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Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, II. Semester. IV. Band.

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er mit schmuckloser Einfachheit und gefühlvollen Ernst vortrug, und in der
Chaconne von Bach. Mit Unterstützung des Sternsehen Vereins trug Frau
Schumann ferner Beethovens Phantasie für Clavier, Orchester und Chor vor,
ein durch den heitern Humor der Stimmung, durch mannigfaltig belebte Be¬
handlung des Orchesters und durch die Kunst technischen Umgestaltens gleich
interessantes Werk. -- Die hervortretendste Eigenschaft an dem Spiel von
Clara Schumann scheint uns die edle Einfachheit und Objektivität desselben
zu sein. Sie hat nichts Weichliches, nichts Kleinliches. Darum sind moderne
Saloncompositionen weniger ihre Sache, als Werke der classischen Periode,
deren wesentliches Merkmal die innere Festigkeit ist, die Grundbedingung lan¬
ger Dauer. Sie bildet in ihrer Art fast einen Gegensatz zu dem zarten, feinen
Spiel von Wilhelmine Claus, das in den Werken von Mendelssohn, Chopin
und ähnlichen zur Geltung kam. -- Joachim gehört anerkanntermaßen zu den
größten ausübenden Künstlern der Gegenwart. Schönheit des Tons, Rein¬
heit der Intonation, außerordentliche Fertigkeit, Adel der Auffassung, alles
vereinigt sich hier zu einem schönen Ganzen. Nicht als ob jede dieser Eigen¬
schaften nicht noch vollendeter gedacht werden könnte -- wir haben in schwie¬
rigen Stücken auch rauhe und unreine Töne von ihm gehört, und, was die
Auffassung betrifft, so könnte vielleicht sein inneres Wesen noch etwas weicher,
biegsamer und anschmiegender werden, obwol nicht zu leugnen, daß es in
einer Zeit, wo soviele Aeußerlichkeit des Strebens herrscht, auch grade wohl¬
thut, einer etwas spröde in sich Versenkten Natur zu begegnen. In Joachims
Spiel liegt der gediegene Ernst, die gedrungene Kraft des Mannes, Spiel
und Vortrag haben sich an Beethovens Werken herangebildet. Als Compo-
nisten haben wir ihn nur privatim, in ein paar Stücken für die Violine
kennen gelernt, in denen wir diese gesunde Kraft, die sein Spiel auszeichnet,
nicht wiederfanden, andere Compositionen, die auswärts von ihm aufgeführt
wurden, haben nicht viel Glück gemacht. Dennoch können wir uns kaum
denken, daß ihm die Natur dies Talent versagt haben sollte, dessen sorgfältige
Pflege ihm bei seiner Abneigung gegen das Concertspielen besonders am Her¬
zen liegen müßte.

Joachim hat uns zu den modernen Composttionsbestrebungen geführt.
Gestatten Sie mir, mit einem kurzen Vorausblick auf den nächsten Winter
meinen Bericht zu schließen. Daß wir endlich Gelegenheit haben werden, ver¬
schiedene Hauptwerke der modernen Richtung zu hören, dafür kann denen, die
den Versuch dazu unternehmen, nur Dank und Anerkennung gebühren. In
welchen Grenzen aber diese Richtung sich ausbreiten und ob sie die Vertretung
mehrer Kunstwerke älterer Zeit gefährden wird, das hat man für Berlin erst
zu erwarten. Sie schrieben kürzlich, daß die Kunst nicht mehr durch Barbarei,
sondern nur noch durch das alte Uebel der Unproductivität gefährdet werde.


er mit schmuckloser Einfachheit und gefühlvollen Ernst vortrug, und in der
Chaconne von Bach. Mit Unterstützung des Sternsehen Vereins trug Frau
Schumann ferner Beethovens Phantasie für Clavier, Orchester und Chor vor,
ein durch den heitern Humor der Stimmung, durch mannigfaltig belebte Be¬
handlung des Orchesters und durch die Kunst technischen Umgestaltens gleich
interessantes Werk. — Die hervortretendste Eigenschaft an dem Spiel von
Clara Schumann scheint uns die edle Einfachheit und Objektivität desselben
zu sein. Sie hat nichts Weichliches, nichts Kleinliches. Darum sind moderne
Saloncompositionen weniger ihre Sache, als Werke der classischen Periode,
deren wesentliches Merkmal die innere Festigkeit ist, die Grundbedingung lan¬
ger Dauer. Sie bildet in ihrer Art fast einen Gegensatz zu dem zarten, feinen
Spiel von Wilhelmine Claus, das in den Werken von Mendelssohn, Chopin
und ähnlichen zur Geltung kam. — Joachim gehört anerkanntermaßen zu den
größten ausübenden Künstlern der Gegenwart. Schönheit des Tons, Rein¬
heit der Intonation, außerordentliche Fertigkeit, Adel der Auffassung, alles
vereinigt sich hier zu einem schönen Ganzen. Nicht als ob jede dieser Eigen¬
schaften nicht noch vollendeter gedacht werden könnte — wir haben in schwie¬
rigen Stücken auch rauhe und unreine Töne von ihm gehört, und, was die
Auffassung betrifft, so könnte vielleicht sein inneres Wesen noch etwas weicher,
biegsamer und anschmiegender werden, obwol nicht zu leugnen, daß es in
einer Zeit, wo soviele Aeußerlichkeit des Strebens herrscht, auch grade wohl¬
thut, einer etwas spröde in sich Versenkten Natur zu begegnen. In Joachims
Spiel liegt der gediegene Ernst, die gedrungene Kraft des Mannes, Spiel
und Vortrag haben sich an Beethovens Werken herangebildet. Als Compo-
nisten haben wir ihn nur privatim, in ein paar Stücken für die Violine
kennen gelernt, in denen wir diese gesunde Kraft, die sein Spiel auszeichnet,
nicht wiederfanden, andere Compositionen, die auswärts von ihm aufgeführt
wurden, haben nicht viel Glück gemacht. Dennoch können wir uns kaum
denken, daß ihm die Natur dies Talent versagt haben sollte, dessen sorgfältige
Pflege ihm bei seiner Abneigung gegen das Concertspielen besonders am Her¬
zen liegen müßte.

Joachim hat uns zu den modernen Composttionsbestrebungen geführt.
Gestatten Sie mir, mit einem kurzen Vorausblick auf den nächsten Winter
meinen Bericht zu schließen. Daß wir endlich Gelegenheit haben werden, ver¬
schiedene Hauptwerke der modernen Richtung zu hören, dafür kann denen, die
den Versuch dazu unternehmen, nur Dank und Anerkennung gebühren. In
welchen Grenzen aber diese Richtung sich ausbreiten und ob sie die Vertretung
mehrer Kunstwerke älterer Zeit gefährden wird, das hat man für Berlin erst
zu erwarten. Sie schrieben kürzlich, daß die Kunst nicht mehr durch Barbarei,
sondern nur noch durch das alte Uebel der Unproductivität gefährdet werde.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341580_100453/102>, abgerufen am 14.05.2024.