Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, II. Semester. II. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

d. h. es kommt dem Verfasser mehr darauf an, ssprit zu machen, als das, was
er gesehen und erlebt, naturgetreu darzustellen. Diese Methode ist zunächst
schädlich für den.Inhalt, denn sie veranlaßt jeden neuen Touristen, seinem
Vorgänger so leichtsinnig als möglich nachzuschwätzen und um doch etwas
Eigenthümliches zu haben, ihn in gewagten und paradoxen Behauptungen zu
überbieten. Am schädlichsten wirkt in dieser Beziehung der bekannte, übrigens
höchst geistvolle Londoner Correspondent der Nationalzeitung ein, der sich aber in
seinem Urtheil durch Hitze der Leidenschaft und durch Doctrinen so leicht be¬
stehen läßt, daß er zuweilen die ärgsten Absurditäten nicht scheut. Indeß bei
Herrn Bucher kann man zuweilen auch aus den Irrthümern etwas lernen, denn
er hat namentlich in der Nationalökonomie bedeutende Kenntnisse und weiß
wenigstens interessante Gesichtspunkte aufzufinden, wenn diese auch häufig sehr
einseitig sind. Herr Fontane dagegen hat die Bildung eines lyrischen Poeten,
und spricht nun, nachdem er sich ein paar Monate in London ausgehalten, mit
einer Zuversichtlichkeit über die Gegenwart und Zukunft der socialen und po¬
litischen Verhältnisse Großbritanniens ab, die uns erzürnen würde, wenn sie
nicht gar zu komisch wäre. Mit Recht empören wir uns gegen den Leichtsinn
der französischen und englischen Touristen, die ein paar Monate sich ans deutschen
Eisenbahnen herumfahren lassen, und daun ein Buch über die höhere Philo¬
sophie des deutschen Wesens zusammenschreiben. Aber wir Deutsche machen
es eigentlich noch ärger. Nebenbei wäre es wünschenswert), wenn endlich die
Geckenhaftigkeit unsres Feuilletonstils aufhörte. Folgendes sollte z. B. nur
noch in Modezeitungen Aufnahme finden:


"Lei uns ist der Zopf zur Mythe geworden, er eMirt nur noch als Spitz- und Gcißcl-
wort für alles, was, wie die östreichische Landwehr, "nicht mitkommen kann", und wenn Heine
gelegentlich von unsren Soldaten singt: "der ^opf, der ihnen sonst hinten hing, der hängt
jetzt unter der Nase", so können wir aus diesem Witz, dessen Pointe etwas dunkel bleibt,
immerhin gefallen lasse". Anders ist es mir England: es darf mit China darum streiten, wer
ihn am längsten trägt. Nach den Gründe" forsche wer will; ich werfe für den Liebhaber mir
so hin, daß der Kaffee zu emancipiren, der Thee zu conserviren scheint." --

Ein ander Mal, als Herr Fontane über das deutsche Theater in London
Bericht erstattet, macht er die Bemerkung (S. 127), daß ihn im Egmont die
Freiheitstiraden des letzten Acts wie etwas Verbrauchtes berührt hätten. "Ob
es ein Fluch der Phrasenhaftigkeit unsrer Zeit ist, uns auch die Freude an
dem verleidet zu haben, was über dem tönenden Erz und der klingenden Schelle
steht, oder ob jenes Pathos vom Tod fürs Vaterland, vom Schergen- und
Tyrannenthum wirklich einer Stufe angehört, die von einer politisch reifern
Zeit überwunden werden mußte, lasse ich dahingestellt sein." Wenn der Ver¬
fasser über diesen Punkt wirklich in Zweifel wäre, so müßte man ihn bemitleiden.
Aber wir sind fest davon überzeugt, daß sein Gemüth keineswegs so trocken ist,
als er es darstellt; daß, wenn es daraus ankommt, für das Vaterland und


