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Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, II. Semester. II. Band.

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Heinrich Heine, der nur vier bis fünf Jahr alter ist als George Sand,
hat auf die Entwicklung der deutschen Literatur einen ebenso bedeutenden Ein¬
fluß ausgeübt, als George Sand auf die der französischen, wenn auch in einem
beinahe entgegengesetzten Sinn. Denn die 'Verwandtschaft der Stoffe, die beide
mit besonderer Vorliebe behandeln, darf uns über den vollständigen Gegensatz
ihrer Natur nicht täuschen. Das Interesse für die moderne Auffassung der
Liebe und Ehe, die Anläufe, zu einer neuen Religion und was sie sonst mit¬
einander gemein haben, lag in der Entwicklung der Zeit überhaupt. Und wenn
man auch ihr Talent in gewissen Beziehungen miteinander vergleichen kann,
da beide eine außerordentlich plastische Kraft haben, und dabei neben der aus¬
gesprochensten Neigung zu Extravaganzen des Gefühls und des Witzes einen
ganz gesunden Menschenverstand, der ihnen überall zugebote steht, wo sie
ihm nicht absichtlich Trotz bieten, so ist doch die Grundstimmung ihres Gemüths
eine wesentlich verschiedene. George Sand ist ihrer innersten Natur nach eine
Gläubige, eine Enthusiastin, eine Schwärmerin. Wenn der Gegenstand ihres
Glaubens ein andrer ist als bei den schönen Seelen der früheren Jahrhunderte,
so liegt das in der veränderten Richtung der Zeit; und wenn sie sich in man¬
chem ihrer früheren Werke, namentlich in der Lelia, zuweilen zu Atrocitäten
des Zweifels hat hinreißen lassen, die ans Frivole streifen, so lag der Grund
davon lediglich in der Ueberschwenglichkeit ihrer Sehnsucht nach einem Glauben,
der ihrem Herzen Ruhe verschaffen sollte. Nicht jede Lästerung ist das Zeichen
eines ruchlosen Gemüths, sie entspringt zuweilen aus einem unreifen, aber
kraftvollen Idealismus, der sein Maß überschritten hat, und daher in der gött¬
lichen Weltordnung nur Widersprüche gegen das zu sehen glaubt, was ihm
selbst als das Heiligste erscheint.

Ganz anders ist es bei Heine. Der Grundzug seines Geistes ist Frivolität,
und wenn er dabei einen lebhast erreglichen Sinn für alles Große und Schöne
in sich trägt, wenn er Augenblicke hat, die an Glauben und Entzücken streifen,
so vernichtet er doch sogleich wieder jene schönen Momente durch die roman¬
tische Ironie, die das kaum Geschaffene in seine Atome wieder auflöst. Heine
glaubt und liebt nur, um seinen eignen Glauben und seine eigne Liebe frevel¬
haft zu verspotten. So reich und mannigfaltig belebt der Schein ist, den die
gegenständliche Welt ihm entgegenstrahlt, so hat diese Welt doch keinen Kern,
weil sein eignes Gemüth ohne Kern ist; und darum stellt jener verführerische
Schimmer nur das Phosphoresciren der Fäulniß dar. Er hat reizende Götter¬
gestalten ins Leben gerufen, aber diese haben sich stets unter seinen Händen
in Gespenster, Unholde und Teufelslarven verwandelt, wie er es selbst in einem
seiner Jugendgedichte "die Götterdämmerung^ treffend geschildert hat.

Ein frivoles Gemüth wird ebensowenig zu einer innern Lebensentwicklung
führen als ein schwärmerisches, ja es wird trotz aller anscheinenden Sprünge


2-1 *

Heinrich Heine, der nur vier bis fünf Jahr alter ist als George Sand,
hat auf die Entwicklung der deutschen Literatur einen ebenso bedeutenden Ein¬
fluß ausgeübt, als George Sand auf die der französischen, wenn auch in einem
beinahe entgegengesetzten Sinn. Denn die 'Verwandtschaft der Stoffe, die beide
mit besonderer Vorliebe behandeln, darf uns über den vollständigen Gegensatz
ihrer Natur nicht täuschen. Das Interesse für die moderne Auffassung der
Liebe und Ehe, die Anläufe, zu einer neuen Religion und was sie sonst mit¬
einander gemein haben, lag in der Entwicklung der Zeit überhaupt. Und wenn
man auch ihr Talent in gewissen Beziehungen miteinander vergleichen kann,
da beide eine außerordentlich plastische Kraft haben, und dabei neben der aus¬
gesprochensten Neigung zu Extravaganzen des Gefühls und des Witzes einen
ganz gesunden Menschenverstand, der ihnen überall zugebote steht, wo sie
ihm nicht absichtlich Trotz bieten, so ist doch die Grundstimmung ihres Gemüths
eine wesentlich verschiedene. George Sand ist ihrer innersten Natur nach eine
Gläubige, eine Enthusiastin, eine Schwärmerin. Wenn der Gegenstand ihres
Glaubens ein andrer ist als bei den schönen Seelen der früheren Jahrhunderte,
so liegt das in der veränderten Richtung der Zeit; und wenn sie sich in man¬
chem ihrer früheren Werke, namentlich in der Lelia, zuweilen zu Atrocitäten
des Zweifels hat hinreißen lassen, die ans Frivole streifen, so lag der Grund
davon lediglich in der Ueberschwenglichkeit ihrer Sehnsucht nach einem Glauben,
der ihrem Herzen Ruhe verschaffen sollte. Nicht jede Lästerung ist das Zeichen
eines ruchlosen Gemüths, sie entspringt zuweilen aus einem unreifen, aber
kraftvollen Idealismus, der sein Maß überschritten hat, und daher in der gött¬
lichen Weltordnung nur Widersprüche gegen das zu sehen glaubt, was ihm
selbst als das Heiligste erscheint.

