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Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, II. Semester. II. Band.

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Jnstinct. Die Kämpfe der deutschen Kaiser in Italien, soviele ritterliche und
romantische Erinnerungen sich daran knüpfen, hatten doch keinen politischen,
keinen nationalen Inhalt, und weit entfernt, der Gründung eines deutschen
Reichs förderlich zu sein, haben sie vielmehr einen politischen Idealismus ein¬
geführt, der jedes ernste, zusammenhängende, zweckmäßige Streben ausschloß.
Dagegen hatte sich in Norddeutschland eine Macht gebildet, die unmittelbar
aus dem deutschen Volke hervorging und die unter einer richtigen Leitung wol
im stände gewesen wäre, die Grundveste eines deutschen Staates zu bilden.
Das Kaiserthum hat die Thorheit begangen, die Hansa fallen zu lassen; sie
ist durch überlegene Gewalt zertrümmert worden und mit ihr ist die Hoffnung
einer volksthümlichen Entwicklung Deutschlands zu Grabe getragen. Indeß ist
diese Zeit noch nicht solange vorüber, daß wir uns nicht mehr ein Bild von
jener Kraft, die das deutsche Volk bereits in der Geschichte entwickelt, machen
könnten, und wir müssen daher jeden Versuch mit Dank aufnehmen, der uns
unter anmuthiger novellistischer Hülle auf historischen Boden führt.

Nur darf in solchen Fällen der Dichter nicht übersehen, daß das Interesse
für jene Zeit zunächst nur ein historisches oder vielmehr politisches, nicht ein
ästhetisches ist. In dieser Beziehung waren Walter Scott und seine Nach¬
folger, die das alte Ritterthum aus dem Schutt der Vergessenheit wieder aus¬
gruben, viel günstiger gestellt. Denn sowenig politischer Verstand in den
Begebenheiten zu finden war, die sie mit dem Schimmer der Poesie verherr¬
lichten, soviel individuelles Interesse boten ihnen ihre Stoffe. Die Sitten
des Ritterthums, wenn man sie nur geschickt zu gruppiren verstand, konnten
als ein ideales Costüm aufgefaßt werden, das auf alle Stände eine gleich¬
mäßig angenehme Wirkung hervorbrachte. Die politischen Beziehungen waren
im ganzen einfach und leicht zu übersehen, denn sie beruhten theils auf der
gleichmäßigen Tradition, theils auf persönlichen Interessen und Launen; sie
fanden ihren Mittelpunkt in der strahlenden Persönlichkeit von Helden und
Fürsten und sie erweckten auch kein politisches Bedenken, da sie keine unmit¬
telbare Beziehung zur.Gegenwart hatten. Anders ists mit der Geschichte der
deutschen Städte. Sie macht einen großen Eindruck, wenn man sie als Gan¬
zes auffaßt und von der welthistorischen Warte betrachtet. Aber das Leben
in den Städten des Mittelalters ist unsrem Bürgerthume eigentlich ebenso fremd
geworden, wie das Ritterwesen, und entbehrt den Vorzug eines idealen Costüms.
Wenn man bei der Geschichte der Städte ins Einzelne geht, so enthalten sie
sehr vieles Kleine, Gehässige und Widerwärtige. Der Gegensatz der Zünfte ge¬
gen die Geschlechter entzieht sich vielmehr der poetischen Darstellung als die Feh¬
den der Ritter untereinander, ihre Turniere und ihre Liebesgeschichten: und
wenn man in dem unbefangenen Leser einmal die romantische Stimmung erweckt,
so wird er sich leicht versucht fühlen, für den patriarchalischen Klopffechter, den


Jnstinct. Die Kämpfe der deutschen Kaiser in Italien, soviele ritterliche und
romantische Erinnerungen sich daran knüpfen, hatten doch keinen politischen,
keinen nationalen Inhalt, und weit entfernt, der Gründung eines deutschen
Reichs förderlich zu sein, haben sie vielmehr einen politischen Idealismus ein¬
geführt, der jedes ernste, zusammenhängende, zweckmäßige Streben ausschloß.
Dagegen hatte sich in Norddeutschland eine Macht gebildet, die unmittelbar
aus dem deutschen Volke hervorging und die unter einer richtigen Leitung wol
im stände gewesen wäre, die Grundveste eines deutschen Staates zu bilden.
Das Kaiserthum hat die Thorheit begangen, die Hansa fallen zu lassen; sie
ist durch überlegene Gewalt zertrümmert worden und mit ihr ist die Hoffnung
einer volksthümlichen Entwicklung Deutschlands zu Grabe getragen. Indeß ist
diese Zeit noch nicht solange vorüber, daß wir uns nicht mehr ein Bild von
jener Kraft, die das deutsche Volk bereits in der Geschichte entwickelt, machen
könnten, und wir müssen daher jeden Versuch mit Dank aufnehmen, der uns
unter anmuthiger novellistischer Hülle auf historischen Boden führt.

Nur darf in solchen Fällen der Dichter nicht übersehen, daß das Interesse
für jene Zeit zunächst nur ein historisches oder vielmehr politisches, nicht ein
ästhetisches ist. In dieser Beziehung waren Walter Scott und seine Nach¬
folger, die das alte Ritterthum aus dem Schutt der Vergessenheit wieder aus¬
gruben, viel günstiger gestellt. Denn sowenig politischer Verstand in den
Begebenheiten zu finden war, die sie mit dem Schimmer der Poesie verherr¬
lichten, soviel individuelles Interesse boten ihnen ihre Stoffe. Die Sitten
des Ritterthums, wenn man sie nur geschickt zu gruppiren verstand, konnten
als ein ideales Costüm aufgefaßt werden, das auf alle Stände eine gleich¬
mäßig angenehme Wirkung hervorbrachte. Die politischen Beziehungen waren
im ganzen einfach und leicht zu übersehen, denn sie beruhten theils auf der
gleichmäßigen Tradition, theils auf persönlichen Interessen und Launen; sie
fanden ihren Mittelpunkt in der strahlenden Persönlichkeit von Helden und
Fürsten und sie erweckten auch kein politisches Bedenken, da sie keine unmit¬
telbare Beziehung zur.Gegenwart hatten. Anders ists mit der Geschichte der
deutschen Städte. Sie macht einen großen Eindruck, wenn man sie als Gan¬
zes auffaßt und von der welthistorischen Warte betrachtet. Aber das Leben
in den Städten des Mittelalters ist unsrem Bürgerthume eigentlich ebenso fremd
geworden, wie das Ritterwesen, und entbehrt den Vorzug eines idealen Costüms.
Wenn man bei der Geschichte der Städte ins Einzelne geht, so enthalten sie
sehr vieles Kleine, Gehässige und Widerwärtige. Der Gegensatz der Zünfte ge¬
gen die Geschlechter entzieht sich vielmehr der poetischen Darstellung als die Feh¬
den der Ritter untereinander, ihre Turniere und ihre Liebesgeschichten: und
wenn man in dem unbefangenen Leser einmal die romantische Stimmung erweckt,
so wird er sich leicht versucht fühlen, für den patriarchalischen Klopffechter, den


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341578_96706/40>, abgerufen am 02.06.2024.