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Die Grenzboten. Jg. 12, 1853, II. Semester. II. Band.

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Augen eines Gerechten Laster genannt werden müssen. Und es steht zu befürch¬
ten, daß die meisten Helden des alten Testaments, an deren Thaten sich unsere
Jugend immer noch bilden soll, nach dem Maßstab unserer Gesetzgebung gemessen,
Kandidaten des Zuchthauses und Zellensystems werden müßten. Wer mit der
culturhistorischen Geschichte aller Zeiten ein wenig vertraut ist, auch die Mühe
nicht scheut, die saftigen Buß- und Strafpredigten der hervorragendste" Kanzel-
redner der letzten Jahrhunderte zu lehren, wird über die sittliche Reinheit der
Väter richtigere Vorstellungen gewinnen.

Fassen wir nun unsere Aufgabe näher ins Auge, so läßt sich die wachsende
Zahl der Strafgesaugenen, namentlich in den preußischen Zuchthäusern, als eine
Folge der großen Umgestaltung aller Verhältnisse in Preußen seit dem Jahre
1807 genau crkcuiieu. Vor dieser Zeit standen unter den Fahnen viele beschol-
tene Menschen, welche ans den verschiedensten Ländern herstammten. Sie bewie¬
sen ans dem Schlachtfeld?, daß Todesverachtung und Tapferkeit mit einer ""sitt¬
lichen Lebensanschauung oft vereinigt sind. Körperliche Züchtigungen, besonders
das Spießrutheulaufeu, die Einstellung in die Garnisonregimenter ersetzten die
Gefängniß- oder Zuchthausstrafe. Die Familien und Communen befreiten sich
damals durch Einstellung in die Armee ihrer sittlich heruntergekommenen Ange¬
hörigen, wie man sich heilte durch Auswanderung von ihnen zu befreie" sucht.
Die meiste" Hinrichtungen kamen damals in der Armee vor. Nach der Umge¬
staltung des Heeres blieb dieses keine Fontanelle mehr und was sittlichen Banke¬
rott machte, füllte allmälig die Gefängnisse.

Die Verwilderung, als eine Folge jedes Krieges, ließ auch nach den Be¬
freiungskriegen einen kleinen Theil der entlassenen Soldaten zu einem geordneten
Leben nicht zurückkehren und die dnrch den Krieg entstandene Verarmung wirkte
hier und da nachtheilig auf die Vermehr"ng der Verbreche".

Mit der Stein-Hardenbergschcn Reorganisation des Staates veränderte sich
völlig die Lage der Bevölkerung. Unter der Leibeigenschaft, bei der strengen
Scheidung von Stadt und Land, konnte von einer Freizügigkeit, einer freien Wahl
der. Arbeit und des Berufes nicht die Rede sein. Die an die Scholle gebunde¬
nen Bewohner des flachen Landes standen unter der Botmäßigkeit ihrer Grund-'
Herren. Das alte Jn"u"gswese" mit seinem Zwange, die Zoll- und Handels¬
schranken hinderten außerdem die freie Bewegung nach allen Seiten und mit
Aufhebung dieser unnatürlichen Fesseln trat ein Kommen und Gehen, ein Steigen
und Sinken, ein Berühren und Abstoßen ein, durch welches Ackerbau und Industrie,
der Wohlstand des Volkes gefördert wurden. Wenn auf diesem Felde der Arbeit
auch ein Theil der Kämpfer zu Grunde ging, in seiner materiellen Verstümmelung
in Armenarbeitshäusern und Gefängnissen untergebracht werden mußte, so ist es
nicht ausfallend, daß diese Anstalten die letzte traurige Versorgungsanstalt für die
gesunkenen Invaliden der Arbeit blieben.


Grcuztwlcn, IV. ->8UiZ. 37

Augen eines Gerechten Laster genannt werden müssen. Und es steht zu befürch¬
ten, daß die meisten Helden des alten Testaments, an deren Thaten sich unsere
Jugend immer noch bilden soll, nach dem Maßstab unserer Gesetzgebung gemessen,
Kandidaten des Zuchthauses und Zellensystems werden müßten. Wer mit der
culturhistorischen Geschichte aller Zeiten ein wenig vertraut ist, auch die Mühe
nicht scheut, die saftigen Buß- und Strafpredigten der hervorragendste» Kanzel-
redner der letzten Jahrhunderte zu lehren, wird über die sittliche Reinheit der
Väter richtigere Vorstellungen gewinnen.

Fassen wir nun unsere Aufgabe näher ins Auge, so läßt sich die wachsende
Zahl der Strafgesaugenen, namentlich in den preußischen Zuchthäusern, als eine
Folge der großen Umgestaltung aller Verhältnisse in Preußen seit dem Jahre
1807 genau crkcuiieu. Vor dieser Zeit standen unter den Fahnen viele beschol-
tene Menschen, welche ans den verschiedensten Ländern herstammten. Sie bewie¬
sen ans dem Schlachtfeld?, daß Todesverachtung und Tapferkeit mit einer »»sitt¬
lichen Lebensanschauung oft vereinigt sind. Körperliche Züchtigungen, besonders
das Spießrutheulaufeu, die Einstellung in die Garnisonregimenter ersetzten die
Gefängniß- oder Zuchthausstrafe. Die Familien und Communen befreiten sich
damals durch Einstellung in die Armee ihrer sittlich heruntergekommenen Ange¬
hörigen, wie man sich heilte durch Auswanderung von ihnen zu befreie» sucht.
Die meiste» Hinrichtungen kamen damals in der Armee vor. Nach der Umge¬
staltung des Heeres blieb dieses keine Fontanelle mehr und was sittlichen Banke¬
rott machte, füllte allmälig die Gefängnisse.

