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Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, II. Semester. II. Band.

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plötzlichen Falle des siegreichen Führers zu behaupten, das Panier für immer
daselbst aufzupflanzen und gegen jeden innern und äußern Feind zu wahren,
dies war die Aufgabe des Mannes, den der Scharfblick des Fürsten schon frü¬
her dazu ausersehen hatte.

Wie hat Graf Buol die Erwartungen seines Vorgängers bisher erfüllt?

Hierauf antworten zu wollen, würde in andern Zeiten fast unmöglich, ge¬
wiß aber anmaßend sein. Es sind noch nicht drei Jahre abgelaufen, seit der
jetzige Minister des Auswärtigen sein Portefeuille übernommen hat. Und was
sind drei Jahre im gewöhnlichen Laufe der Dinge? Was sind drei Jahre im
Leben eines Staatsmannes, der seit seiner frühesten Jugend sich in den poli¬
tischen Geschäften bewegt und in denselben ergraut ist? -- Aber unsre Zeit
entzieht sich der gewöhnlichen Schätzung, die Jahre wollen jetzt nicht gezählt,
sondern nach dem Maße ihrer Weltbedeutung gewogen werden. Besonders wir
Oestreicher, sonst gewohnt, in stiller Behaglichkeit dem regelmäßigen Pendelschlag
der mechanischen Staatsuhr zu lauschen, müssen nun die Versäumnisse von Jahr¬
hunderten und Jahrzehnten unsres politischen Kalenders in wenigen Schalt¬
jahren einzubringen suchen und ein Ueberblick der großen Ereignisse, durch welche
in dem jüngsten Zeitraum unser Reich aus der langen Erstarrung Herausgrissen
und in die erste Reihe der weltbcstimmenden Mächte gedrängt wurde, muß uns¬
rem Ideengang und unsrem patriotischen Gefühl eine verdoppelte Spannkraft
geben. So ist denn auch die Anforderung, welche die Zeitgeschichte an unsre
leitenden Staatsmänner stellt, die höchste; in möglichst kurzer Zeit soll das Beste
und das Dauerndste geleistet werden. Dem Diplomaten fällt es am schwersten,
eine solche Anforderung zu erfüllen. Jeder Moment erheischt einen neuen, aber
vollen Entschluß, dieser Entschluß soll organisch in die Reihe von Entschlüssen
eingreifen, welche diesem Moment vorhergegangen sind und ihm nachfolgen
werden. Aber wo ist da die Norm, nach welcher der einzelne Entschluß, sowie
die Reihe derselben gefaßt werden kann? Jeder nächste Moment kann die Botschaft
eines unerwarteten Ereignisses bringen. Die Berechnung, welche der politische
Verstand eben anstellte, findet eine ganz neue Vorlage. Welche Umstellung
der bestimmenden Faktoren, welche vielgcarteten Combinationen sind da mög¬
lich! Hier hilft kein Rechenschlüssel, kein Buch voll der triftigsten Für und Wi¬
der, kein witziger Einfall, kein guter Rath, wie ihn eben ein Freund in der Noth
zu geben pflegt, hier hilft nur der Mann selbst, aber der ganze Mann.
Und ein solcher, meinen wir, ist Graf Buol. Wie verschieden auch die Urtheile
über die Richtung seiner politischen Thätigkeit lauten mögen, diese Anerkennung
werden ihm selbst die erbittertsten Feinde -- und deren zählt er, zu seiner Ehre,
jetzt nur unter den offenen Feinden Oestreichs und Deutschlands -- nicht versagen
können, daß er, "jeder Zoll ein Mann", die großen Fragen unsrer Zeit erfaßt
und dieselben nach jeder Seite mit ganzer, ungetheilter Kraft im Interesse Oese-


plötzlichen Falle des siegreichen Führers zu behaupten, das Panier für immer
daselbst aufzupflanzen und gegen jeden innern und äußern Feind zu wahren,
dies war die Aufgabe des Mannes, den der Scharfblick des Fürsten schon frü¬
her dazu ausersehen hatte.

Wie hat Graf Buol die Erwartungen seines Vorgängers bisher erfüllt?

