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Die Grenzboten. Jg. 12, 1853, II. Semester. II. Band.

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regeln, gegen die gesetzwidrige" Ausbrüche der arbeitenden Classen, die, durch schwär¬
mende Demagogen "erführe, dem Einflüsse sich ergaben, welcher so leicht sich in
Zeiten geltend machen kann, wo man ans dem Zustande des Krieges in den des
Friedens zurückkehrt; ein Umstand, der seine UnPopularität nur noch vermehrte.

Lord Castlereagh verwaltete in der letzten Zeit seines Lebens das Departement
des Innern und der auswärtigen Angelegenheiten: der Zustand von Europa in der
ersten Hälfte des Jahres 1822 erheischte fortwährende Communicationen mit den
verschiedenen Höfen, aber keine Depesche ging vom auswärtigen Amte aus, die
nicht von ihm geschrieben wäre. Der Masse der Geschäfte, den Anstrengungen
der parlamentarischen Feldzüge, in denen er die Hanptbnrde trug, erlag endlich
sein Geist und Körper. Am 12. August 1822 durchschnitt er sich mit einem
Federmesser die Halspulsader, nachdem er "och am 9. Angust bei dem Könige
Audienz gehabt. Die Geschwornen der Cvroncrs thaten den Ausspruch, daß
diese Katastrophe durch geistige Zerrüttung herbeigeführt worden sei. Der Be¬
stattung wohnten alle Personen von Rang und Auszeichnung und aller Parteien
bei, und die Volksmassen in den Straßen verhielten sich achtungsvoll und lo¬
benswert!).

Lord Castlereagh war Freund und Rath der Armen und Unglücklichen, und ein
Verehrer und Förderer wissenschaftlicher und künstlerischer Bestrebungen. Er,begrün-
dete die Belfast-Akademie und die Gallsche Gesellschaft (Kaolie Soeietx) in
Dudu", die Schriftsteller in der alten Hersischen Sprache (deö schottischen Hoch¬
landes) und Uebersetzungen vou seltenen Werken herausgab. Im Privatleben
war er freundlich, mäßig in den Genüssen, einfach in seiner äußern Erscheinung.
In seinen Amtsfnnctiouen beobachtete er eine ununterbrochene Thätigkeit. Es
war ihm dabei Grundsatz, daß der Departemcntschef verpflichtet sei, die ihm Un¬
tergebene" zu schirmen und zu stützen, daher namentlich bei diesen sein Tod eine
tiefe Theilnahme erregte.

Als Staatsmann ist Lord Castlereagh von Brougham in den "Historischen
Skizzen der Staatsmänner unter der Regierung Georgs IU." hart getadelt worden.
Castlereagh war ein Reaktionär - der erklärte Feind alles dessen, was man Parlaments-
reform nannte. Sein Bruder, der Marquis vou Londondcrrv, sagt von ihm: " Stets
blieb er dabei stehen, daß in einem Repräsentativstaat die Präponderanz des
Eigenthums und der höheren Stellung nützlicher sei, als die der Massenrediier oder
armseliger Abenteurer (!). Nach seiner Ansicht war die Ernennung einer gewissen
Anzahl von Wahlflecken minder gefährlich, als die Verdoppelung der Anzahl
corrupter (!) Wahlbürger, und die legislative" Maßregel" würden wahrscheinlicher
sich gut und vortheilhaft in den Händen dessen erweisen, der an dem Lande einen
materiellen Antheil besäße, als in denen, die keinen solchen habe". Er war kein
Freund eines Systems, das von Menschen geleitet wurde, deren Einfluß nur in
der Verkuppelung mit den niedrigen Interessen und den noch niedrigeren Leiden-


ii*

regeln, gegen die gesetzwidrige» Ausbrüche der arbeitenden Classen, die, durch schwär¬
mende Demagogen »erführe, dem Einflüsse sich ergaben, welcher so leicht sich in
Zeiten geltend machen kann, wo man ans dem Zustande des Krieges in den des
Friedens zurückkehrt; ein Umstand, der seine UnPopularität nur noch vermehrte.

Lord Castlereagh verwaltete in der letzten Zeit seines Lebens das Departement
des Innern und der auswärtigen Angelegenheiten: der Zustand von Europa in der
ersten Hälfte des Jahres 1822 erheischte fortwährende Communicationen mit den
verschiedenen Höfen, aber keine Depesche ging vom auswärtigen Amte aus, die
nicht von ihm geschrieben wäre. Der Masse der Geschäfte, den Anstrengungen
der parlamentarischen Feldzüge, in denen er die Hanptbnrde trug, erlag endlich
sein Geist und Körper. Am 12. August 1822 durchschnitt er sich mit einem
Federmesser die Halspulsader, nachdem er »och am 9. Angust bei dem Könige
Audienz gehabt. Die Geschwornen der Cvroncrs thaten den Ausspruch, daß
diese Katastrophe durch geistige Zerrüttung herbeigeführt worden sei. Der Be¬
stattung wohnten alle Personen von Rang und Auszeichnung und aller Parteien
bei, und die Volksmassen in den Straßen verhielten sich achtungsvoll und lo¬
benswert!).