Die Verwilderung, als eine Folge jedes Krieges, ließ auch nach den Be¬
freiungskriegen einen kleinen Theil der entlassenen Soldaten zu einem geordneten
Leben nicht zurückkehren und die dnrch den Krieg entstandene Verarmung wirkte
hier und da nachtheilig auf die Vermehr»ng der Verbreche».

Mit der Stein-Hardenbergschcn Reorganisation des Staates veränderte sich
völlig die Lage der Bevölkerung. Unter der Leibeigenschaft, bei der strengen
Scheidung von Stadt und Land, konnte von einer Freizügigkeit, einer freien Wahl
der. Arbeit und des Berufes nicht die Rede sein. Die an die Scholle gebunde¬
nen Bewohner des flachen Landes standen unter der Botmäßigkeit ihrer Grund-'
Herren. Das alte Jn»u»gswese» mit seinem Zwange, die Zoll- und Handels¬
schranken hinderten außerdem die freie Bewegung nach allen Seiten und mit
Aufhebung dieser unnatürlichen Fesseln trat ein Kommen und Gehen, ein Steigen
und Sinken, ein Berühren und Abstoßen ein, durch welches Ackerbau und Industrie,
der Wohlstand des Volkes gefördert wurden. Wenn auf diesem Felde der Arbeit
auch ein Theil der Kämpfer zu Grunde ging, in seiner materiellen Verstümmelung
in Armenarbeitshäusern und Gefängnissen untergebracht werden mußte, so ist es
nicht ausfallend, daß diese Anstalten die letzte traurige Versorgungsanstalt für die
gesunkenen Invaliden der Arbeit blieben.


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[0297] Augen eines Gerechten Laster genannt werden müssen. Und es steht zu befürch¬ ten, daß die meisten Helden des alten Testaments, an deren Thaten sich unsere Jugend immer noch bilden soll, nach dem Maßstab unserer Gesetzgebung gemessen, Kandidaten des Zuchthauses und Zellensystems werden müßten. Wer mit der culturhistorischen Geschichte aller Zeiten ein wenig vertraut ist, auch die Mühe nicht scheut, die saftigen Buß- und Strafpredigten der hervorragendste» Kanzel- redner der letzten Jahrhunderte zu lehren, wird über die sittliche Reinheit der Väter richtigere Vorstellungen gewinnen. Fassen wir nun unsere Aufgabe näher ins Auge, so läßt sich die wachsende Zahl der Strafgesaugenen, namentlich in den preußischen Zuchthäusern, als eine Folge der großen Umgestaltung aller Verhältnisse in Preußen seit dem Jahre 1807 genau crkcuiieu. Vor dieser Zeit standen unter den Fahnen viele beschol- tene Menschen, welche ans den verschiedensten Ländern herstammten. Sie bewie¬ sen ans dem Schlachtfeld?, daß Todesverachtung und Tapferkeit mit einer »»sitt¬ lichen Lebensanschauung oft vereinigt sind. Körperliche Züchtigungen, besonders das Spießrutheulaufeu, die Einstellung in die Garnisonregimenter ersetzten die Gefängniß- oder Zuchthausstrafe. Die Familien und Communen befreiten sich damals durch Einstellung in die Armee ihrer sittlich heruntergekommenen Ange¬ hörigen, wie man sich heilte durch Auswanderung von ihnen zu befreie» sucht. Die meiste» Hinrichtungen kamen damals in der Armee vor. Nach der Umge¬ staltung des Heeres blieb dieses keine Fontanelle mehr und was sittlichen Banke¬ rott machte, füllte allmälig die Gefängnisse. Die Verwilderung, als eine Folge jedes Krieges, ließ auch nach den Be¬ freiungskriegen einen kleinen Theil der entlassenen Soldaten zu einem geordneten Leben nicht zurückkehren und die dnrch den Krieg entstandene Verarmung wirkte hier und da nachtheilig auf die Vermehr»ng der Verbreche». Mit der Stein-Hardenbergschcn Reorganisation des Staates veränderte sich völlig die Lage der Bevölkerung. Unter der Leibeigenschaft, bei der strengen Scheidung von Stadt und Land, konnte von einer Freizügigkeit, einer freien Wahl der. Arbeit und des Berufes nicht die Rede sein. Die an die Scholle gebunde¬ nen Bewohner des flachen Landes standen unter der Botmäßigkeit ihrer Grund-' Herren. Das alte Jn»u»gswese» mit seinem Zwange, die Zoll- und Handels¬ schranken hinderten außerdem die freie Bewegung nach allen Seiten und mit Aufhebung dieser unnatürlichen Fesseln trat ein Kommen und Gehen, ein Steigen und Sinken, ein Berühren und Abstoßen ein, durch welches Ackerbau und Industrie, der Wohlstand des Volkes gefördert wurden. Wenn auf diesem Felde der Arbeit auch ein Theil der Kämpfer zu Grunde ging, in seiner materiellen Verstümmelung in Armenarbeitshäusern und Gefängnissen untergebracht werden mußte, so ist es nicht ausfallend, daß diese Anstalten die letzte traurige Versorgungsanstalt für die gesunkenen Invaliden der Arbeit blieben. Grcuztwlcn, IV. ->8UiZ. 37

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 12, 1853, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341576_96706/297>, abgerufen am 10.06.2024.