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Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, II. Semester. III. Band.

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dem stellen Felöhange etwa siebenzig Fuß niederrutschend, zwei Räder verlor
und die Deichsel brach. Nichtsdestoweniger konnte drei Stunden darnach die
Reise fortgesetzt werden. Auch diesmal hielt uns der Unfall nicht lange auf.
Das zerbrochene Rad, aus dessen Felgenkranz ein ganzes Stück ausgefallen
war, wurde bewunderungswürdig schnell wiederhergestellt und die Reise sodann
ohne weitern Verzug sortgesetzt.

Das Terrain rings um uns her war inzwischen mehr und mehr zu einer
wellenförmigen Ebene geworden. Die Berge traten rechts und links zurück
und lagen, als Grenzlinien der Aussicht, sern am Horizont. So von weitem
gesehen nehmen sich die Helden des Balkans auch hier ganz stattlich aus. Die¬
ses gilt auch von dem nordwärts von Schumla hinlaufenden Zuge, und zwar
um so mehr, als er mit seinem Fuße, ohne weitverzweigte Vorberge, frei auf
der Ebene steht.

Die Sonne war schon über Mittag weit hinaus, als wir am westlichen
Horizont eine Bergkuppe auftauchen sahen, welche, unverbunden nach rechts
und links, in der uns umgebenden Bergkette ein Glied sür sich auszumachen
schien. Es war Schumlas berühmtes Hochplateau. Das Terrain vor der
Position ist ein wellenförmiges und läßt darum, jenachdem man sich aus der
Höhe der langgestreckten Hügel oder am Fuße derselben befindet, jene bald im
weiteren, bald im kleineren Umfange erkennen. Zuweilen verschwand sie, frei¬
lich nur auf kurze Zeit, gänzlich, um dann, wenn die nächste Erhebung erreicht
war, um so klarer wieder hervorzutreten.

Man kann nicht eben behaupten, daß Schumla den Eindruck einer starken
Stellung macht. Die meisten, welche sich demselben nahen, werden im Gegen¬
theil ihre Erwartungen in dieser Hinsicht getäuscht finden. Sie haben sich
Höhen vorgestellt, welche fast ringsumher unaccessibel sind, und finden nun
die Hänge derselben minder schroff und der Besteigung keineswegs unüber¬
windliche Hindernisse entgegensetzend. Unter zehn werden neun Militärs beim
Einfahren in die engen Straßen der Stadt die Ueberzeugung hegen, daß die
.Stärke von Schumla bislang nur eine Fiction gewesen und daß die Russen
sich absichtliche Uebertreibungen rücksichtlich dieser Position zu Schulden kommen
ließen, um ihre vielfachen Mißerfolge vor derselben zu entschuldigen.

Die Stadt Schumla, eine der größten oder vielleicht unbedingt die größte
in ganz Bulgarien, liegt in der nach Nordosten gewendeten hufeisenförmigen
Oeffnung der- Berggruppe und ist rings von einer schwachen Enceinte einge¬
faßt. Vor derselben, und zwar in weiten Zwischenräumen, liegen die de-
tachirten Forts, welche das eigentliche Lager formiren und gegen, die vorliegende
Ebene abschließen. Auf einer halbverfallenen Brücke überschritten wir den
Bach, welcher den Lagerraum durchfließt, und eine halbe Stunde darnach pas-
sirten wir die Enceinte. Es war uns ein in letzter Zeit vielfach erwähntes


dem stellen Felöhange etwa siebenzig Fuß niederrutschend, zwei Räder verlor
und die Deichsel brach. Nichtsdestoweniger konnte drei Stunden darnach die
Reise fortgesetzt werden. Auch diesmal hielt uns der Unfall nicht lange auf.
Das zerbrochene Rad, aus dessen Felgenkranz ein ganzes Stück ausgefallen
war, wurde bewunderungswürdig schnell wiederhergestellt und die Reise sodann
ohne weitern Verzug sortgesetzt.

Das Terrain rings um uns her war inzwischen mehr und mehr zu einer
wellenförmigen Ebene geworden. Die Berge traten rechts und links zurück
und lagen, als Grenzlinien der Aussicht, sern am Horizont. So von weitem
gesehen nehmen sich die Helden des Balkans auch hier ganz stattlich aus. Die¬
ses gilt auch von dem nordwärts von Schumla hinlaufenden Zuge, und zwar
um so mehr, als er mit seinem Fuße, ohne weitverzweigte Vorberge, frei auf
der Ebene steht.

Die Sonne war schon über Mittag weit hinaus, als wir am westlichen
Horizont eine Bergkuppe auftauchen sahen, welche, unverbunden nach rechts
und links, in der uns umgebenden Bergkette ein Glied sür sich auszumachen
schien. Es war Schumlas berühmtes Hochplateau. Das Terrain vor der
Position ist ein wellenförmiges und läßt darum, jenachdem man sich aus der
Höhe der langgestreckten Hügel oder am Fuße derselben befindet, jene bald im
weiteren, bald im kleineren Umfange erkennen. Zuweilen verschwand sie, frei¬
lich nur auf kurze Zeit, gänzlich, um dann, wenn die nächste Erhebung erreicht
war, um so klarer wieder hervorzutreten.

Man kann nicht eben behaupten, daß Schumla den Eindruck einer starken
Stellung macht. Die meisten, welche sich demselben nahen, werden im Gegen¬
theil ihre Erwartungen in dieser Hinsicht getäuscht finden. Sie haben sich
Höhen vorgestellt, welche fast ringsumher unaccessibel sind, und finden nun
die Hänge derselben minder schroff und der Besteigung keineswegs unüber¬
windliche Hindernisse entgegensetzend. Unter zehn werden neun Militärs beim
Einfahren in die engen Straßen der Stadt die Ueberzeugung hegen, daß die
.Stärke von Schumla bislang nur eine Fiction gewesen und daß die Russen
sich absichtliche Uebertreibungen rücksichtlich dieser Position zu Schulden kommen
ließen, um ihre vielfachen Mißerfolge vor derselben zu entschuldigen.

Die Stadt Schumla, eine der größten oder vielleicht unbedingt die größte
in ganz Bulgarien, liegt in der nach Nordosten gewendeten hufeisenförmigen
Oeffnung der- Berggruppe und ist rings von einer schwachen Enceinte einge¬
faßt. Vor derselben, und zwar in weiten Zwischenräumen, liegen die de-
tachirten Forts, welche das eigentliche Lager formiren und gegen, die vorliegende
Ebene abschließen. Auf einer halbverfallenen Brücke überschritten wir den
Bach, welcher den Lagerraum durchfließt, und eine halbe Stunde darnach pas-
sirten wir die Enceinte. Es war uns ein in letzter Zeit vielfach erwähntes


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341578_281149/194>, abgerufen am 27.05.2024.