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Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, II. Semester. IV. Band.

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einen richtigen Instinkt geleitet wurden. Es handelt sich in der That zunächst
darum, den unverdauten Traditionen einer überlebten Schule zu entsagen --
und darum mag ein Genre erwünscht sein, in dem die Phantasie unbehindert
von unerreichbaren'und, wiederholen wir eS, in unsrer Zeit auch unzulässigen
Idealen dem Schaffensdrang"! sich überlassen kann. Barye, dem die Jury die große
Ehrenmedaille der Industrie zusprach, weil die Bronzeverviclsältigung seiner
Modelle im Handel vor allen andern Den Vorzug erhallen, hätte auch als
Bildhauer die erste Auszeichnung verdient. Dieser Mann hat Kunstwerke von
bleibendem Verdienst geschaffen und zugleich eine neue Bann gebrochen. Er
war der erste in Frankreich, der mit Erfolg die Bewegung in der Sculptur
wieder darzustellen versuchte, ohne dabei zu jenen unsicheren Uebertreibungen ver¬
leitet zu werden, welche andere moderne Künstler sich zu Schulden kommen
ließen. Vielleicht erheben sich diese Bestrebungen mit der Zeit auch bis zu
edleren Kreisen -- vielleicht werden jüngere Kräfte aus den Werken dieser Künst¬
ler die Offenbarung schöpfen, wie in unsrer Zeit das Epos zu behandeln ist,
dessen Held der Mensch ist, der Mensch in unsrer Gesellschaft, unsern Leiden,
unsern Kämpfen, unsern Siegen; unsrer Geschichte und unsrer Anschauung ent¬
sprechend.

An gefälligen Werken fehlt eS der französischen Bildhauerkunst nicht --
man darf nur die Statuen von Point, von Clesinger, von Marcelin betrachten,
um dies gern zuzugeben-- aber das ist auch alles Lob, das man ihnen spen-
den kann. -- Anmuth, Lieblichkeit, -- aber GroPe fehlt. Die Künstler, die wie
Cavelicr hoher hinauswollen, scheitern an den antiken Idealen, welche ihren
Geist erfüllen. Die Penelope von Cavelier (nicht ausgestellt), seine "Wahrheit",
seiue Cornelia -- haben alle bedeutende Vorzüge, es liegt ihnen ein ehren¬
haftes Bestreben zu Grunde; aber wenn man es wagt, einen Vergleich mit
den Kunstschätzen im Louvre herauszufordern, muß man auch gesaßt darauf
sein, wenn wir als Antwort auf die Frage zu diesen zurückkehren und jene ver¬
gessen. Ein junger Künstler, Namens Ernst Christophe machte einen Versuch,
M>t der modernen Allegorie, der viel von sich reden machte. Als Allegorie
fassen wir die kolossale Statue deS jungen Bildhauers aus, weil er sie nur
als solche durch seine Freunde, welche in das Geheimniß seiner Inspiration
und Aspiration eingeweiht sind, empfehlen läßt. Im Katalog lasen wir: "l^
äoulLur", während der vertraute Commentator uns ins Ohr flüstert"Ilses - ^
?ranee."

Eine ungeheure Frau, würdig alö Gemahlin Gargantuas oder Pantagruels
von Rabelais verherrlicht zu werden, sitzt aus einem Felsstück -- das Gesicht
in den,Händen verbergend, während das aufgelöste Haar an den Knien hn-
abhängt. Die Arme sind auf das Knie gestützt und in den kolossalen Gliedern
sollen wir die Erschlaffung lesen, wie sie Folge der Verzweiflung ist. Die