d. h. es kommt dem Verfasser mehr darauf an, ssprit zu machen, als das, was
er gesehen und erlebt, naturgetreu darzustellen. Diese Methode ist zunächst
schädlich für den.Inhalt, denn sie veranlaßt jeden neuen Touristen, seinem
Vorgänger so leichtsinnig als möglich nachzuschwätzen und um doch etwas
Eigenthümliches zu haben, ihn in gewagten und paradoxen Behauptungen zu
überbieten. Am schädlichsten wirkt in dieser Beziehung der bekannte, übrigens
höchst geistvolle Londoner Correspondent der Nationalzeitung ein, der sich aber in
seinem Urtheil durch Hitze der Leidenschaft und durch Doctrinen so leicht be¬
stehen läßt, daß er zuweilen die ärgsten Absurditäten nicht scheut. Indeß bei
Herrn Bucher kann man zuweilen auch aus den Irrthümern etwas lernen, denn
er hat namentlich in der Nationalökonomie bedeutende Kenntnisse und weiß
wenigstens interessante Gesichtspunkte aufzufinden, wenn diese auch häufig sehr
einseitig sind. Herr Fontane dagegen hat die Bildung eines lyrischen Poeten,
und spricht nun, nachdem er sich ein paar Monate in London ausgehalten, mit
einer Zuversichtlichkeit über die Gegenwart und Zukunft der socialen und po¬
litischen Verhältnisse Großbritanniens ab, die uns erzürnen würde, wenn sie
nicht gar zu komisch wäre. Mit Recht empören wir uns gegen den Leichtsinn
der französischen und englischen Touristen, die ein paar Monate sich ans deutschen
Eisenbahnen herumfahren lassen, und daun ein Buch über die höhere Philo¬
sophie des deutschen Wesens zusammenschreiben. Aber wir Deutsche machen
es eigentlich noch ärger. Nebenbei wäre es wünschenswert), wenn endlich die
Geckenhaftigkeit unsres Feuilletonstils aufhörte. Folgendes sollte z. B. nur
noch in Modezeitungen Aufnahme finden:


„Lei uns ist der Zopf zur Mythe geworden, er eMirt nur noch als Spitz- und Gcißcl-
wort für alles, was, wie die östreichische Landwehr, „nicht mitkommen kann", und wenn Heine
gelegentlich von unsren Soldaten singt: „der ^opf, der ihnen sonst hinten hing, der hängt
jetzt unter der Nase", so können wir aus diesem Witz, dessen Pointe etwas dunkel bleibt,
immerhin gefallen lasse». Anders ist es mir England: es darf mit China darum streiten, wer
ihn am längsten trägt. Nach den Gründe» forsche wer will; ich werfe für den Liebhaber mir
so hin, daß der Kaffee zu emancipiren, der Thee zu conserviren scheint." —

Ein ander Mal, als Herr Fontane über das deutsche Theater in London
Bericht erstattet, macht er die Bemerkung (S. 127), daß ihn im Egmont die
Freiheitstiraden des letzten Acts wie etwas Verbrauchtes berührt hätten. „Ob
es ein Fluch der Phrasenhaftigkeit unsrer Zeit ist, uns auch die Freude an
dem verleidet zu haben, was über dem tönenden Erz und der klingenden Schelle
steht, oder ob jenes Pathos vom Tod fürs Vaterland, vom Schergen- und
Tyrannenthum wirklich einer Stufe angehört, die von einer politisch reifern
Zeit überwunden werden mußte, lasse ich dahingestellt sein." Wenn der Ver¬
fasser über diesen Punkt wirklich in Zweifel wäre, so müßte man ihn bemitleiden.
Aber wir sind fest davon überzeugt, daß sein Gemüth keineswegs so trocken ist,
als er es darstellt; daß, wenn es daraus ankommt, für das Vaterland und


