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Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, II. Semester. III. Band.

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einem großen Knittel auf ihn los. Beide wurden unter einem entsetzlichen
Hagel von Schimpfworten handgemein und es regnete von beiden Seiten
Prügel, daß es krachte; da nahm ich meinen russischen Kantschu, den ich für
unvorhergesehene Fälle schon vor einigen Tagen aus einem meiner Mantelsäcke
hervorgeholt hatte, schlich mich leise rückwärts an die Kämpfenden heran und
begann plötzlich aus dem Hinterhalte ein so unerwartetes und wirksames Pe¬
lotonfeuer mit dem Kantschu auf den Rücken dieses verdammten arabischen
Lumpenhundes loszulassen, daß er so perpler wurde, als wären ihm alle Pla¬
neten mit sammt dem Monde auf die Nase gefallen. Ich setzte aber meine
aggressive Operation so rasch, durchgreifend und ununterbrochen fort, daß er
sich durch einen plötzlichen Sprung in den Nil aus dem Bereiche meines
Kantschuh machte. Er schwamm quer über den Strom; der Reis schimpfte ihm
noch lange nach, der andere gab, sich im Schwimmen umwendend, alles ge¬
treulich zurück, bis es endlich beide überdrüssig wurden und ich mich schlafen
legte." --




Neue Romane.
Boz (Dickens). Harte Zeiten. Aus dem Englischen von Julius Seybt.
Leipzig, Lorck. --

Der Beginn eines neuen Werks von Dickens erfüllt das gesammte Lesc-
publicum der verschiedenen Welttheile mit einer aufmerksamen Freude, die selten
einem Dichter zu Theil geworden ist und die von der strengsten Kritik durchaus
gebilligt werden muß. Denn wie stark auch namentlich in seinen letzten
Schriften die Verirrungen einer Phantasie hervortreten, die sich zu sehr in
humoristischen Idealen bewegt hat, und eines Urtheils, welches durch zu scharfe
Beobachtung der Kehrseiten des menschlichen Lebens an Unbefangenheit ein¬
gebüßt hat, so ist doch in seinem schwächsten Werke immer etwas vorhanden,
welches ihn scharf von den meisten seiner schreibenden Zeitgenossen unterscheidet,
nämlich echte Poesie. Dickens hat die Begabung, die gebildete wie die un¬
gebildete Einbildungskraft dahin zu führen, wohin er will, da er nicht blos
rhetorisch ans sie einwirkt, wie die meisten modernen Belletristen, sondern das
Wasser des Lebens unter seinem Zauberstabe wirklich hervorquellen läßt. Er
hat ferner ein reines und kräftiges Gemüth, welches zwar zu Zeiten von einer
unfruchtbaren Hypochondrie umdüstert, aber nie erstickt werden kann und welches
jenen wohlthuenden Nachklang in unsrer Seele zurückläßt, der nie ausbleibt,
wo sie von einem wirklichen Dichter berührt wird. -- Wir können über das


Grenzboten. III. 18si. "17

einem großen Knittel auf ihn los. Beide wurden unter einem entsetzlichen
Hagel von Schimpfworten handgemein und es regnete von beiden Seiten
Prügel, daß es krachte; da nahm ich meinen russischen Kantschu, den ich für
unvorhergesehene Fälle schon vor einigen Tagen aus einem meiner Mantelsäcke
hervorgeholt hatte, schlich mich leise rückwärts an die Kämpfenden heran und
begann plötzlich aus dem Hinterhalte ein so unerwartetes und wirksames Pe¬
lotonfeuer mit dem Kantschu auf den Rücken dieses verdammten arabischen
Lumpenhundes loszulassen, daß er so perpler wurde, als wären ihm alle Pla¬
neten mit sammt dem Monde auf die Nase gefallen. Ich setzte aber meine
aggressive Operation so rasch, durchgreifend und ununterbrochen fort, daß er
sich durch einen plötzlichen Sprung in den Nil aus dem Bereiche meines
Kantschuh machte. Er schwamm quer über den Strom; der Reis schimpfte ihm
noch lange nach, der andere gab, sich im Schwimmen umwendend, alles ge¬
treulich zurück, bis es endlich beide überdrüssig wurden und ich mich schlafen
legte." —




Neue Romane.
Boz (Dickens). Harte Zeiten. Aus dem Englischen von Julius Seybt.
Leipzig, Lorck. —

Der Beginn eines neuen Werks von Dickens erfüllt das gesammte Lesc-
publicum der verschiedenen Welttheile mit einer aufmerksamen Freude, die selten
einem Dichter zu Theil geworden ist und die von der strengsten Kritik durchaus
gebilligt werden muß. Denn wie stark auch namentlich in seinen letzten
Schriften die Verirrungen einer Phantasie hervortreten, die sich zu sehr in
humoristischen Idealen bewegt hat, und eines Urtheils, welches durch zu scharfe
Beobachtung der Kehrseiten des menschlichen Lebens an Unbefangenheit ein¬
gebüßt hat, so ist doch in seinem schwächsten Werke immer etwas vorhanden,
welches ihn scharf von den meisten seiner schreibenden Zeitgenossen unterscheidet,
nämlich echte Poesie. Dickens hat die Begabung, die gebildete wie die un¬
gebildete Einbildungskraft dahin zu führen, wohin er will, da er nicht blos
rhetorisch ans sie einwirkt, wie die meisten modernen Belletristen, sondern das
Wasser des Lebens unter seinem Zauberstabe wirklich hervorquellen läßt. Er
hat ferner ein reines und kräftiges Gemüth, welches zwar zu Zeiten von einer
unfruchtbaren Hypochondrie umdüstert, aber nie erstickt werden kann und welches
jenen wohlthuenden Nachklang in unsrer Seele zurückläßt, der nie ausbleibt,
wo sie von einem wirklichen Dichter berührt wird. — Wir können über das


Grenzboten. III. 18si. "17
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341578_281149/137>, abgerufen am 28.05.2024.