hat ihr Blatt,
selbst als es in der letzten Phase ganz in ihrem Sinne und auch sonst sorgsam
geleitet ward, eingehen lassen, und es ist keine Aussicht vorhanden, daß diese in
der Geschichte politischer Parteiung wol unerhörte Lücke während der bevorstehen¬
den Session ausgefüllt werde. An liberalen Organen ist sonst freilich kein Man¬
gel, aber sie haben sich von dem thätigen Kampfe fast überall zurückgezogen.
Sie leisten in den großen europäischen Fragen, dem russischen und französischen
Einflüsse gegenüber, gute Dienste, aber in unseren häuslichen Angelegenheiten, die
neben der orientalischen vielleicht noch immer einige Bedeutung haben dürften,
wird ihre Theilnahme selbst innerhalb der von der preußischen Verwaltung aller¬
dings ziemlich eng gesteckten Grenzen oft zum Schaden der liberalen Interessen
vermißt. Wir glauben nicht, daß ein Kandidat der constitutionellen Partei im
Kampfe mit einem Beamten oder einem Kreuzzeitungsmaun auf die nachdrückliche
Unterstützung eines Blattes, das sein Programm theilt, rechnen konnte, ja daß
auch nur während der Wahlen eine einigermaßen lebhafte Regsamkeit der libera¬
len Presse im allgemeinen zu erwarten wäre. Schlimm genug, daß es so mit
uns steht und es würde wenig fördern, wollte man die Wahrheit verhehlen, die,
offen und wohlgemeint ausgesprochen, hie und da vielleicht einer guten Ausnahme
begegnet.

Die Rechte weiß es besser anzusaugen. Sie zählt ihre Leute, hält sie wach¬
sam und rüstet sich zur Debatte. Einen großen Erfolg hat sie schon wieder
durchgesetzt. Die erste Kammer bleibt provisorisch erhalten, bis die Provinzial-
nnd Krcisordnungen definitiv geregelt und noch andere Gegenstände, die den
Gegnern Vortheile bringen sollen, erledigt sind. Vor der neuen Pairie scheint
man sich wie vor eiuer unbekannten Größe nachträglich zu fürchten und es sieht
fast so aus, als hätten die Bethmann-Hollwegiauer und mehre Mitglieder der
Linken sich für die Pairie, dieses vermeintliche Schiboleth conservativ-liberaler
Politik, umsonst abgemüht. Man darf auch uicht daran zweifeln, daß die zwei¬
jährige Berufung der Kammern, die Aenderungen des Preßgesetzes, die verstei¬
nernde Concentration des Grundbesitzes und soviel« andere Entwürfe in demselben
Sinne wieder in Angriff genommen werden sollen.

Betrachtet man neben dieser Rührigkeit die Apathie eines Theiles der Op¬
position, so sollte man glauben, diese ruhe schon auf politischen Lorbeeren und sei
durch die unpoetische und kühle Aufgabe eiuer leichten Defensive etwas entnervt.
Und doch liegen die Dinge in der Wirklichkeit anders. Wir haben das Meiste
wieder zu gewinnen und das Letzte, das heißt alles zu verlieren. In solchem


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 12, 1853, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341576_96706/275>, abgerufen am 10.06.2024.