Ganz anders ist es bei Heine. Der Grundzug seines Geistes ist Frivolität,
und wenn er dabei einen lebhast erreglichen Sinn für alles Große und Schöne
in sich trägt, wenn er Augenblicke hat, die an Glauben und Entzücken streifen,
so vernichtet er doch sogleich wieder jene schönen Momente durch die roman¬
tische Ironie, die das kaum Geschaffene in seine Atome wieder auflöst. Heine
glaubt und liebt nur, um seinen eignen Glauben und seine eigne Liebe frevel¬
haft zu verspotten. So reich und mannigfaltig belebt der Schein ist, den die
gegenständliche Welt ihm entgegenstrahlt, so hat diese Welt doch keinen Kern,
weil sein eignes Gemüth ohne Kern ist; und darum stellt jener verführerische
Schimmer nur das Phosphoresciren der Fäulniß dar. Er hat reizende Götter¬
gestalten ins Leben gerufen, aber diese haben sich stets unter seinen Händen
in Gespenster, Unholde und Teufelslarven verwandelt, wie er es selbst in einem
seiner Jugendgedichte „die Götterdämmerung^ treffend geschildert hat.

Ein frivoles Gemüth wird ebensowenig zu einer innern Lebensentwicklung
führen als ein schwärmerisches, ja es wird trotz aller anscheinenden Sprünge


2-1 *
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[0171] Heinrich Heine, der nur vier bis fünf Jahr alter ist als George Sand, hat auf die Entwicklung der deutschen Literatur einen ebenso bedeutenden Ein¬ fluß ausgeübt, als George Sand auf die der französischen, wenn auch in einem beinahe entgegengesetzten Sinn. Denn die 'Verwandtschaft der Stoffe, die beide mit besonderer Vorliebe behandeln, darf uns über den vollständigen Gegensatz ihrer Natur nicht täuschen. Das Interesse für die moderne Auffassung der Liebe und Ehe, die Anläufe, zu einer neuen Religion und was sie sonst mit¬ einander gemein haben, lag in der Entwicklung der Zeit überhaupt. Und wenn man auch ihr Talent in gewissen Beziehungen miteinander vergleichen kann, da beide eine außerordentlich plastische Kraft haben, und dabei neben der aus¬ gesprochensten Neigung zu Extravaganzen des Gefühls und des Witzes einen ganz gesunden Menschenverstand, der ihnen überall zugebote steht, wo sie ihm nicht absichtlich Trotz bieten, so ist doch die Grundstimmung ihres Gemüths eine wesentlich verschiedene. George Sand ist ihrer innersten Natur nach eine Gläubige, eine Enthusiastin, eine Schwärmerin. Wenn der Gegenstand ihres Glaubens ein andrer ist als bei den schönen Seelen der früheren Jahrhunderte, so liegt das in der veränderten Richtung der Zeit; und wenn sie sich in man¬ chem ihrer früheren Werke, namentlich in der Lelia, zuweilen zu Atrocitäten des Zweifels hat hinreißen lassen, die ans Frivole streifen, so lag der Grund davon lediglich in der Ueberschwenglichkeit ihrer Sehnsucht nach einem Glauben, der ihrem Herzen Ruhe verschaffen sollte. Nicht jede Lästerung ist das Zeichen eines ruchlosen Gemüths, sie entspringt zuweilen aus einem unreifen, aber kraftvollen Idealismus, der sein Maß überschritten hat, und daher in der gött¬ lichen Weltordnung nur Widersprüche gegen das zu sehen glaubt, was ihm selbst als das Heiligste erscheint. Ganz anders ist es bei Heine. Der Grundzug seines Geistes ist Frivolität, und wenn er dabei einen lebhast erreglichen Sinn für alles Große und Schöne in sich trägt, wenn er Augenblicke hat, die an Glauben und Entzücken streifen, so vernichtet er doch sogleich wieder jene schönen Momente durch die roman¬ tische Ironie, die das kaum Geschaffene in seine Atome wieder auflöst. Heine glaubt und liebt nur, um seinen eignen Glauben und seine eigne Liebe frevel¬ haft zu verspotten. So reich und mannigfaltig belebt der Schein ist, den die gegenständliche Welt ihm entgegenstrahlt, so hat diese Welt doch keinen Kern, weil sein eignes Gemüth ohne Kern ist; und darum stellt jener verführerische Schimmer nur das Phosphoresciren der Fäulniß dar. Er hat reizende Götter¬ gestalten ins Leben gerufen, aber diese haben sich stets unter seinen Händen in Gespenster, Unholde und Teufelslarven verwandelt, wie er es selbst in einem seiner Jugendgedichte „die Götterdämmerung^ treffend geschildert hat. Ein frivoles Gemüth wird ebensowenig zu einer innern Lebensentwicklung führen als ein schwärmerisches, ja es wird trotz aller anscheinenden Sprünge 2-1 *

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341578_96706/171>, abgerufen am 10.06.2024.