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Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, I. Semester. II. Band.

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Der Dialog des Dotto und Jgnorante in rö¬
mischen Kirchen.

Unter den mannigfachen sinnreichen Mitteln, welche die katholische Kirche als
gute Mutter anwendet, ihren Kindern ihre Lehren auf faßliche und eindringliche
Weise beizubringen, ist eins der merkwürdigsten der Dialog des Dotto und Igno-
rante. So nennt man freie Gespräche, die von Zeit zu Zeit in römischen
Kirchen zur Belehrung der Gläubigen von zwei Geistlichen gehalten werden. Der
eine stellt das in irdischen Neigungen und Ansichten befangene Weltkind vor, und
wird von dem andern, der wie sein Seelsorger anftritt, ermahnt und zurechtge¬
wiesen. Jener, der Jgnorante, spricht über die kirchlichen Dinge wie ein Mann
aus den untern Ständen, mit hausbackenein Hnnior, ja mit einem ziemlich starken
Anflug von Bnssonerie, selbst im Dialekt nähert er sich der Sprache der niedern
Classen; und seine Reden bringen durch Inhalt, Fassung und Vortrag meistens
große Heiterkeit bei den Hörern hervor. Er ist nicht in Opposition gegen die
Kirche, aber er hängt an weltlichen Interessen, er mochte sich gern so billig ab¬
finden wie möglich. Der Dotto belehrt ihn mit großer Gelassenheit, läßt sich so¬
gar wol herab, auf seine Scherze einzugehen, und überzeugt ihn natürlich zuletzt
von der Heilsamkeit sein-er Vorschriften. Die Zuhörer folgen mit der gespanntesten
Aufmerksamkeit, sie hören ihre eignen Ansichten vortragen und zwar in derselben
Weise, wie sie sie selbst aussprrchen würden: die Argumente, die dagegen vorge¬
bracht werden, sind völlig ans ihre Denkweise, auf ihren Bildungsgrad berechnet.

Der erste Dialog, den ich hörte, fand am zweiten Sonntag des Karneval,
in Se. Maria della eonsolazione, einer kleinen, abgelegenen Kirche zwischen Pa¬
latin und Tiber statt. Das Auditorium gehörte fast ganz den untern und unter¬
sten Ständen an, zu Dreivierteln bestand es aus Frauen. Die beiden Geistlichen
bestiegen ein Gerüst, worauf ein Crucifix errichtet war, und "ahmen nach einem
auf den Knien verrichteten Gebet auf zwei hölzernen Fcldstühleu Platz. Der Jg-
"orante war ein Sechziger mit einem behaglichen, heitern, etwas gerötheten Gesicht


Grenzboten. II, <86i, 11
Der Dialog des Dotto und Jgnorante in rö¬
mischen Kirchen.

Unter den mannigfachen sinnreichen Mitteln, welche die katholische Kirche als
gute Mutter anwendet, ihren Kindern ihre Lehren auf faßliche und eindringliche
Weise beizubringen, ist eins der merkwürdigsten der Dialog des Dotto und Igno-
rante. So nennt man freie Gespräche, die von Zeit zu Zeit in römischen
Kirchen zur Belehrung der Gläubigen von zwei Geistlichen gehalten werden. Der
eine stellt das in irdischen Neigungen und Ansichten befangene Weltkind vor, und
wird von dem andern, der wie sein Seelsorger anftritt, ermahnt und zurechtge¬
wiesen. Jener, der Jgnorante, spricht über die kirchlichen Dinge wie ein Mann
aus den untern Ständen, mit hausbackenein Hnnior, ja mit einem ziemlich starken
Anflug von Bnssonerie, selbst im Dialekt nähert er sich der Sprache der niedern
Classen; und seine Reden bringen durch Inhalt, Fassung und Vortrag meistens
große Heiterkeit bei den Hörern hervor. Er ist nicht in Opposition gegen die
Kirche, aber er hängt an weltlichen Interessen, er mochte sich gern so billig ab¬
finden wie möglich. Der Dotto belehrt ihn mit großer Gelassenheit, läßt sich so¬
gar wol herab, auf seine Scherze einzugehen, und überzeugt ihn natürlich zuletzt
von der Heilsamkeit sein-er Vorschriften. Die Zuhörer folgen mit der gespanntesten
Aufmerksamkeit, sie hören ihre eignen Ansichten vortragen und zwar in derselben
Weise, wie sie sie selbst aussprrchen würden: die Argumente, die dagegen vorge¬
bracht werden, sind völlig ans ihre Denkweise, auf ihren Bildungsgrad berechnet.

