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Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, II. Semester. IV. Band.

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Ecke im Elsaß und Baden Landsknechterei und militärische Verwegenheit, die
Lust am politischen und am kriegerischen Abenteuer, Frechheit und Bravheit
seit den Zeiten der Hohenstaufen bis auf diesen Tag heimisch waren; ist diese
kindlich treuherzige Art je in dem Munde jener Geschlechter gewesen, mit denen
Kaiser Rudolph die Welt erobern wollte und die sie mit Napoleon eroberten?
Wir wollen dem verdienten Ruhme Hebels nicht zu nahe treten, wir wollen
nur bezeichnen, daß Groth sich eine andere Ausgabe stellte. Denn das Platt¬
deutsche ist nun einmal der Pierrot der deutschen Dialekte. Groth wollte nicht
nur die traditionelle Physiognomie des Dialekts für seine Zwecke verwerthen,
er wollte den ganzen innern Gehalt, möglichst individualisirt, ganz zu Tage
fördern. Es ist hier nicht unsre Aufgabe, zu wiederholen, wiewohl ihm das ge¬
lungen. Die Erzählung "Ut de Marsch" ist aus dem "Verteiln" aufgenommen,
die Priameln und Rimeln sind ganz neu.

So hatte auch Ludwig Richter neben Hebel, und Speckter neben Groth
eine andere Aufgabe zu lösen. Die Liebenswürdigkeit und Sicherheit, so
wie der Reichthum von Richters Productivität hat sich vielleicht nirgend, wir
nehmen einzelne Blätter zu Bechstein aus -- so schlagend manifestirt als eben
in den Illustrationen zu Hebel. Es ist der Ton freundlicher Treuherzigkeit,
zierlicher Schalkhaftigkeit, in dem der Dichter und der Zeichner ihre Idyllen
entworfen, jene poetische Humanität, die den rheinischen Hausfreund jedem Ver¬
hältniß seine neckische und lehrreiche Seite abgewinnen läßt und es ist derselbe
Geist, mit dem Ludwig Richter sich im Märchen von Machandelboom ebenso-
wol wie in Horns Spinnstube zurecht findet. Speckter hatte im Quickborn
eine andere Färbung vor Augen zu führen, jene kleinen, engen Räume des nord¬
deutschen Familienlebens, vom Entenhof und Sperlingsnest nicht zu sprechen,
in dem sich die Gestalten von Mutter und Kind, Mädchen und Knecht ruhig
und freundlich nebeneinander bewegen; aber dahinter streckt sich draußen die
lange, ewigbewegte, einsame Küste mit ihren Wracks und ihren Ertrunkenen
mitten hinein in die Idylle des Alltagslebens und dazwischen zuckt das geister¬
bleiche Licht der ruhelosen Seelen, nicht die behaglichen Verdammten, wie sie
sich bei Vater Musäus barbiren lassen, sondern ein unsicherer und unheim¬
licher, irrer Schein, den Groth so spukhaft vor uns zittern läßt. Und hinter
der bewegten und doch so stillen Gegenwart endlich liegen die alten, großen
Schlachtfelder mit ihren fast unerhörten Spannungen und Erfolgen, die großen
Heldenleiber von Henningstädt und auch der blasse Märtyrer Heinrich von
Zytphen. Uebersieht man diese Fülle höchst eigenthümlicher Aufgaben, so muß
man zuerst die Mäßigung anerkennen, mit welcher der Künstler die Stoffe gewählt,
die einzelnen ausgeführt und besonders das Arabeskenartige behandelt hat.
Daß er in einigen, namentlich landschaftlichen Bildern, deren viele so über¬
aus gelungen, Richters Einfachheit noch mehr hätte zum Muster nehmen sollen,


Ecke im Elsaß und Baden Landsknechterei und militärische Verwegenheit, die
Lust am politischen und am kriegerischen Abenteuer, Frechheit und Bravheit
seit den Zeiten der Hohenstaufen bis auf diesen Tag heimisch waren; ist diese
kindlich treuherzige Art je in dem Munde jener Geschlechter gewesen, mit denen
Kaiser Rudolph die Welt erobern wollte und die sie mit Napoleon eroberten?
Wir wollen dem verdienten Ruhme Hebels nicht zu nahe treten, wir wollen
nur bezeichnen, daß Groth sich eine andere Ausgabe stellte. Denn das Platt¬
deutsche ist nun einmal der Pierrot der deutschen Dialekte. Groth wollte nicht
nur die traditionelle Physiognomie des Dialekts für seine Zwecke verwerthen,
er wollte den ganzen innern Gehalt, möglichst individualisirt, ganz zu Tage
fördern. Es ist hier nicht unsre Aufgabe, zu wiederholen, wiewohl ihm das ge¬
lungen. Die Erzählung „Ut de Marsch" ist aus dem „Verteiln" aufgenommen,
die Priameln und Rimeln sind ganz neu.