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <div n="2">
            <pb facs="#f0102" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/98416"/>
            <p xml:id="ID_286" prev="#ID_285"> d. h. es kommt dem Verfasser mehr darauf an, ssprit zu machen, als das, was<lb/>
er gesehen und erlebt, naturgetreu darzustellen. Diese Methode ist zunächst<lb/>
schädlich für den.Inhalt, denn sie veranlaßt jeden neuen Touristen, seinem<lb/>
Vorgänger so leichtsinnig als möglich nachzuschwätzen und um doch etwas<lb/>
Eigenthümliches zu haben, ihn in gewagten und paradoxen Behauptungen zu<lb/>
überbieten. Am schädlichsten wirkt in dieser Beziehung der bekannte, übrigens<lb/>
höchst geistvolle Londoner Correspondent der Nationalzeitung ein, der sich aber in<lb/>
seinem Urtheil durch Hitze der Leidenschaft und durch Doctrinen so leicht be¬<lb/>
stehen läßt, daß er zuweilen die ärgsten Absurditäten nicht scheut. Indeß bei<lb/>
Herrn Bucher kann man zuweilen auch aus den Irrthümern etwas lernen, denn<lb/>
er hat namentlich in der Nationalökonomie bedeutende Kenntnisse und weiß<lb/>
wenigstens interessante Gesichtspunkte aufzufinden, wenn diese auch häufig sehr<lb/>
einseitig sind. Herr Fontane dagegen hat die Bildung eines lyrischen Poeten,<lb/>
und spricht nun, nachdem er sich ein paar Monate in London ausgehalten, mit<lb/>
einer Zuversichtlichkeit über die Gegenwart und Zukunft der socialen und po¬<lb/>
litischen Verhältnisse Großbritanniens ab, die uns erzürnen würde, wenn sie<lb/>
nicht gar zu komisch wäre. Mit Recht empören wir uns gegen den Leichtsinn<lb/>
der französischen und englischen Touristen, die ein paar Monate sich ans deutschen<lb/>
Eisenbahnen herumfahren lassen, und daun ein Buch über die höhere Philo¬<lb/>
sophie des deutschen Wesens zusammenschreiben. Aber wir Deutsche machen<lb/>
es eigentlich noch ärger. Nebenbei wäre es wünschenswert), wenn endlich die<lb/>
Geckenhaftigkeit unsres Feuilletonstils aufhörte. Folgendes sollte z. B. nur<lb/>
noch in Modezeitungen Aufnahme finden:</p><lb/>
            <quote> &#x201E;Lei uns ist der Zopf zur Mythe geworden, er eMirt nur noch als Spitz- und Gcißcl-<lb/>
wort für alles, was, wie die östreichische Landwehr, &#x201E;nicht mitkommen kann", und wenn Heine<lb/>
gelegentlich von unsren Soldaten singt: &#x201E;der ^opf, der ihnen sonst hinten hing, der hängt<lb/>
jetzt unter der Nase", so können wir aus diesem Witz, dessen Pointe etwas dunkel bleibt,<lb/>
immerhin gefallen lasse». Anders ist es mir England: es darf mit China darum streiten, wer<lb/>
ihn am längsten trägt. Nach den Gründe» forsche wer will; ich werfe für den Liebhaber mir<lb/>
so hin, daß der Kaffee zu emancipiren, der Thee zu conserviren scheint." &#x2014;</quote><lb/>
            <p xml:id="ID_287" next="#ID_288"> Ein ander Mal, als Herr Fontane über das deutsche Theater in London<lb/>
Bericht erstattet, macht er die Bemerkung (S. 127), daß ihn im Egmont die<lb/>
Freiheitstiraden des letzten Acts wie etwas Verbrauchtes berührt hätten. &#x201E;Ob<lb/>
es ein Fluch der Phrasenhaftigkeit unsrer Zeit ist, uns auch die Freude an<lb/>
dem verleidet zu haben, was über dem tönenden Erz und der klingenden Schelle<lb/>
steht, oder ob jenes Pathos vom Tod fürs Vaterland, vom Schergen- und<lb/>
Tyrannenthum wirklich einer Stufe angehört, die von einer politisch reifern<lb/>
Zeit überwunden werden mußte, lasse ich dahingestellt sein." Wenn der Ver¬<lb/>
fasser über diesen Punkt wirklich in Zweifel wäre, so müßte man ihn bemitleiden.<lb/>
Aber wir sind fest davon überzeugt, daß sein Gemüth keineswegs so trocken ist,<lb/>
