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Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, II. Semester. III. Band.

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tung und Kritik des Materials alles geleistet worden, was nach den vorhan¬
denen Vorarbeiten dem Verfasser möglich war.

Wir müssen hier einen andern Gesichtspunkt festhalten. So sehr sich der
Verfasser innerhalb der Grenzen strenger Wissenschaftlichkeit und einer bestimm¬
ten monographischen Untersuchung zu halten bemüht, so macht es doch der
Gegenstand unmöglich, alle Beziehungen zur welthistorischen Bedeutung des
Papstthums auszuschließen. Da ohnedies die Form nicht schwerfällig ist, im
Gegentheil anschaulich und subjectiv belebt, so wird auch ohne Zweifel das
größere Publicum davon Notiz nehmen, und es ist daher nöthig, den Sinn
festzustellen, in welchem der Verfasser die Geschichte des Papstthums aufge¬
faßt hat.

Zunächst bemerken wir, daß von jener bezaubernden, aber gefährlichen
Objectivität, an welche uns Ranke bei diesem Gegenstand gewöhnt hat, keine
Rede ist. Im Gegentheil spricht der Verfasser überall sein Urtheil unverholen
und sogar mit einer gewissen Schärfe und Bitterkeit aus. Als Probe wollen
wir das Urtheil über die bekannte Entscheidung anführen, welche Papst Za-
charias dem Hausmeier Pipin, der die Königswürde usurpiren wollte, er¬
theilte. "Eine frechere Verhöhnung der Legitimität, des göttlichen Rechts der
Gesalbten, durch einen noch dazu zu den Heiligen der katholischen Kirche zäh'
leuten Stellvertreter Christi auf Erden, als die in Rede stehende, kennt die
Geschichte nicht; drängt sich uns doch unwillkürlich die Frage auf: wen"
Weichlichkeit und Unthätigkeit des Monarchen Kronenraub rechtfertigen könne",
hätte da nicht die große Mehrzahl der Könige und Fürsten der Jahrhunderte,
die hinter uns liegen, durch ehrgeizige Premierminister mit demselben Fug
und Recht vom Throne gestoßen werden dürfen, wie Childerich Hi. ? Der "eng
nicht wenig erstaunt gewesen sein, als er eines schönen Märzmorgens >>"
Jahre 732 mit seiner Ochsenpost vor den zu Soissons versammelten Großen
des Reichs erscheinen und dort die Neuigkeit erfahren mußte, daß er, Enkel
Chlodwigs, des großen Gründers der fränkischen Monarchie, mit Unrecht die
Königskrone trage und sie, nach dem Ausspruche des Stellvertreters Christ
auf Erden, von Rechtswegen seinem seitherigen ersten Beamten überlassen
müsse! Diesem vom heiligen Papste Zacharias gefällten Gottesurtheile zufolge
spendete der heilige Bonifacius, der Deutschen Apostel und Pipins guter
Freund, im Auftrage des erstem dem Usurpator mir eignen geweihten Händen
die königliche Salbung (also zwei Heilige, die aus Nützlichkeitsgründen einen
Krondiebstahl legitimirten!) die jenem und wol auch der Mehrheit der Nation
jedoch nicht genügte, um seiner falschen Münze das Gepräge der echten Z"
geben."er¬

Wir haben diese Stelle angeführt, um zu zeigen, wie wenig der V
fasser sich scheut, in seinem Ton den gewöhnlichen Traditionen der bisherige"


tung und Kritik des Materials alles geleistet worden, was nach den vorhan¬
denen Vorarbeiten dem Verfasser möglich war.

Wir müssen hier einen andern Gesichtspunkt festhalten. So sehr sich der
Verfasser innerhalb der Grenzen strenger Wissenschaftlichkeit und einer bestimm¬
ten monographischen Untersuchung zu halten bemüht, so macht es doch der
Gegenstand unmöglich, alle Beziehungen zur welthistorischen Bedeutung des
Papstthums auszuschließen. Da ohnedies die Form nicht schwerfällig ist, im
Gegentheil anschaulich und subjectiv belebt, so wird auch ohne Zweifel das
größere Publicum davon Notiz nehmen, und es ist daher nöthig, den Sinn
festzustellen, in welchem der Verfasser die Geschichte des Papstthums aufge¬
faßt hat.

