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Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, II. Semester. IV. Band.

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wurden. Bei dem oft plötzlichen Wechsel des herrschenden Systems sicherten sie
sich klug den Uebergang nach der entgegengesetzten Seite.

In unsrer Synode galt die Union als l'ait avomnM; Sektirer und
lutherische Altgläubige störten nicht den stillen Frieden des Pfarrhauses, das
Amt wurde anspruchslos und freudig verwaltet, der Geistliche suchte im Ver¬
kehr mit. den Patronen und seiner Gemeinde sich vor dem separatistischen Still¬
leben zu bewahren. Die eigne Bestellung des nicht großen Pfarrackers schützte
gegen theologische Grübeleien und Grillen, verknüpfte zugleich den Geistlichen
auch nach der äußern Seite mit den Bauern, welche bei dem Erntefeste leben¬
dig fühlten, daß der Ertrag des Bodens, die Wechselfälle des Ertrags auch
den Geistlichen antrafen. Einige ältere Consynodalen hatten dem Pfarrer
dadurch einen großen Nachtheil bereitet, daß sie den Einflüsterungen der Patrone
und einem gewissen geistlichen Stolze nachgegeben und den Pfarracker vererb¬
pachtet hatten. Eine falsche Auffassung des geistlichen Amtes, besonders der
Beweggrund, die Geistlichen gegen das Verbauern zu bewahren, hatte zur
Zeit in den Consistorien solche Vererbpachtungen begünstigt.

Außer den jährlich einmal abgehaltenen Synodaltagen, an welchen der
Geistliche sein Neglige aufgeben und in amtlicher Toilette erscheinen mußte,
waren die Kirchenvisitationen seitens des Superintendenten von besonderer
Bedeutung. Sie fanden in der Regel alle drei Jahre statt, der Superinten¬
dent, dem die Last vieler Schreibereien manchmal die gute Laune verdarb,
nahm gern diese Visitationen ab, sie gaben zugleich dem Geistlichen eine kleine
Gelegenheit, jene Gastfreundschaft zu zeigen, welche er unter seinem Dache
zu jeder Zeit uneigennützig ausübte.

Die Gemeinden sind verpflichtet, den Superintendenten mit anständigem
Fuhrwerk abzuholen und zurückzufahren. War dieser in seinem Bezirke nicht
beliebt, so mußte .der Wagen als erste Demonstration gegen den Visitator
Zeugniß ablegen, eine alte Karrete, in welcher die Erzähler des vorigen Jahr¬
hunderts das Wort Gottes vom Lande zur Stadt fahren lassen, rollte dann
vor seine Thür und unter dem Lächeln der intelligenten Kleinstädter bestieg
der hohe Kirchenbeamte den Wagen, in dessen Polstern bis vor wenigen
Stunden die Mäuse ungestört ihre junge Brut gesäugt hatten. Die schlaff ge¬
wordene Feder des Wagens setzte van Fahrenden rücksichtslos den Stößen
auf den schlechten Landwegen aus und mit einer nicht geförderten guten
Laune hielt endlich daS Gespann auf dem Pfarrhofe an.

Solche Neckereien durfte der Superintendent meines Bezirks nicht er¬
warten, der beste Wagen und die heißesten Pferde, welche der Sohn des
Kirchenvorstehers lenkte, brachten den Visitator in seine Synode und nun be¬
gann das amtliche Geschäft.

Der Superintendent haßte gründlich die Schreibseligkeit, er liebte es nicht,


wurden. Bei dem oft plötzlichen Wechsel des herrschenden Systems sicherten sie
sich klug den Uebergang nach der entgegengesetzten Seite.

In unsrer Synode galt die Union als l'ait avomnM; Sektirer und
lutherische Altgläubige störten nicht den stillen Frieden des Pfarrhauses, das
Amt wurde anspruchslos und freudig verwaltet, der Geistliche suchte im Ver¬
kehr mit. den Patronen und seiner Gemeinde sich vor dem separatistischen Still¬
leben zu bewahren. Die eigne Bestellung des nicht großen Pfarrackers schützte
gegen theologische Grübeleien und Grillen, verknüpfte zugleich den Geistlichen
auch nach der äußern Seite mit den Bauern, welche bei dem Erntefeste leben¬
dig fühlten, daß der Ertrag des Bodens, die Wechselfälle des Ertrags auch
den Geistlichen antrafen. Einige ältere Consynodalen hatten dem Pfarrer
dadurch einen großen Nachtheil bereitet, daß sie den Einflüsterungen der Patrone
und einem gewissen geistlichen Stolze nachgegeben und den Pfarracker vererb¬
pachtet hatten. Eine falsche Auffassung des geistlichen Amtes, besonders der
Beweggrund, die Geistlichen gegen das Verbauern zu bewahren, hatte zur
Zeit in den Consistorien solche Vererbpachtungen begünstigt.

Außer den jährlich einmal abgehaltenen Synodaltagen, an welchen der
Geistliche sein Neglige aufgeben und in amtlicher Toilette erscheinen mußte,
waren die Kirchenvisitationen seitens des Superintendenten von besonderer
Bedeutung. Sie fanden in der Regel alle drei Jahre statt, der Superinten¬
dent, dem die Last vieler Schreibereien manchmal die gute Laune verdarb,
nahm gern diese Visitationen ab, sie gaben zugleich dem Geistlichen eine kleine
Gelegenheit, jene Gastfreundschaft zu zeigen, welche er unter seinem Dache
zu jeder Zeit uneigennützig ausübte.

Die Gemeinden sind verpflichtet, den Superintendenten mit anständigem
Fuhrwerk abzuholen und zurückzufahren. War dieser in seinem Bezirke nicht
beliebt, so mußte .der Wagen als erste Demonstration gegen den Visitator
Zeugniß ablegen, eine alte Karrete, in welcher die Erzähler des vorigen Jahr¬
hunderts das Wort Gottes vom Lande zur Stadt fahren lassen, rollte dann
vor seine Thür und unter dem Lächeln der intelligenten Kleinstädter bestieg
der hohe Kirchenbeamte den Wagen, in dessen Polstern bis vor wenigen
Stunden die Mäuse ungestört ihre junge Brut gesäugt hatten. Die schlaff ge¬
wordene Feder des Wagens setzte van Fahrenden rücksichtslos den Stößen
auf den schlechten Landwegen aus und mit einer nicht geförderten guten
Laune hielt endlich daS Gespann auf dem Pfarrhofe an.

Solche Neckereien durfte der Superintendent meines Bezirks nicht er¬
warten, der beste Wagen und die heißesten Pferde, welche der Sohn des
Kirchenvorstehers lenkte, brachten den Visitator in seine Synode und nun be¬
gann das amtliche Geschäft.

Der Superintendent haßte gründlich die Schreibseligkeit, er liebte es nicht,


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341580_100453/330>, abgerufen am 13.05.2024.