Lord Castlereagh war Freund und Rath der Armen und Unglücklichen, und ein
Verehrer und Förderer wissenschaftlicher und künstlerischer Bestrebungen. Er,begrün-
dete die Belfast-Akademie und die Gallsche Gesellschaft (Kaolie Soeietx) in
Dudu», die Schriftsteller in der alten Hersischen Sprache (deö schottischen Hoch¬
landes) und Uebersetzungen vou seltenen Werken herausgab. Im Privatleben
war er freundlich, mäßig in den Genüssen, einfach in seiner äußern Erscheinung.
In seinen Amtsfnnctiouen beobachtete er eine ununterbrochene Thätigkeit. Es
war ihm dabei Grundsatz, daß der Departemcntschef verpflichtet sei, die ihm Un¬
tergebene» zu schirmen und zu stützen, daher namentlich bei diesen sein Tod eine
tiefe Theilnahme erregte.

Als Staatsmann ist Lord Castlereagh von Brougham in den „Historischen
Skizzen der Staatsmänner unter der Regierung Georgs IU." hart getadelt worden.
Castlereagh war ein Reaktionär - der erklärte Feind alles dessen, was man Parlaments-
reform nannte. Sein Bruder, der Marquis vou Londondcrrv, sagt von ihm: „ Stets
blieb er dabei stehen, daß in einem Repräsentativstaat die Präponderanz des
Eigenthums und der höheren Stellung nützlicher sei, als die der Massenrediier oder
armseliger Abenteurer (!). Nach seiner Ansicht war die Ernennung einer gewissen
Anzahl von Wahlflecken minder gefährlich, als die Verdoppelung der Anzahl
corrupter (!) Wahlbürger, und die legislative» Maßregel» würden wahrscheinlicher
sich gut und vortheilhaft in den Händen dessen erweisen, der an dem Lande einen
materiellen Antheil besäße, als in denen, die keinen solchen habe». Er war kein
Freund eines Systems, das von Menschen geleitet wurde, deren Einfluß nur in
der Verkuppelung mit den niedrigen Interessen und den noch niedrigeren Leiden-


ii*
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[0355] regeln, gegen die gesetzwidrige» Ausbrüche der arbeitenden Classen, die, durch schwär¬ mende Demagogen »erführe, dem Einflüsse sich ergaben, welcher so leicht sich in Zeiten geltend machen kann, wo man ans dem Zustande des Krieges in den des Friedens zurückkehrt; ein Umstand, der seine UnPopularität nur noch vermehrte. Lord Castlereagh verwaltete in der letzten Zeit seines Lebens das Departement des Innern und der auswärtigen Angelegenheiten: der Zustand von Europa in der ersten Hälfte des Jahres 1822 erheischte fortwährende Communicationen mit den verschiedenen Höfen, aber keine Depesche ging vom auswärtigen Amte aus, die nicht von ihm geschrieben wäre. Der Masse der Geschäfte, den Anstrengungen der parlamentarischen Feldzüge, in denen er die Hanptbnrde trug, erlag endlich sein Geist und Körper. Am 12. August 1822 durchschnitt er sich mit einem Federmesser die Halspulsader, nachdem er »och am 9. Angust bei dem Könige Audienz gehabt. Die Geschwornen der Cvroncrs thaten den Ausspruch, daß diese Katastrophe durch geistige Zerrüttung herbeigeführt worden sei. Der Be¬ stattung wohnten alle Personen von Rang und Auszeichnung und aller Parteien bei, und die Volksmassen in den Straßen verhielten sich achtungsvoll und lo¬ benswert!). Lord Castlereagh war Freund und Rath der Armen und Unglücklichen, und ein Verehrer und Förderer wissenschaftlicher und künstlerischer Bestrebungen. Er,begrün- dete die Belfast-Akademie und die Gallsche Gesellschaft (Kaolie Soeietx) in Dudu», die Schriftsteller in der alten Hersischen Sprache (deö schottischen Hoch¬ landes) und Uebersetzungen vou seltenen Werken herausgab. Im Privatleben war er freundlich, mäßig in den Genüssen, einfach in seiner äußern Erscheinung. In seinen Amtsfnnctiouen beobachtete er eine ununterbrochene Thätigkeit. Es war ihm dabei Grundsatz, daß der Departemcntschef verpflichtet sei, die ihm Un¬ tergebene» zu schirmen und zu stützen, daher namentlich bei diesen sein Tod eine tiefe Theilnahme erregte. Als Staatsmann ist Lord Castlereagh von Brougham in den „Historischen Skizzen der Staatsmänner unter der Regierung Georgs IU." hart getadelt worden. Castlereagh war ein Reaktionär - der erklärte Feind alles dessen, was man Parlaments- reform nannte. Sein Bruder, der Marquis vou Londondcrrv, sagt von ihm: „ Stets blieb er dabei stehen, daß in einem Repräsentativstaat die Präponderanz des Eigenthums und der höheren Stellung nützlicher sei, als die der Massenrediier oder armseliger Abenteurer (!). Nach seiner Ansicht war die Ernennung einer gewissen Anzahl von Wahlflecken minder gefährlich, als die Verdoppelung der Anzahl corrupter (!) Wahlbürger, und die legislative» Maßregel» würden wahrscheinlicher sich gut und vortheilhaft in den Händen dessen erweisen, der an dem Lande einen materiellen Antheil besäße, als in denen, die keinen solchen habe». Er war kein Freund eines Systems, das von Menschen geleitet wurde, deren Einfluß nur in der Verkuppelung mit den niedrigen Interessen und den noch niedrigeren Leiden- ii*

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 12, 1853, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341576_96706/355>, abgerufen am 10.06.2024.