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Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, II. Semester. III. Band.

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gehende Antwort auf die Forderungen Oestreichs sehr erhebliche und für Nu߬
land ungemein günstige Folgen nach sich ziehen würde. Es ist in ihnen dar¬
auf aufmerksam gemacht, daß, falls Nußland die Donaufürstenthümer räume,
Oestreich dieselben als neutrale Macht besetzen und die streitenden Theile
voneinander trennen werde und daß Preußen in diesem Falle seinen Einfluß
dahin anwenden werde, die Wcstmächte zur Einstellung der Feindseligkeiten zu
bewegen. Die große Bedeutung dieses Schrittes, namentlich bei dem jetzigen
Stande der kriegerischen Ereignisse, springt in die Augen. Nußland ist theils
durch die Erfolglosigkeit der Operationen vol.- Silistria, theils durch die Con-
centration der englisch-französischen Armee in der Nahe des Kriegsschauplatzes,
theils durch die in Siebenbürgen zusammengezogene östreichische Heeresmacht
zum Rückzug genöthigt; es ist gezwungen, die Walachei zum größten Theil
zu räumen und eine neue OperationöbastS zu suchen. Jetzt wird ihm die
Gelegenheit geboten, diesen Act der Nothwendigkeit als eine den Friedens¬
bemühungen der alten Verbündeten dargebotene Concession hinzustellen, den
Schimpf der Retirade mit dem Gewände christlicher Friedensliebe zu verhüllen,
und aus der unglücklichen militärischen Constellation den unverhofften Gewinn
zu ziehen, daß Oestreich in eine stricte Neutralität gebannt, und Preußen durch
die Zusicherung seiner guten Dienste bei den Westmächtcn auch officiell zur
Thätigkeit für Rußland hinübergeleitet wird. So würde das bisherige System
der officiellen Politik in durchgreifender Weise gestört werden, wenn Rußland
auf die Wiener Forderungen einginge. Es würde dann ein höchst langwieriger,
ohne entscheidende Erfolge sich hinschleppender Krieg der Seemächte gegen Rußland
in Aussicht stehen, während Oestreichs politische Haltung davon abhängen
würde, wie lange seine Finanzen ihm die Aufrechterhaltung unthätiger Kriegs¬
bereitschaft erlauben.

Trotz dieser einleuchtenden Vortheile scheint es nicht, daß von Petersburg
eine eingehende Antwort zu erwarten wäre, -- ein Räthsel, welches nur durch
die dort herrschende krankhaft gereizte Stimmung und durch den Fanatismus
der einflußreichen altrussischen Partei zu erklären ist. Wenn gleich noch keine
genauen Angaben über den Inhalt der Antwort Hieher gelangt zu sein scheinen,
so sind doch hier sowol wie in Wien vorläufige Berichte eingegangen, welche
darin übereinstimmen, daß eine befriedigende Antwort nicht zu erwarten ist,
daß man aber die Ablehnung in eine Form kleiden wird, welche die Schuld
des Bruches auf die deutschen Mächte zu wälzen sucht. Es wird mir bestätigt,
daß der Kaiser von Rußland, unter der Versicherung seiner Abneigung gegen
einen Conflict mit den deutschen Staaten, seinen Entschluß ausgedrückt hat,
es ans eine Kriegserklärung der letztern ankommen zu lassen. Auch die Nach¬
richten aus der Moldau sprechen dafür, daß eS nicht in der Absicht Rußlands
liegt, beide Fürstenthümer zu räumen; die Russen scheinen sich vielmehr nur


9*

gehende Antwort auf die Forderungen Oestreichs sehr erhebliche und für Nu߬
land ungemein günstige Folgen nach sich ziehen würde. Es ist in ihnen dar¬
auf aufmerksam gemacht, daß, falls Nußland die Donaufürstenthümer räume,
Oestreich dieselben als neutrale Macht besetzen und die streitenden Theile
voneinander trennen werde und daß Preußen in diesem Falle seinen Einfluß
dahin anwenden werde, die Wcstmächte zur Einstellung der Feindseligkeiten zu
bewegen. Die große Bedeutung dieses Schrittes, namentlich bei dem jetzigen
Stande der kriegerischen Ereignisse, springt in die Augen. Nußland ist theils
durch die Erfolglosigkeit der Operationen vol.- Silistria, theils durch die Con-
centration der englisch-französischen Armee in der Nahe des Kriegsschauplatzes,
theils durch die in Siebenbürgen zusammengezogene östreichische Heeresmacht
zum Rückzug genöthigt; es ist gezwungen, die Walachei zum größten Theil
zu räumen und eine neue OperationöbastS zu suchen. Jetzt wird ihm die
Gelegenheit geboten, diesen Act der Nothwendigkeit als eine den Friedens¬
bemühungen der alten Verbündeten dargebotene Concession hinzustellen, den
Schimpf der Retirade mit dem Gewände christlicher Friedensliebe zu verhüllen,
und aus der unglücklichen militärischen Constellation den unverhofften Gewinn
zu ziehen, daß Oestreich in eine stricte Neutralität gebannt, und Preußen durch
die Zusicherung seiner guten Dienste bei den Westmächtcn auch officiell zur
Thätigkeit für Rußland hinübergeleitet wird. So würde das bisherige System
der officiellen Politik in durchgreifender Weise gestört werden, wenn Rußland
auf die Wiener Forderungen einginge. Es würde dann ein höchst langwieriger,
ohne entscheidende Erfolge sich hinschleppender Krieg der Seemächte gegen Rußland
in Aussicht stehen, während Oestreichs politische Haltung davon abhängen
würde, wie lange seine Finanzen ihm die Aufrechterhaltung unthätiger Kriegs¬
bereitschaft erlauben.

Trotz dieser einleuchtenden Vortheile scheint es nicht, daß von Petersburg
eine eingehende Antwort zu erwarten wäre, — ein Räthsel, welches nur durch
die dort herrschende krankhaft gereizte Stimmung und durch den Fanatismus
der einflußreichen altrussischen Partei zu erklären ist. Wenn gleich noch keine
genauen Angaben über den Inhalt der Antwort Hieher gelangt zu sein scheinen,
so sind doch hier sowol wie in Wien vorläufige Berichte eingegangen, welche
darin übereinstimmen, daß eine befriedigende Antwort nicht zu erwarten ist,
daß man aber die Ablehnung in eine Form kleiden wird, welche die Schuld
des Bruches auf die deutschen Mächte zu wälzen sucht. Es wird mir bestätigt,
daß der Kaiser von Rußland, unter der Versicherung seiner Abneigung gegen
einen Conflict mit den deutschen Staaten, seinen Entschluß ausgedrückt hat,
es ans eine Kriegserklärung der letztern ankommen zu lassen. Auch die Nach¬
richten aus der Moldau sprechen dafür, daß eS nicht in der Absicht Rußlands
liegt, beide Fürstenthümer zu räumen; die Russen scheinen sich vielmehr nur


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341578_281149/75>, abgerufen am 27.05.2024.