Der erste Dialog, den ich hörte, fand am zweiten Sonntag des Karneval,
in Se. Maria della eonsolazione, einer kleinen, abgelegenen Kirche zwischen Pa¬
latin und Tiber statt. Das Auditorium gehörte fast ganz den untern und unter¬
sten Ständen an, zu Dreivierteln bestand es aus Frauen. Die beiden Geistlichen
bestiegen ein Gerüst, worauf ein Crucifix errichtet war, und »ahmen nach einem
auf den Knien verrichteten Gebet auf zwei hölzernen Fcldstühleu Platz. Der Jg-
«orante war ein Sechziger mit einem behaglichen, heitern, etwas gerötheten Gesicht


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[0089] Der Dialog des Dotto und Jgnorante in rö¬ mischen Kirchen. Unter den mannigfachen sinnreichen Mitteln, welche die katholische Kirche als gute Mutter anwendet, ihren Kindern ihre Lehren auf faßliche und eindringliche Weise beizubringen, ist eins der merkwürdigsten der Dialog des Dotto und Igno- rante. So nennt man freie Gespräche, die von Zeit zu Zeit in römischen Kirchen zur Belehrung der Gläubigen von zwei Geistlichen gehalten werden. Der eine stellt das in irdischen Neigungen und Ansichten befangene Weltkind vor, und wird von dem andern, der wie sein Seelsorger anftritt, ermahnt und zurechtge¬ wiesen. Jener, der Jgnorante, spricht über die kirchlichen Dinge wie ein Mann aus den untern Ständen, mit hausbackenein Hnnior, ja mit einem ziemlich starken Anflug von Bnssonerie, selbst im Dialekt nähert er sich der Sprache der niedern Classen; und seine Reden bringen durch Inhalt, Fassung und Vortrag meistens große Heiterkeit bei den Hörern hervor. Er ist nicht in Opposition gegen die Kirche, aber er hängt an weltlichen Interessen, er mochte sich gern so billig ab¬ finden wie möglich. Der Dotto belehrt ihn mit großer Gelassenheit, läßt sich so¬ gar wol herab, auf seine Scherze einzugehen, und überzeugt ihn natürlich zuletzt von der Heilsamkeit sein-er Vorschriften. Die Zuhörer folgen mit der gespanntesten Aufmerksamkeit, sie hören ihre eignen Ansichten vortragen und zwar in derselben Weise, wie sie sie selbst aussprrchen würden: die Argumente, die dagegen vorge¬ bracht werden, sind völlig ans ihre Denkweise, auf ihren Bildungsgrad berechnet. Der erste Dialog, den ich hörte, fand am zweiten Sonntag des Karneval, in Se. Maria della eonsolazione, einer kleinen, abgelegenen Kirche zwischen Pa¬ latin und Tiber statt. Das Auditorium gehörte fast ganz den untern und unter¬ sten Ständen an, zu Dreivierteln bestand es aus Frauen. Die beiden Geistlichen bestiegen ein Gerüst, worauf ein Crucifix errichtet war, und »ahmen nach einem auf den Knien verrichteten Gebet auf zwei hölzernen Fcldstühleu Platz. Der Jg- «orante war ein Sechziger mit einem behaglichen, heitern, etwas gerötheten Gesicht Grenzboten. II, <86i, 11

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341578_97779/88>, abgerufen am 19.05.2024.