So hatte auch Ludwig Richter neben Hebel, und Speckter neben Groth
eine andere Aufgabe zu lösen. Die Liebenswürdigkeit und Sicherheit, so
wie der Reichthum von Richters Productivität hat sich vielleicht nirgend, wir
nehmen einzelne Blätter zu Bechstein aus — so schlagend manifestirt als eben
in den Illustrationen zu Hebel. Es ist der Ton freundlicher Treuherzigkeit,
zierlicher Schalkhaftigkeit, in dem der Dichter und der Zeichner ihre Idyllen
entworfen, jene poetische Humanität, die den rheinischen Hausfreund jedem Ver¬
hältniß seine neckische und lehrreiche Seite abgewinnen läßt und es ist derselbe
Geist, mit dem Ludwig Richter sich im Märchen von Machandelboom ebenso-
wol wie in Horns Spinnstube zurecht findet. Speckter hatte im Quickborn
eine andere Färbung vor Augen zu führen, jene kleinen, engen Räume des nord¬
deutschen Familienlebens, vom Entenhof und Sperlingsnest nicht zu sprechen,
in dem sich die Gestalten von Mutter und Kind, Mädchen und Knecht ruhig
und freundlich nebeneinander bewegen; aber dahinter streckt sich draußen die
lange, ewigbewegte, einsame Küste mit ihren Wracks und ihren Ertrunkenen
mitten hinein in die Idylle des Alltagslebens und dazwischen zuckt das geister¬
bleiche Licht der ruhelosen Seelen, nicht die behaglichen Verdammten, wie sie
sich bei Vater Musäus barbiren lassen, sondern ein unsicherer und unheim¬
licher, irrer Schein, den Groth so spukhaft vor uns zittern läßt. Und hinter
der bewegten und doch so stillen Gegenwart endlich liegen die alten, großen
Schlachtfelder mit ihren fast unerhörten Spannungen und Erfolgen, die großen
Heldenleiber von Henningstädt und auch der blasse Märtyrer Heinrich von
Zytphen. Uebersieht man diese Fülle höchst eigenthümlicher Aufgaben, so muß
man zuerst die Mäßigung anerkennen, mit welcher der Künstler die Stoffe gewählt,
die einzelnen ausgeführt und besonders das Arabeskenartige behandelt hat.
Daß er in einigen, namentlich landschaftlichen Bildern, deren viele so über¬
aus gelungen, Richters Einfachheit noch mehr hätte zum Muster nehmen sollen,


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[0226] Ecke im Elsaß und Baden Landsknechterei und militärische Verwegenheit, die Lust am politischen und am kriegerischen Abenteuer, Frechheit und Bravheit seit den Zeiten der Hohenstaufen bis auf diesen Tag heimisch waren; ist diese kindlich treuherzige Art je in dem Munde jener Geschlechter gewesen, mit denen Kaiser Rudolph die Welt erobern wollte und die sie mit Napoleon eroberten? Wir wollen dem verdienten Ruhme Hebels nicht zu nahe treten, wir wollen nur bezeichnen, daß Groth sich eine andere Ausgabe stellte. Denn das Platt¬ deutsche ist nun einmal der Pierrot der deutschen Dialekte. Groth wollte nicht nur die traditionelle Physiognomie des Dialekts für seine Zwecke verwerthen, er wollte den ganzen innern Gehalt, möglichst individualisirt, ganz zu Tage fördern. Es ist hier nicht unsre Aufgabe, zu wiederholen, wiewohl ihm das ge¬ lungen. Die Erzählung „Ut de Marsch" ist aus dem „Verteiln" aufgenommen, die Priameln und Rimeln sind ganz neu. So hatte auch Ludwig Richter neben Hebel, und Speckter neben Groth eine andere Aufgabe zu lösen. Die Liebenswürdigkeit und Sicherheit, so wie der Reichthum von Richters Productivität hat sich vielleicht nirgend, wir nehmen einzelne Blätter zu Bechstein aus — so schlagend manifestirt als eben in den Illustrationen zu Hebel. Es ist der Ton freundlicher Treuherzigkeit, zierlicher Schalkhaftigkeit, in dem der Dichter und der Zeichner ihre Idyllen entworfen, jene poetische Humanität, die den rheinischen Hausfreund jedem Ver¬ hältniß seine neckische und lehrreiche Seite abgewinnen läßt und es ist derselbe Geist, mit dem Ludwig Richter sich im Märchen von Machandelboom ebenso- wol wie in Horns Spinnstube zurecht findet. Speckter hatte im Quickborn eine andere Färbung vor Augen zu führen, jene kleinen, engen Räume des nord¬ deutschen Familienlebens, vom Entenhof und Sperlingsnest nicht zu sprechen, in dem sich die Gestalten von Mutter und Kind, Mädchen und Knecht ruhig und freundlich nebeneinander bewegen; aber dahinter streckt sich draußen die lange, ewigbewegte, einsame Küste mit ihren Wracks und ihren Ertrunkenen mitten hinein in die Idylle des Alltagslebens und dazwischen zuckt das geister¬ bleiche Licht der ruhelosen Seelen, nicht die behaglichen Verdammten, wie sie sich bei Vater Musäus barbiren lassen, sondern ein unsicherer und unheim¬ licher, irrer Schein, den Groth so spukhaft vor uns zittern läßt. Und hinter der bewegten und doch so stillen Gegenwart endlich liegen die alten, großen Schlachtfelder mit ihren fast unerhörten Spannungen und Erfolgen, die großen Heldenleiber von Henningstädt und auch der blasse Märtyrer Heinrich von Zytphen. Uebersieht man diese Fülle höchst eigenthümlicher Aufgaben, so muß man zuerst die Mäßigung anerkennen, mit welcher der Künstler die Stoffe gewählt, die einzelnen ausgeführt und besonders das Arabeskenartige behandelt hat. Daß er in einigen, namentlich landschaftlichen Bildern, deren viele so über¬ aus gelungen, Richters Einfachheit noch mehr hätte zum Muster nehmen sollen,

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341580_100453/226>, abgerufen am 11.05.2024.