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Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, II. Semester. IV. Band.

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tung. Eine zweite Cabinetsordre kritisirte das Religionsedict Wöllners und
sagte, es sei zwar früher kein Religionsedict im Lande gewesen, "aber gewiß mehr
Religion und weniger Heuchelei als jetzt." Wöllner fügte sich, es war ihm
mehr um seinen Ministerposten, als um sein System zu thun. Aber schon im
Frühjahr 1798 wurde er entlassen, mit ihm die bekanntesten Werkzeuge seiner Kir¬
chenpolitik. So wohlwollend indeß die Absichten des jungen Monarchen waren,
es fehlten ihm Selbstvertrauen, rasche Entschlossenheit, durchgreifender Wille,
Selbstständigkeit des Handelns. Sein bisheriger Umgang mit beschränkten
Militärs hatte in ihm Vorliebe für ehrbare Mittelmäßigkeit, Scheu gegen
große und geniale Menschen festgesetzt. Stein hat ihm niemals nahe treten
können. So wurde 4797 eine durchgreifende Veränderung in keinem Zweige
des Staatswesens versucht. Die Leitung der auswärtigen Angelegenheiten
behielten der charakterlose Haugwitz und der unmoralische Lombard. Der ver¬
derbliche Cabinetsrath zwischen dem König und den Ministern blieb bestehen;
als unsichtbare Camarilla entschied er über die wichtigsten Interessen des Staats.
Von der Beseitigung dieser Behörde hat später Siein die Uebernahme seiner
Regierung abhängig gemacht. Die sittliche Entnervung der Nation dauerte
fort, kurzsichtige Selbstsucht der Friedenspolitiker hielt ihren Geist gefangen.
Selbst der ungestüme Friedrich Gentz, der damals zum Sprecher der Volks¬
wünsche sich aufwarf, sagte in seinem "Sendschreiben an Friedrich Wilhelm III.":
"Den Krieg abzuwenden muß der Richtpunkt aller politischen Maßregeln, das
Ziel aller militärischen Anstrengungen, der letzte Gipfel aller diplomatischen
Weisheit sein." Der preußische Adel gerirte sich als eine Classe von Privile-
girten, die weniger strebten die ersten zu sein in Leistungen als in Begün¬
stigungen und Vorrechten. Die untern Classen des Volkes waren unter dem
Druck dieser Vorrechte gleichgiltig gegen Wohl und Wehe des Staats.

Inzwischen sollten aus dem Congreß zu Ra statt der Friede und die künf¬
tige Ordnung des deutschen Reiches festgestellt werden. Das Reich war tiefer
zerrissen als jemals. Oestreich lud die Reichsfürsten zu dem Congresse ein und
spiegelte ihm immer noch die Erhaltung seiner Integrität vor, die es in den
geheimen Artikeln von Campo Formio längst Preis gegeben hatte. Oestreich
wollte jetzt durch Hilfe Frankreichs das langersehnte Baiern erhalten; Preußen
suchte durch französische Protection Arrondirungen in Franken und Westphalen
zu erlangen. Von den kleineren Reichsständen hatten mehre Frankreich die
Abtretung des linken Rheinufers zugesagt und dafür die geistlichen Stifter
sich versprechen lassen. "Allenthalben nur betrogene Betrüger vom Kaiser an
bis zu den kleinen süddeutschen Reichsständen herab!" Frankreich dachte weder
daran, Oestreich Baiern zu geben, noch Preußen zu vergrößern. Die Instruk¬
tionen des Directoriums an seine Gesandten in Rastatt lauteten: Dem Reiche
Mainz abzupressen, den mittlern und kleinern Staaten eine Invasion arm-


tung. Eine zweite Cabinetsordre kritisirte das Religionsedict Wöllners und
sagte, es sei zwar früher kein Religionsedict im Lande gewesen, „aber gewiß mehr
Religion und weniger Heuchelei als jetzt." Wöllner fügte sich, es war ihm
mehr um seinen Ministerposten, als um sein System zu thun. Aber schon im
Frühjahr 1798 wurde er entlassen, mit ihm die bekanntesten Werkzeuge seiner Kir¬
chenpolitik. So wohlwollend indeß die Absichten des jungen Monarchen waren,
es fehlten ihm Selbstvertrauen, rasche Entschlossenheit, durchgreifender Wille,
Selbstständigkeit des Handelns. Sein bisheriger Umgang mit beschränkten
Militärs hatte in ihm Vorliebe für ehrbare Mittelmäßigkeit, Scheu gegen
große und geniale Menschen festgesetzt. Stein hat ihm niemals nahe treten
können. So wurde 4797 eine durchgreifende Veränderung in keinem Zweige
des Staatswesens versucht. Die Leitung der auswärtigen Angelegenheiten
behielten der charakterlose Haugwitz und der unmoralische Lombard. Der ver¬
derbliche Cabinetsrath zwischen dem König und den Ministern blieb bestehen;
als unsichtbare Camarilla entschied er über die wichtigsten Interessen des Staats.
Von der Beseitigung dieser Behörde hat später Siein die Uebernahme seiner
Regierung abhängig gemacht. Die sittliche Entnervung der Nation dauerte
fort, kurzsichtige Selbstsucht der Friedenspolitiker hielt ihren Geist gefangen.
Selbst der ungestüme Friedrich Gentz, der damals zum Sprecher der Volks¬
wünsche sich aufwarf, sagte in seinem „Sendschreiben an Friedrich Wilhelm III.":
„Den Krieg abzuwenden muß der Richtpunkt aller politischen Maßregeln, das
Ziel aller militärischen Anstrengungen, der letzte Gipfel aller diplomatischen
Weisheit sein." Der preußische Adel gerirte sich als eine Classe von Privile-
girten, die weniger strebten die ersten zu sein in Leistungen als in Begün¬
stigungen und Vorrechten. Die untern Classen des Volkes waren unter dem
Druck dieser Vorrechte gleichgiltig gegen Wohl und Wehe des Staats.

Inzwischen sollten aus dem Congreß zu Ra statt der Friede und die künf¬
tige Ordnung des deutschen Reiches festgestellt werden. Das Reich war tiefer
zerrissen als jemals. Oestreich lud die Reichsfürsten zu dem Congresse ein und
spiegelte ihm immer noch die Erhaltung seiner Integrität vor, die es in den
geheimen Artikeln von Campo Formio längst Preis gegeben hatte. Oestreich
wollte jetzt durch Hilfe Frankreichs das langersehnte Baiern erhalten; Preußen
suchte durch französische Protection Arrondirungen in Franken und Westphalen
zu erlangen. Von den kleineren Reichsständen hatten mehre Frankreich die
Abtretung des linken Rheinufers zugesagt und dafür die geistlichen Stifter
sich versprechen lassen. „Allenthalben nur betrogene Betrüger vom Kaiser an
bis zu den kleinen süddeutschen Reichsständen herab!" Frankreich dachte weder
daran, Oestreich Baiern zu geben, noch Preußen zu vergrößern. Die Instruk¬
tionen des Directoriums an seine Gesandten in Rastatt lauteten: Dem Reiche
Mainz abzupressen, den mittlern und kleinern Staaten eine Invasion arm-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341580_100453/104>, abgerufen am 14.05.2024.