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Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, I. Semester. II. Band.

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eben tiefsinnige Reflexionen, wie er zu der Ehre komme, für die verletzte Disciplin
mit dem Leben einzustehen, als Georg mit seiner Frau kommt. Der beherzte
Bruder sucht seine Schwester, um sie zu ersetzen, überall vergebens und gelaugt
so 5is ins Arbeitszimmer des Zaren. Gritzenko hört die Geschichte des jungen
Ehemanns an, nimmt ihm seinen Paß ab und eilt glücklich zum Zaren. Dieser
hat mittlerweile Katharinas Stimme gehört und dringt in Dauilowitsch-Meu-
schikoff, ihm das Räthsel zu erklären. Der Günstling gesteht, daß Katharine
wiedergefunden, aber wahnsinnig sei. Die Aerzte verzweifeln an ihrer Heilung.
Peter, welcher sich schon als Zimniermann und Flötcubläser ausgezeichnet, legt in
der Noth auch seine Talente als Arzt an den Tag. Katharina soll durch eine
heftige Gemüthserschütterung geheilt werden. Mau läßt alle Freunde ans dem
Dorfe bei Wiborg kommenDanilowitsch erscheint wieder als Pastetenbäcker und
singt nochmals die Arie aus dem ersten Acte. Der Zar ist' der Zimmermann
Peters mit Axt und Flöte, und Georg und Prascovia, alle bestürmen die Wahn¬
sinnige mit Reminiscenzen aus dem stnnländischen Flecken. . . Katharine kommt
zu sich -- die Flöte des Bruders scheint sie zu überzeugen, aber wenn sie Georg
bläst, warum antwortet sein Echo nicht? fragt sie in der Naivetät ihres Wahn¬
sinns. Auch dieser läßt sich hören und Katharina singt zwischen den zwei Flöten,
wie ein Vogel zwischen dem vom Wind bewegten Laube hinauf und hinunter --
endlich ist sie fertig -- Peter stürzt herein, sie. ihm ohnmächtig in die Arme und
die Heilung ist vollbracht, wie in Martha. Diener bringen Purpurmantel und
Krone herbei. Katharine stürzt ihrem Gemahl nun im Bewußtsein ihres Glückes
in die Arme, indem sie ausruft -- die Prophezeihung meiner Mutter hat sich er¬
füllt. Großer Jubelchor, der Vorhang fällt gerührt.

Zur Ehrenrettung des französischen Geschmackes sei gleich von vornherein
bemerkt, daß die überschwengliche Begeisterung des Publicums nur in den Zei¬
tungsberichten zu finden ist, wie jene Krebse des Zigeuners blos im Briefe, der
deren Ankunft anzeigte. Die Claque ist mit geringen Ausnahmen allein thätig
und ich habe wieder einmal gelernt, wie man in Paris mir seinen eignen Augen
und Ohren trauen dürfe. Meyerbeer hat es in dieser neuen Oper aufs neue
bethätigt, daß, wenn seine technische Meisterschaft in der Jnstrumentation und in
Auffindung von drastischen unerwartete" Orchestereffecten seit dem Propheten im
Zunehmen begriffen, seine Ideenarmut!) und sein unmusikalisches Wesen in eben
dem Maße gewachsen ist. Ich kann deiz Gehalt dieses jüngsten Werkes dieses'
Opernvirtnosen nicht besser bezeichnen, als indem ich eine Stelle aus Göthes ita¬
lienischer Reise anführe, an die ich mich während der Vorstellung lebhaft erinnerte.
Der Dichter erzählt von einem Seitenaltar der Kapuziner in Venedig, den diese
dem heiligen Franciscus zu Ehren "mächtig ausgeputzt" hatten.

