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Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, II. Semester. IV. Band.

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nach Kiel zu gehören schien. Schon längst war die Universität den Danoma-
nen ein Dorn im Auge. Sie zählt zu den wenigen Instituten der Herzog-
thümer, welche, indem sie beiden gemeinsam geblieben sind, an Schleswig-Hol¬
stein erinnern. Man suchte daher zuvörderst zu bewirken, daß sie nur auf dem
Papier für Schleswiger eristirt, in der Wirklichkeit aber allein von Holsteinern
frequentirt werde. Man schreckte die Abiturienten der Gymnasien jenseits der
Eider nach Kopenhagen, indem man unter der Hand zu verstehen gab, nur
die, welche dort studirten, hätten auf Anstellung zu rechnen. Die Unbemittel¬
ten wurden überdies durch die Aussicht auf reiche Stipendien, die Bequemen
durch die bekannte Thatsache dahin gelockt, daß in den Prüfungen dort ein viel
geringeres Wissen vorausgesetzt wird als in Kiel. Diese Machinationen ge¬
langen zwar nur zum Theil, indeß immerhin zu gut, als daß sich bei der
deutschen Hochschule nicht bald ein fühlbarer Mangel, eine merkliche Benach-
theiligung ihres eigenthümlichen Lebens herausgestellt hätte. Seit dem Um¬
schwunge der Verhältnisse siecht die Universität. War sie früher schon eine der
kleinern in Deutschland, so ist sie jetzt die von allen am schwächsten besuchte,
und war einst das lebhafte, ideenreiche fchleswigfche Element in gleichem Maße
wie das langsamere, wenn auch vielleicht gediegnere holsteinische vertreten, so
herrscht gegenwärtig ein Mißverhältniß in der Mischung, das vor allem von
den Professoren schwer empfunden wird, welche die nicht zu den Brotstudien
zählenden Disciplinen repräsentiren. Die Jugend Schleswigs ist der Zeit
unter den kieler Studirenden nur durch einige vierzig vertreten, und von
sechs Primanern, welche beim letzten Eramen der Schleswiger Domschule für
reif zur Universität erklärt wurden, gingen fünf nach Kopenhagen, keiner
nach Kiel.

Der poetische Schimmer des Studentenlebens, der leider auch auf unfern
Hochschulen, namentlich auf denen in größern Städten, zu verbleichen und
nüchterner Altklugheit Platz zumachen beginnt, ist hier in Kiel völlig verwischt,
allerdings zum Theil durch den Krieg, bei dem die meisten angekämpft oder
doch mitgelitten, und dessen ernste Erinnerungen in den Gemüthern das Gefallen
an den Späßen der Corpskneipe, an farbigen Mützen, Commercen, Aufzügen
und Paukereien erstickt haben -- zum größten Theile aber durch den Druck
der Umstände. Ich wiederhole es, die Universität kränkelt. Sie leidet am Zehr¬
fieber, und alle die schönen Kräfte, die an ihr wirken, werden ihr höchstens
das Leben fristen; ein Wiederaufkommen aber zu der alten Gesundheit und
Rüstigkeit ist nur zugleich mit dem Wiederaufkommen Schleswig-Holsteins
denkbar.

Ob man ihr nun von Kopenhagen einen Arzt senden oder ihr den Gnaden¬
stoß geben wollte -- genug, vor etwa acht Tagen verkündigte das Correspon-
denzblatt -- beiläufig eine Duodezkreuzzeitung, die sichs sür Dänemarks und


Grenzboten. IV. 3

nach Kiel zu gehören schien. Schon längst war die Universität den Danoma-
nen ein Dorn im Auge. Sie zählt zu den wenigen Instituten der Herzog-
thümer, welche, indem sie beiden gemeinsam geblieben sind, an Schleswig-Hol¬
stein erinnern. Man suchte daher zuvörderst zu bewirken, daß sie nur auf dem
Papier für Schleswiger eristirt, in der Wirklichkeit aber allein von Holsteinern
frequentirt werde. Man schreckte die Abiturienten der Gymnasien jenseits der
Eider nach Kopenhagen, indem man unter der Hand zu verstehen gab, nur
die, welche dort studirten, hätten auf Anstellung zu rechnen. Die Unbemittel¬
ten wurden überdies durch die Aussicht auf reiche Stipendien, die Bequemen
durch die bekannte Thatsache dahin gelockt, daß in den Prüfungen dort ein viel
geringeres Wissen vorausgesetzt wird als in Kiel. Diese Machinationen ge¬
langen zwar nur zum Theil, indeß immerhin zu gut, als daß sich bei der
deutschen Hochschule nicht bald ein fühlbarer Mangel, eine merkliche Benach-
theiligung ihres eigenthümlichen Lebens herausgestellt hätte. Seit dem Um¬
schwunge der Verhältnisse siecht die Universität. War sie früher schon eine der
kleinern in Deutschland, so ist sie jetzt die von allen am schwächsten besuchte,
und war einst das lebhafte, ideenreiche fchleswigfche Element in gleichem Maße
wie das langsamere, wenn auch vielleicht gediegnere holsteinische vertreten, so
herrscht gegenwärtig ein Mißverhältniß in der Mischung, das vor allem von
den Professoren schwer empfunden wird, welche die nicht zu den Brotstudien
zählenden Disciplinen repräsentiren. Die Jugend Schleswigs ist der Zeit
unter den kieler Studirenden nur durch einige vierzig vertreten, und von
sechs Primanern, welche beim letzten Eramen der Schleswiger Domschule für
reif zur Universität erklärt wurden, gingen fünf nach Kopenhagen, keiner
nach Kiel.

Der poetische Schimmer des Studentenlebens, der leider auch auf unfern
Hochschulen, namentlich auf denen in größern Städten, zu verbleichen und
nüchterner Altklugheit Platz zumachen beginnt, ist hier in Kiel völlig verwischt,
allerdings zum Theil durch den Krieg, bei dem die meisten angekämpft oder
doch mitgelitten, und dessen ernste Erinnerungen in den Gemüthern das Gefallen
an den Späßen der Corpskneipe, an farbigen Mützen, Commercen, Aufzügen
und Paukereien erstickt haben — zum größten Theile aber durch den Druck
der Umstände. Ich wiederhole es, die Universität kränkelt. Sie leidet am Zehr¬
fieber, und alle die schönen Kräfte, die an ihr wirken, werden ihr höchstens
das Leben fristen; ein Wiederaufkommen aber zu der alten Gesundheit und
Rüstigkeit ist nur zugleich mit dem Wiederaufkommen Schleswig-Holsteins
denkbar.

Ob man ihr nun von Kopenhagen einen Arzt senden oder ihr den Gnaden¬
stoß geben wollte — genug, vor etwa acht Tagen verkündigte das Correspon-
denzblatt — beiläufig eine Duodezkreuzzeitung, die sichs sür Dänemarks und


Grenzboten. IV. 3
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341580_100453/25>, abgerufen am 09.05.2024.