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Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, II. Semester. IV. Band.

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mehr als je wurde in der neuen Weise auf Glas gemalt. In Süddeutschland,
den Niederlanden, der Schweiz wurden die Glasfenster allgemeiner Lurus der
Privatwohnungen und öffentlichen Gebäude. Es wurde Sitte, solche Glas¬
fenster zum Geschenk zu machen und zu erbitten; zahllos sind die Wappenfenster
der Geschlechter, Zünfte, Städte, welche im -16. Jahrhundert angefertigt wur¬
den. Aber jetzt, wo die Glasmalerei den kirchlichen Boden verlassen hatte, um die
Alltäglichkeit zu schmücken, , hatte sie den größten Reichthum an Gestalten, die
höchsten und würdigsten Aufgaben eingebüßt. Noch mehr, während ihr eigent¬
liches Wesen ist, durch bunte' Farbenpracht zu wirken, opferte sie jetzt, wo die
Bilder in größter Nähe zu betrachten waren, häufig die Farben der Zeichnung
auf; saubere, oft vortreffliche Linienführung, zierliche Arabesken, aber Armuth
an Farben werden allgemein, selbst an. Kirchenfenster malt man oft grau in
gelb oder grau in weiß; sogar die Art des Kupferstichs wurde auf farblosem
Glas nachgeahmt. Während dieses Zustandes der Kunst trafen unser Vater¬
land die größten politischen Nnglücksfcille. Auf die Religionskämpfe des
-16. Jahrhunderts folgte der große Bildungszerstörer, der dreißigjährige Krieg.
Die Nation sank in Schwäche und Armuth, kein Besitz hatte mehr Festigkeit,
und der zerbrechlichste von allen war das gemalte Fenster; mit reißender
Schnelligkeit ging die Freude an diesem Schmuck des Hauses verloren, und
ebenso schnell die Technik selbst. Im Laufe des 17. Jahrhunderts wurden
schon wiederholte Anstrengungen nöthig, um das tiefrothe Glas der frühern
Meister wieder zu entdecken Im Anfange des 18. Jahrhunderts war die Glas¬
malerei in Deutschland und auf dem ganzen Festlande Europas untergegangen.
Eine baseler Nachricht vom Jahre -1763 erinnert sich noch an den letzten ver¬
storbenen Glasmaler, mit Namen Mannetzsch. Nur in England, wo die Con-
tinuität des Volkslebens nicht durch gewaltsame Krisen unterbrochen worden
ist und die Kirchenreform dem katholischen Schmuck weniger abhold war, erhielten
sich einige Traditionen der Kunst.

So bietet die Geschichte der Glasmalerei in Deutschland die eigenthümliche
Erscheinung, daß ihr gegenwärtiges Leben von dem der Vergangenheit durch,
ein Jahrhundert des Todesschlafes getrennt ist. Andere Verbindungen der
Kunst mit dem Handwerk, z. B. die Holzschneidekunst, haben ein ähnliches
Schicksal gehabt, wenn auch nicht in so auffallender Weise. Das Wiederauf¬
leben der Glasmalerei verdanken wir der deutschen Gemüthsrichtung, welche im
Anfange dieses Jahrhunderts durch die Romantiker aufgeregt wurde. Dies
dilettirende Volk, welches in der Armuth des damaligen deutschen Lebens mit
Unruhiger Hast umhersuchte nach neuen Idealen in der Kunst, einer neuen
Schönheit und einem neuen Glauben, hat bei seinem Mangel an künstlerischer
Productivität zwar in seinen eignen Schöpfungen viel gegen die Gesetze der
Kunst gesündigt, aber es hat eine große Anzahl unbekannter oder verschütteter


mehr als je wurde in der neuen Weise auf Glas gemalt. In Süddeutschland,
den Niederlanden, der Schweiz wurden die Glasfenster allgemeiner Lurus der
Privatwohnungen und öffentlichen Gebäude. Es wurde Sitte, solche Glas¬
fenster zum Geschenk zu machen und zu erbitten; zahllos sind die Wappenfenster
der Geschlechter, Zünfte, Städte, welche im -16. Jahrhundert angefertigt wur¬
den. Aber jetzt, wo die Glasmalerei den kirchlichen Boden verlassen hatte, um die
Alltäglichkeit zu schmücken, , hatte sie den größten Reichthum an Gestalten, die
höchsten und würdigsten Aufgaben eingebüßt. Noch mehr, während ihr eigent¬
liches Wesen ist, durch bunte' Farbenpracht zu wirken, opferte sie jetzt, wo die
Bilder in größter Nähe zu betrachten waren, häufig die Farben der Zeichnung
auf; saubere, oft vortreffliche Linienführung, zierliche Arabesken, aber Armuth
an Farben werden allgemein, selbst an. Kirchenfenster malt man oft grau in
gelb oder grau in weiß; sogar die Art des Kupferstichs wurde auf farblosem
Glas nachgeahmt. Während dieses Zustandes der Kunst trafen unser Vater¬
land die größten politischen Nnglücksfcille. Auf die Religionskämpfe des
-16. Jahrhunderts folgte der große Bildungszerstörer, der dreißigjährige Krieg.
Die Nation sank in Schwäche und Armuth, kein Besitz hatte mehr Festigkeit,
und der zerbrechlichste von allen war das gemalte Fenster; mit reißender
Schnelligkeit ging die Freude an diesem Schmuck des Hauses verloren, und
ebenso schnell die Technik selbst. Im Laufe des 17. Jahrhunderts wurden
schon wiederholte Anstrengungen nöthig, um das tiefrothe Glas der frühern
Meister wieder zu entdecken Im Anfange des 18. Jahrhunderts war die Glas¬
malerei in Deutschland und auf dem ganzen Festlande Europas untergegangen.
Eine baseler Nachricht vom Jahre -1763 erinnert sich noch an den letzten ver¬
storbenen Glasmaler, mit Namen Mannetzsch. Nur in England, wo die Con-
tinuität des Volkslebens nicht durch gewaltsame Krisen unterbrochen worden
ist und die Kirchenreform dem katholischen Schmuck weniger abhold war, erhielten
sich einige Traditionen der Kunst.

So bietet die Geschichte der Glasmalerei in Deutschland die eigenthümliche
Erscheinung, daß ihr gegenwärtiges Leben von dem der Vergangenheit durch,
ein Jahrhundert des Todesschlafes getrennt ist. Andere Verbindungen der
Kunst mit dem Handwerk, z. B. die Holzschneidekunst, haben ein ähnliches
Schicksal gehabt, wenn auch nicht in so auffallender Weise. Das Wiederauf¬
leben der Glasmalerei verdanken wir der deutschen Gemüthsrichtung, welche im
Anfange dieses Jahrhunderts durch die Romantiker aufgeregt wurde. Dies
dilettirende Volk, welches in der Armuth des damaligen deutschen Lebens mit
Unruhiger Hast umhersuchte nach neuen Idealen in der Kunst, einer neuen
Schönheit und einem neuen Glauben, hat bei seinem Mangel an künstlerischer
Productivität zwar in seinen eignen Schöpfungen viel gegen die Gesetze der
Kunst gesündigt, aber es hat eine große Anzahl unbekannter oder verschütteter


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341580_100453/293>, abgerufen am 11.05.2024.