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Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, II. Semester. IV. Band.

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schwankenden schwedischen Thron befestigt und eine Dynastie gegründet, aber das
schwach mit Schweden verbundene Norwegen ist dem Lande kein Ersatz für das
an Rußland Verlorne Finnland, und die schwedische Nation, die einst ein so
großes Gewicht in die .europäische Wagschale legte, ist unter Bernadotte und
seinem Nachfolger abhängig geblieben; Rußlands Kanonen standen zehn Mei¬
len vor Stockholm.

Als die Schweden 1810 Bernadotte zu ihrem Kronprinzen wählten, hoff¬
ten sie dadurch das Bündniß mit Napoleon sich zu sichern, Norwegen zu ge¬
winnen und Finnland wiederzuerobern. Aber Napoleon knüpfte sein Bünd¬
niß mit Schweden an Bedingungen, welche letzteres nicht annehmen konnte.
Er verlangte den vollständigen Beitritt Schwedens zur Continentalsperre, Auf¬
hebung aller Verbindungen mit England. Das war einerseits der Ruin deS
schwedischen Handels, andrerseits die Vernichtung aller Selbstständigkeit des
Landes. Unter diesen Umständen griff Bernadotte zu den Waffen des Schwä¬
chern, er schlug eine abwartende Politik ein. "Die Politik," sagte er, "ist
nur Geschwätz, wenn man nicht der Stärkste ist; in zweiter Reihe ist sie die
Kunst, sich zu fügen, ohne sich zu vergeben." Seinen neuen Unterthanen
gegenüber sich nicht bloszusteflen, dem despotischen Einfluß Napoleons sich
zu entziehen, einen Krieg mit England zu vermeiden, im Gegentheil die Freund¬
schaft Englands sowol als Rußlands für die Zukunft sich zu bewahren, das
war die Politik Bernadottes im Jahre -1811, so lange er noch der Alliirte
Napoleons und noch nicht dessen Nebenbuhler war.

Napoleon stellte im October -1810 an Schweden das Ultimatum: "Ent¬
weder offener Krieg mit Finnland in fünf Tagen oder Krieg mit Frankreich."
Bernadotte erklärte im Rathe des Königs Karl XIII.: "Die Nationen, welche
sich mißachten lassen, erheben sich sehr schwer wieder." Schweden fügte sich
scheinbar dem Ansinnen Napoleons, es erklärte im November 'England den
Krieg. Aber man lachte über diese Kriegserklärung in London und man lächelte
über dieselbe in Stockholm. Schweden blieb bei dem Grundsatz: "Die Flagge
deckt die Waare." Dgs englische Cabinet blieb in den freundlichsten Beziehun¬
gen zu Bernadotte; der Chef desselben, Lord Wellesley, schickte ihm die Briefe,
welche der Exkönig Gustav IV. aus England nach dem Continente schrieb.

Nicht minder freundlich kam ihm der Kaiser von Nußland entgegen, der
damit umging, von Napoleon sich loszusagen und dem die Freundschaft des
"großen Mannes" sehr drückend wurde. Bernadotte seinerseits wünschte sich die
Freundschaft Alexanders zu sichern, der als Ch,es des Hauses Gottorf der na¬
türliche Protector des Erkönigs Gustav IV. war. Bald entstand zwischen bei¬
den Fürsten eine intime Korrespondenz. Alexander ließ dem Kronprinzen von
Schweden sagen, er wünsche mit Schweden dauernde Bande zu knüpfen. Ber¬
nadotte erwiderte: "Ein entscheidender Kampf ist jetzt unvermeidlich. Napoleon


schwankenden schwedischen Thron befestigt und eine Dynastie gegründet, aber das
schwach mit Schweden verbundene Norwegen ist dem Lande kein Ersatz für das
an Rußland Verlorne Finnland, und die schwedische Nation, die einst ein so
großes Gewicht in die .europäische Wagschale legte, ist unter Bernadotte und
seinem Nachfolger abhängig geblieben; Rußlands Kanonen standen zehn Mei¬
len vor Stockholm.

Als die Schweden 1810 Bernadotte zu ihrem Kronprinzen wählten, hoff¬
ten sie dadurch das Bündniß mit Napoleon sich zu sichern, Norwegen zu ge¬
winnen und Finnland wiederzuerobern. Aber Napoleon knüpfte sein Bünd¬
niß mit Schweden an Bedingungen, welche letzteres nicht annehmen konnte.
Er verlangte den vollständigen Beitritt Schwedens zur Continentalsperre, Auf¬
hebung aller Verbindungen mit England. Das war einerseits der Ruin deS
schwedischen Handels, andrerseits die Vernichtung aller Selbstständigkeit des
Landes. Unter diesen Umständen griff Bernadotte zu den Waffen des Schwä¬
chern, er schlug eine abwartende Politik ein. „Die Politik," sagte er, „ist
nur Geschwätz, wenn man nicht der Stärkste ist; in zweiter Reihe ist sie die
Kunst, sich zu fügen, ohne sich zu vergeben." Seinen neuen Unterthanen
gegenüber sich nicht bloszusteflen, dem despotischen Einfluß Napoleons sich
zu entziehen, einen Krieg mit England zu vermeiden, im Gegentheil die Freund¬
schaft Englands sowol als Rußlands für die Zukunft sich zu bewahren, das
war die Politik Bernadottes im Jahre -1811, so lange er noch der Alliirte
Napoleons und noch nicht dessen Nebenbuhler war.

Napoleon stellte im October -1810 an Schweden das Ultimatum: „Ent¬
weder offener Krieg mit Finnland in fünf Tagen oder Krieg mit Frankreich."
Bernadotte erklärte im Rathe des Königs Karl XIII.: „Die Nationen, welche
sich mißachten lassen, erheben sich sehr schwer wieder." Schweden fügte sich
scheinbar dem Ansinnen Napoleons, es erklärte im November 'England den
Krieg. Aber man lachte über diese Kriegserklärung in London und man lächelte
über dieselbe in Stockholm. Schweden blieb bei dem Grundsatz: „Die Flagge
deckt die Waare." Dgs englische Cabinet blieb in den freundlichsten Beziehun¬
gen zu Bernadotte; der Chef desselben, Lord Wellesley, schickte ihm die Briefe,
welche der Exkönig Gustav IV. aus England nach dem Continente schrieb.

Nicht minder freundlich kam ihm der Kaiser von Nußland entgegen, der
damit umging, von Napoleon sich loszusagen und dem die Freundschaft des
„großen Mannes" sehr drückend wurde. Bernadotte seinerseits wünschte sich die
Freundschaft Alexanders zu sichern, der als Ch,es des Hauses Gottorf der na¬
türliche Protector des Erkönigs Gustav IV. war. Bald entstand zwischen bei¬
den Fürsten eine intime Korrespondenz. Alexander ließ dem Kronprinzen von
Schweden sagen, er wünsche mit Schweden dauernde Bande zu knüpfen. Ber¬
nadotte erwiderte: „Ein entscheidender Kampf ist jetzt unvermeidlich. Napoleon


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341580_100453/357>, abgerufen am 11.05.2024.