Hierauf antworten zu wollen, würde in andern Zeiten fast unmöglich, ge¬
wiß aber anmaßend sein. Es sind noch nicht drei Jahre abgelaufen, seit der
jetzige Minister des Auswärtigen sein Portefeuille übernommen hat. Und was
sind drei Jahre im gewöhnlichen Laufe der Dinge? Was sind drei Jahre im
Leben eines Staatsmannes, der seit seiner frühesten Jugend sich in den poli¬
tischen Geschäften bewegt und in denselben ergraut ist? — Aber unsre Zeit
entzieht sich der gewöhnlichen Schätzung, die Jahre wollen jetzt nicht gezählt,
sondern nach dem Maße ihrer Weltbedeutung gewogen werden. Besonders wir
Oestreicher, sonst gewohnt, in stiller Behaglichkeit dem regelmäßigen Pendelschlag
der mechanischen Staatsuhr zu lauschen, müssen nun die Versäumnisse von Jahr¬
hunderten und Jahrzehnten unsres politischen Kalenders in wenigen Schalt¬
jahren einzubringen suchen und ein Ueberblick der großen Ereignisse, durch welche
in dem jüngsten Zeitraum unser Reich aus der langen Erstarrung Herausgrissen
und in die erste Reihe der weltbcstimmenden Mächte gedrängt wurde, muß uns¬
rem Ideengang und unsrem patriotischen Gefühl eine verdoppelte Spannkraft
geben. So ist denn auch die Anforderung, welche die Zeitgeschichte an unsre
leitenden Staatsmänner stellt, die höchste; in möglichst kurzer Zeit soll das Beste
und das Dauerndste geleistet werden. Dem Diplomaten fällt es am schwersten,
eine solche Anforderung zu erfüllen. Jeder Moment erheischt einen neuen, aber
vollen Entschluß, dieser Entschluß soll organisch in die Reihe von Entschlüssen
eingreifen, welche diesem Moment vorhergegangen sind und ihm nachfolgen
werden. Aber wo ist da die Norm, nach welcher der einzelne Entschluß, sowie
die Reihe derselben gefaßt werden kann? Jeder nächste Moment kann die Botschaft
eines unerwarteten Ereignisses bringen. Die Berechnung, welche der politische
Verstand eben anstellte, findet eine ganz neue Vorlage. Welche Umstellung
der bestimmenden Faktoren, welche vielgcarteten Combinationen sind da mög¬
lich! Hier hilft kein Rechenschlüssel, kein Buch voll der triftigsten Für und Wi¬
der, kein witziger Einfall, kein guter Rath, wie ihn eben ein Freund in der Noth
zu geben pflegt, hier hilft nur der Mann selbst, aber der ganze Mann.
Und ein solcher, meinen wir, ist Graf Buol. Wie verschieden auch die Urtheile
über die Richtung seiner politischen Thätigkeit lauten mögen, diese Anerkennung
werden ihm selbst die erbittertsten Feinde — und deren zählt er, zu seiner Ehre,
jetzt nur unter den offenen Feinden Oestreichs und Deutschlands — nicht versagen
können, daß er, „jeder Zoll ein Mann", die großen Fragen unsrer Zeit erfaßt
und dieselben nach jeder Seite mit ganzer, ungetheilter Kraft im Interesse Oese-


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[0436] plötzlichen Falle des siegreichen Führers zu behaupten, das Panier für immer daselbst aufzupflanzen und gegen jeden innern und äußern Feind zu wahren, dies war die Aufgabe des Mannes, den der Scharfblick des Fürsten schon frü¬ her dazu ausersehen hatte. Wie hat Graf Buol die Erwartungen seines Vorgängers bisher erfüllt? Hierauf antworten zu wollen, würde in andern Zeiten fast unmöglich, ge¬ wiß aber anmaßend sein. Es sind noch nicht drei Jahre abgelaufen, seit der jetzige Minister des Auswärtigen sein Portefeuille übernommen hat. Und was sind drei Jahre im gewöhnlichen Laufe der Dinge? Was sind drei Jahre im Leben eines Staatsmannes, der seit seiner frühesten Jugend sich in den poli¬ tischen Geschäften bewegt und in denselben ergraut ist? — Aber unsre Zeit entzieht sich der gewöhnlichen Schätzung, die Jahre wollen jetzt nicht gezählt, sondern nach dem Maße ihrer Weltbedeutung gewogen werden. Besonders wir Oestreicher, sonst gewohnt, in stiller Behaglichkeit dem regelmäßigen Pendelschlag der mechanischen Staatsuhr zu lauschen, müssen nun die Versäumnisse von Jahr¬ hunderten und Jahrzehnten unsres politischen Kalenders in wenigen Schalt¬ jahren einzubringen suchen und ein Ueberblick der großen Ereignisse, durch welche in dem jüngsten Zeitraum unser Reich aus der langen Erstarrung Herausgrissen und in die erste Reihe der weltbcstimmenden Mächte gedrängt wurde, muß uns¬ rem Ideengang und unsrem patriotischen Gefühl eine verdoppelte Spannkraft geben. So ist denn auch die Anforderung, welche die Zeitgeschichte an unsre leitenden Staatsmänner stellt, die höchste; in möglichst kurzer Zeit soll das Beste und das Dauerndste geleistet werden. Dem Diplomaten fällt es am schwersten, eine solche Anforderung zu erfüllen. Jeder Moment erheischt einen neuen, aber vollen Entschluß, dieser Entschluß soll organisch in die Reihe von Entschlüssen eingreifen, welche diesem Moment vorhergegangen sind und ihm nachfolgen werden. Aber wo ist da die Norm, nach welcher der einzelne Entschluß, sowie die Reihe derselben gefaßt werden kann? Jeder nächste Moment kann die Botschaft eines unerwarteten Ereignisses bringen. Die Berechnung, welche der politische Verstand eben anstellte, findet eine ganz neue Vorlage. Welche Umstellung der bestimmenden Faktoren, welche vielgcarteten Combinationen sind da mög¬ lich! Hier hilft kein Rechenschlüssel, kein Buch voll der triftigsten Für und Wi¬ der, kein witziger Einfall, kein guter Rath, wie ihn eben ein Freund in der Noth zu geben pflegt, hier hilft nur der Mann selbst, aber der ganze Mann. Und ein solcher, meinen wir, ist Graf Buol. Wie verschieden auch die Urtheile über die Richtung seiner politischen Thätigkeit lauten mögen, diese Anerkennung werden ihm selbst die erbittertsten Feinde — und deren zählt er, zu seiner Ehre, jetzt nur unter den offenen Feinden Oestreichs und Deutschlands — nicht versagen können, daß er, „jeder Zoll ein Mann", die großen Fragen unsrer Zeit erfaßt und dieselben nach jeder Seite mit ganzer, ungetheilter Kraft im Interesse Oese-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341578_96706/436>, abgerufen am 19.05.2024.