als er es darstellt; daß, wenn es daraus ankommt, für das Vaterland und</p><lb/>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0102] d. h. es kommt dem Verfasser mehr darauf an, ssprit zu machen, als das, was er gesehen und erlebt, naturgetreu darzustellen. Diese Methode ist zunächst schädlich für den.Inhalt, denn sie veranlaßt jeden neuen Touristen, seinem Vorgänger so leichtsinnig als möglich nachzuschwätzen und um doch etwas Eigenthümliches zu haben, ihn in gewagten und paradoxen Behauptungen zu überbieten. Am schädlichsten wirkt in dieser Beziehung der bekannte, übrigens höchst geistvolle Londoner Correspondent der Nationalzeitung ein, der sich aber in seinem Urtheil durch Hitze der Leidenschaft und durch Doctrinen so leicht be¬ stehen läßt, daß er zuweilen die ärgsten Absurditäten nicht scheut. Indeß bei Herrn Bucher kann man zuweilen auch aus den Irrthümern etwas lernen, denn er hat namentlich in der Nationalökonomie bedeutende Kenntnisse und weiß wenigstens interessante Gesichtspunkte aufzufinden, wenn diese auch häufig sehr einseitig sind. Herr Fontane dagegen hat die Bildung eines lyrischen Poeten, und spricht nun, nachdem er sich ein paar Monate in London ausgehalten, mit einer Zuversichtlichkeit über die Gegenwart und Zukunft der socialen und po¬ litischen Verhältnisse Großbritanniens ab, die uns erzürnen würde, wenn sie nicht gar zu komisch wäre. Mit Recht empören wir uns gegen den Leichtsinn der französischen und englischen Touristen, die ein paar Monate sich ans deutschen Eisenbahnen herumfahren lassen, und daun ein Buch über die höhere Philo¬ sophie des deutschen Wesens zusammenschreiben. Aber wir Deutsche machen es eigentlich noch ärger. Nebenbei wäre es wünschenswert), wenn endlich die Geckenhaftigkeit unsres Feuilletonstils aufhörte. Folgendes sollte z. B. nur noch in Modezeitungen Aufnahme finden: „Lei uns ist der Zopf zur Mythe geworden, er eMirt nur noch als Spitz- und Gcißcl- wort für alles, was, wie die östreichische Landwehr, „nicht mitkommen kann", und wenn Heine gelegentlich von unsren Soldaten singt: „der ^opf, der ihnen sonst hinten hing, der hängt jetzt unter der Nase", so können wir aus diesem Witz, dessen Pointe etwas dunkel bleibt, immerhin gefallen lasse». Anders ist es mir England: es darf mit China darum streiten, wer ihn am längsten trägt. Nach den Gründe» forsche wer will; ich werfe für den Liebhaber mir so hin, daß der Kaffee zu emancipiren, der Thee zu conserviren scheint." — Ein ander Mal, als Herr Fontane über das deutsche Theater in London Bericht erstattet, macht er die Bemerkung (S. 127), daß ihn im Egmont die Freiheitstiraden des letzten Acts wie etwas Verbrauchtes berührt hätten. „Ob es ein Fluch der Phrasenhaftigkeit unsrer Zeit ist, uns auch die Freude an dem verleidet zu haben, was über dem tönenden Erz und der klingenden Schelle steht, oder ob jenes Pathos vom Tod fürs Vaterland, vom Schergen- und Tyrannenthum wirklich einer Stufe angehört, die von einer politisch reifern Zeit überwunden werden mußte, lasse ich dahingestellt sein." Wenn der Ver¬ fasser über diesen Punkt wirklich in Zweifel wäre, so müßte man ihn bemitleiden. Aber wir sind fest davon überzeugt, daß sein Gemüth keineswegs so trocken ist, als er es darstellt; daß, wenn es daraus ankommt, für das Vaterland und

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341578_96706
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341578_96706/102
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341578_96706/102>, abgerufen am 19.05.2024.