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Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, II. Semester. IV. Band.

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sten Ausdruck in die kleinsten Gesichter zu legen, seine kleinen Wesen bewegen
sich natürlich, die Handlung ist wohl zusammengestellt -- aber es ist eben nur
fürs Auge gemalt, das sich am niedlichen erfreut, weder unser Herz, noch
unsre Einbildungskraft haben sich weiter dabei anzustrengen, noch kommen sie
überhaupt bei Meissonnier in Bewegung. Seine Bilder sind ein Curivsitäten-
laden, mit umgekehrter Perspektive angeschaut. Seine Größe besteht in
seiner Kleinheit. Es fällt uns nicht bei, die Kunst mit der Elle messen
zu wollen und man wird uns gern glauben, wenn wir sagen, daß wir uns
auch am kleinsten Kunstwerke erfreuen können, aber Meissonnier spricht so wenig
zum Geiste und zum Herzen, daß wir seine Bilder wie ein Dessert betrachten,
das hinabgeschluckt, seine Aufgabe durch Erwecken jenes augenblicklichen Wohl¬
gefallens vollkommen erfüllt hat. Grade diese Gegenstände der intimen Welt,
diese Scenen des Kleinlebens erfordern eine poetische Kraft und vor allem eine
naives Gemüth, die Meissonnier auch im Traume nicht vorgeschwebt haben.
Seine Bilder sind verdienstlich und es macht ihm heutzutage die Feinheit in
den Details, die Vollendung in allem, was Technik betrifft, niemand nach.
Darum werden auch seine Gemälde bleiben und auf die Nachwelt kommen.
Eine so wunderbare Fertigkeit wird sich -zu allen Zeiten geltend machen. Dies
Jahr hat Meissonnier ein Bild ausgestellt, das, von der Größe eines gewöhn¬
lichen kleinen Bildchens , für ihn eine wahre Freske war und das' der Kaiser
für den Prinzen Albert angekauft. Es stellt einen Streit dar, der infolge
eines Kartenspiels zwischen zwei Flibustiern ausbrach, die trotz aller Anstren¬
gungen vor ihrem gegenseitigen Freunde nicht auseinandergehalten werden
können. ES versteht sich von selbst, daß Meissonnier auch dies Mal die Costüme
aus der Zeit Ludwigs XV. wählte -- unser Costüm bleibt garstig und abge¬
schmackt, auch wenn es noch so klein gemacht wird. Bei diesem Gemälde zeigten
sich die Gebrechen von Meissonniers Talent deutlicher, als bei den andern.
Zwar muß man die Bewegung des einen der Streitenden, der sich mit nicht
bezähmbarer Wuth loszureißen sucht, als wohlgelungen hervorheben, ebenso wie
die bestialische Figur dieser Beutelschneider -- aber das Ganze sieht doch eher
einer auf dem Theater gespielten Scene ähnlich, als einem wirklichen Er¬
eignisse. Auch hier rufen uns die Gestalten zu: aber waS gehen wir euch an,
daß ihr so dasteht und uns angafft! Daß Meissonnier eine Legion von Nach¬
ahmern habe, versteht sich von selbst. Diese Kleinarbeit ist gar zu verlockend.
Doch thut es ihm j keiner gleich. Chapel und Fauvelet wären allenfalls zu
nennen. Letzterer hat in Beziehung auf Gemüthlichkeit mehr Begabung, als
Meissonnier.


sten Ausdruck in die kleinsten Gesichter zu legen, seine kleinen Wesen bewegen
sich natürlich, die Handlung ist wohl zusammengestellt — aber es ist eben nur
fürs Auge gemalt, das sich am niedlichen erfreut, weder unser Herz, noch
unsre Einbildungskraft haben sich weiter dabei anzustrengen, noch kommen sie
überhaupt bei Meissonnier in Bewegung. Seine Bilder sind ein Curivsitäten-
laden, mit umgekehrter Perspektive angeschaut. Seine Größe besteht in
seiner Kleinheit. Es fällt uns nicht bei, die Kunst mit der Elle messen
zu wollen und man wird uns gern glauben, wenn wir sagen, daß wir uns
auch am kleinsten Kunstwerke erfreuen können, aber Meissonnier spricht so wenig
zum Geiste und zum Herzen, daß wir seine Bilder wie ein Dessert betrachten,
das hinabgeschluckt, seine Aufgabe durch Erwecken jenes augenblicklichen Wohl¬
gefallens vollkommen erfüllt hat. Grade diese Gegenstände der intimen Welt,
diese Scenen des Kleinlebens erfordern eine poetische Kraft und vor allem eine
naives Gemüth, die Meissonnier auch im Traume nicht vorgeschwebt haben.
Seine Bilder sind verdienstlich und es macht ihm heutzutage die Feinheit in
den Details, die Vollendung in allem, was Technik betrifft, niemand nach.
Darum werden auch seine Gemälde bleiben und auf die Nachwelt kommen.
Eine so wunderbare Fertigkeit wird sich -zu allen Zeiten geltend machen. Dies
Jahr hat Meissonnier ein Bild ausgestellt, das, von der Größe eines gewöhn¬
lichen kleinen Bildchens , für ihn eine wahre Freske war und das' der Kaiser
für den Prinzen Albert angekauft. Es stellt einen Streit dar, der infolge
eines Kartenspiels zwischen zwei Flibustiern ausbrach, die trotz aller Anstren¬
gungen vor ihrem gegenseitigen Freunde nicht auseinandergehalten werden
können. ES versteht sich von selbst, daß Meissonnier auch dies Mal die Costüme
aus der Zeit Ludwigs XV. wählte — unser Costüm bleibt garstig und abge¬
schmackt, auch wenn es noch so klein gemacht wird. Bei diesem Gemälde zeigten
sich die Gebrechen von Meissonniers Talent deutlicher, als bei den andern.
Zwar muß man die Bewegung des einen der Streitenden, der sich mit nicht
bezähmbarer Wuth loszureißen sucht, als wohlgelungen hervorheben, ebenso wie
die bestialische Figur dieser Beutelschneider — aber das Ganze sieht doch eher
einer auf dem Theater gespielten Scene ähnlich, als einem wirklichen Er¬
eignisse. Auch hier rufen uns die Gestalten zu: aber waS gehen wir euch an,
daß ihr so dasteht und uns angafft! Daß Meissonnier eine Legion von Nach¬
ahmern habe, versteht sich von selbst. Diese Kleinarbeit ist gar zu verlockend.
Doch thut es ihm j keiner gleich. Chapel und Fauvelet wären allenfalls zu
nennen. Letzterer hat in Beziehung auf Gemüthlichkeit mehr Begabung, als
Meissonnier.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341580_100453/518>, abgerufen am 13.05.2024.