Zunächst bemerken wir, daß von jener bezaubernden, aber gefährlichen
Objectivität, an welche uns Ranke bei diesem Gegenstand gewöhnt hat, keine
Rede ist. Im Gegentheil spricht der Verfasser überall sein Urtheil unverholen
und sogar mit einer gewissen Schärfe und Bitterkeit aus. Als Probe wollen
wir das Urtheil über die bekannte Entscheidung anführen, welche Papst Za-
charias dem Hausmeier Pipin, der die Königswürde usurpiren wollte, er¬
theilte. „Eine frechere Verhöhnung der Legitimität, des göttlichen Rechts der
Gesalbten, durch einen noch dazu zu den Heiligen der katholischen Kirche zäh'
leuten Stellvertreter Christi auf Erden, als die in Rede stehende, kennt die
Geschichte nicht; drängt sich uns doch unwillkürlich die Frage auf: wen»
Weichlichkeit und Unthätigkeit des Monarchen Kronenraub rechtfertigen könne»,
hätte da nicht die große Mehrzahl der Könige und Fürsten der Jahrhunderte,
die hinter uns liegen, durch ehrgeizige Premierminister mit demselben Fug
und Recht vom Throne gestoßen werden dürfen, wie Childerich Hi. ? Der »eng
nicht wenig erstaunt gewesen sein, als er eines schönen Märzmorgens >>»
Jahre 732 mit seiner Ochsenpost vor den zu Soissons versammelten Großen
des Reichs erscheinen und dort die Neuigkeit erfahren mußte, daß er, Enkel
Chlodwigs, des großen Gründers der fränkischen Monarchie, mit Unrecht die
Königskrone trage und sie, nach dem Ausspruche des Stellvertreters Christ
auf Erden, von Rechtswegen seinem seitherigen ersten Beamten überlassen
müsse! Diesem vom heiligen Papste Zacharias gefällten Gottesurtheile zufolge
spendete der heilige Bonifacius, der Deutschen Apostel und Pipins guter
Freund, im Auftrage des erstem dem Usurpator mir eignen geweihten Händen
die königliche Salbung (also zwei Heilige, die aus Nützlichkeitsgründen einen
Krondiebstahl legitimirten!) die jenem und wol auch der Mehrheit der Nation
jedoch nicht genügte, um seiner falschen Münze das Gepräge der echten Z»
geben."er¬

Wir haben diese Stelle angeführt, um zu zeigen, wie wenig der V
fasser sich scheut, in seinem Ton den gewöhnlichen Traditionen der bisherige»


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[0422] tung und Kritik des Materials alles geleistet worden, was nach den vorhan¬ denen Vorarbeiten dem Verfasser möglich war. Wir müssen hier einen andern Gesichtspunkt festhalten. So sehr sich der Verfasser innerhalb der Grenzen strenger Wissenschaftlichkeit und einer bestimm¬ ten monographischen Untersuchung zu halten bemüht, so macht es doch der Gegenstand unmöglich, alle Beziehungen zur welthistorischen Bedeutung des Papstthums auszuschließen. Da ohnedies die Form nicht schwerfällig ist, im Gegentheil anschaulich und subjectiv belebt, so wird auch ohne Zweifel das größere Publicum davon Notiz nehmen, und es ist daher nöthig, den Sinn festzustellen, in welchem der Verfasser die Geschichte des Papstthums aufge¬ faßt hat. Zunächst bemerken wir, daß von jener bezaubernden, aber gefährlichen Objectivität, an welche uns Ranke bei diesem Gegenstand gewöhnt hat, keine Rede ist. Im Gegentheil spricht der Verfasser überall sein Urtheil unverholen und sogar mit einer gewissen Schärfe und Bitterkeit aus. Als Probe wollen wir das Urtheil über die bekannte Entscheidung anführen, welche Papst Za- charias dem Hausmeier Pipin, der die Königswürde usurpiren wollte, er¬ theilte. „Eine frechere Verhöhnung der Legitimität, des göttlichen Rechts der Gesalbten, durch einen noch dazu zu den Heiligen der katholischen Kirche zäh' leuten Stellvertreter Christi auf Erden, als die in Rede stehende, kennt die Geschichte nicht; drängt sich uns doch unwillkürlich die Frage auf: wen» Weichlichkeit und Unthätigkeit des Monarchen Kronenraub rechtfertigen könne», hätte da nicht die große Mehrzahl der Könige und Fürsten der Jahrhunderte, die hinter uns liegen, durch ehrgeizige Premierminister mit demselben Fug und Recht vom Throne gestoßen werden dürfen, wie Childerich Hi. ? Der »eng nicht wenig erstaunt gewesen sein, als er eines schönen Märzmorgens >>» Jahre 732 mit seiner Ochsenpost vor den zu Soissons versammelten Großen des Reichs erscheinen und dort die Neuigkeit erfahren mußte, daß er, Enkel Chlodwigs, des großen Gründers der fränkischen Monarchie, mit Unrecht die Königskrone trage und sie, nach dem Ausspruche des Stellvertreters Christ auf Erden, von Rechtswegen seinem seitherigen ersten Beamten überlassen müsse! Diesem vom heiligen Papste Zacharias gefällten Gottesurtheile zufolge spendete der heilige Bonifacius, der Deutschen Apostel und Pipins guter Freund, im Auftrage des erstem dem Usurpator mir eignen geweihten Händen die königliche Salbung (also zwei Heilige, die aus Nützlichkeitsgründen einen Krondiebstahl legitimirten!) die jenem und wol auch der Mehrheit der Nation jedoch nicht genügte, um seiner falschen Münze das Gepräge der echten Z» geben."er¬ Wir haben diese Stelle angeführt, um zu zeigen, wie wenig der V fasser sich scheut, in seinem Ton den gewöhnlichen Traditionen der bisherige»

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341578_281149/422>, abgerufen am 19.05.2024.