"----- Man sah nichts von Stein als die korinthischen Capitale; alles Uebrige
schien mit einer geschmackvollen, prächtigen Stickerei, nach Art der Arabeske", über-


eben tiefsinnige Reflexionen, wie er zu der Ehre komme, für die verletzte Disciplin
mit dem Leben einzustehen, als Georg mit seiner Frau kommt. Der beherzte
Bruder sucht seine Schwester, um sie zu ersetzen, überall vergebens und gelaugt
so 5is ins Arbeitszimmer des Zaren. Gritzenko hört die Geschichte des jungen
Ehemanns an, nimmt ihm seinen Paß ab und eilt glücklich zum Zaren. Dieser
hat mittlerweile Katharinas Stimme gehört und dringt in Dauilowitsch-Meu-
schikoff, ihm das Räthsel zu erklären. Der Günstling gesteht, daß Katharine
wiedergefunden, aber wahnsinnig sei. Die Aerzte verzweifeln an ihrer Heilung.
Peter, welcher sich schon als Zimniermann und Flötcubläser ausgezeichnet, legt in
der Noth auch seine Talente als Arzt an den Tag. Katharina soll durch eine
heftige Gemüthserschütterung geheilt werden. Mau läßt alle Freunde ans dem
Dorfe bei Wiborg kommenDanilowitsch erscheint wieder als Pastetenbäcker und
singt nochmals die Arie aus dem ersten Acte. Der Zar ist' der Zimmermann
Peters mit Axt und Flöte, und Georg und Prascovia, alle bestürmen die Wahn¬
sinnige mit Reminiscenzen aus dem stnnländischen Flecken. . . Katharine kommt
zu sich — die Flöte des Bruders scheint sie zu überzeugen, aber wenn sie Georg
bläst, warum antwortet sein Echo nicht? fragt sie in der Naivetät ihres Wahn¬
sinns. Auch dieser läßt sich hören und Katharina singt zwischen den zwei Flöten,
wie ein Vogel zwischen dem vom Wind bewegten Laube hinauf und hinunter —
endlich ist sie fertig — Peter stürzt herein, sie. ihm ohnmächtig in die Arme und
die Heilung ist vollbracht, wie in Martha. Diener bringen Purpurmantel und
Krone herbei. Katharine stürzt ihrem Gemahl nun im Bewußtsein ihres Glückes
in die Arme, indem sie ausruft — die Prophezeihung meiner Mutter hat sich er¬
füllt. Großer Jubelchor, der Vorhang fällt gerührt.

Zur Ehrenrettung des französischen Geschmackes sei gleich von vornherein
bemerkt, daß die überschwengliche Begeisterung des Publicums nur in den Zei¬
tungsberichten zu finden ist, wie jene Krebse des Zigeuners blos im Briefe, der
deren Ankunft anzeigte. Die Claque ist mit geringen Ausnahmen allein thätig
und ich habe wieder einmal gelernt, wie man in Paris mir seinen eignen Augen
und Ohren trauen dürfe. Meyerbeer hat es in dieser neuen Oper aufs neue
bethätigt, daß, wenn seine technische Meisterschaft in der Jnstrumentation und in
Auffindung von drastischen unerwartete» Orchestereffecten seit dem Propheten im
Zunehmen begriffen, seine Ideenarmut!) und sein unmusikalisches Wesen in eben
dem Maße gewachsen ist. Ich kann deiz Gehalt dieses jüngsten Werkes dieses'
Opernvirtnosen nicht besser bezeichnen, als indem ich eine Stelle aus Göthes ita¬
lienischer Reise anführe, an die ich mich während der Vorstellung lebhaft erinnerte.
Der Dichter erzählt von einem Seitenaltar der Kapuziner in Venedig, den diese
dem heiligen Franciscus zu Ehren „mächtig ausgeputzt" hatten.

„——- Man sah nichts von Stein als die korinthischen Capitale; alles Uebrige
schien mit einer geschmackvollen, prächtigen Stickerei, nach Art der Arabeske», über-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341578_97779/25>, abgerufen am 28.05.2024.