einen richtigen Instinkt geleitet wurden. Es handelt sich in der That zunächst
darum, den unverdauten Traditionen einer überlebten Schule zu entsagen —
und darum mag ein Genre erwünscht sein, in dem die Phantasie unbehindert
von unerreichbaren'und, wiederholen wir eS, in unsrer Zeit auch unzulässigen
Idealen dem Schaffensdrang«! sich überlassen kann. Barye, dem die Jury die große
Ehrenmedaille der Industrie zusprach, weil die Bronzeverviclsältigung seiner
Modelle im Handel vor allen andern Den Vorzug erhallen, hätte auch als
Bildhauer die erste Auszeichnung verdient. Dieser Mann hat Kunstwerke von
bleibendem Verdienst geschaffen und zugleich eine neue Bann gebrochen. Er
war der erste in Frankreich, der mit Erfolg die Bewegung in der Sculptur
wieder darzustellen versuchte, ohne dabei zu jenen unsicheren Uebertreibungen ver¬
leitet zu werden, welche andere moderne Künstler sich zu Schulden kommen
ließen. Vielleicht erheben sich diese Bestrebungen mit der Zeit auch bis zu
edleren Kreisen — vielleicht werden jüngere Kräfte aus den Werken dieser Künst¬
ler die Offenbarung schöpfen, wie in unsrer Zeit das Epos zu behandeln ist,
dessen Held der Mensch ist, der Mensch in unsrer Gesellschaft, unsern Leiden,
unsern Kämpfen, unsern Siegen; unsrer Geschichte und unsrer Anschauung ent¬
sprechend.

An gefälligen Werken fehlt eS der französischen Bildhauerkunst nicht —
man darf nur die Statuen von Point, von Clesinger, von Marcelin betrachten,
um dies gern zuzugeben— aber das ist auch alles Lob, das man ihnen spen-
den kann. — Anmuth, Lieblichkeit, — aber GroPe fehlt. Die Künstler, die wie
Cavelicr hoher hinauswollen, scheitern an den antiken Idealen, welche ihren
Geist erfüllen. Die Penelope von Cavelier (nicht ausgestellt), seine „Wahrheit",
seiue Cornelia — haben alle bedeutende Vorzüge, es liegt ihnen ein ehren¬
haftes Bestreben zu Grunde; aber wenn man es wagt, einen Vergleich mit
den Kunstschätzen im Louvre herauszufordern, muß man auch gesaßt darauf
sein, wenn wir als Antwort auf die Frage zu diesen zurückkehren und jene ver¬
gessen. Ein junger Künstler, Namens Ernst Christophe machte einen Versuch,
M>t der modernen Allegorie, der viel von sich reden machte. Als Allegorie
fassen wir die kolossale Statue deS jungen Bildhauers aus, weil er sie nur
als solche durch seine Freunde, welche in das Geheimniß seiner Inspiration
und Aspiration eingeweiht sind, empfehlen läßt. Im Katalog lasen wir: „l^
äoulLur", während der vertraute Commentator uns ins Ohr flüstert„Ilses - ^
?ranee."

Eine ungeheure Frau, würdig alö Gemahlin Gargantuas oder Pantagruels
von Rabelais verherrlicht zu werden, sitzt aus einem Felsstück — das Gesicht
in den,Händen verbergend, während das aufgelöste Haar an den Knien hn-
abhängt. Die Arme sind auf das Knie gestützt und in den kolossalen Gliedern
sollen wir die Erschlaffung lesen, wie sie Folge der Verzweiflung ist. Die


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[0520] einen richtigen Instinkt geleitet wurden. Es handelt sich in der That zunächst darum, den unverdauten Traditionen einer überlebten Schule zu entsagen — und darum mag ein Genre erwünscht sein, in dem die Phantasie unbehindert von unerreichbaren'und, wiederholen wir eS, in unsrer Zeit auch unzulässigen Idealen dem Schaffensdrang«! sich überlassen kann. Barye, dem die Jury die große Ehrenmedaille der Industrie zusprach, weil die Bronzeverviclsältigung seiner Modelle im Handel vor allen andern Den Vorzug erhallen, hätte auch als Bildhauer die erste Auszeichnung verdient. Dieser Mann hat Kunstwerke von bleibendem Verdienst geschaffen und zugleich eine neue Bann gebrochen. Er war der erste in Frankreich, der mit Erfolg die Bewegung in der Sculptur wieder darzustellen versuchte, ohne dabei zu jenen unsicheren Uebertreibungen ver¬ leitet zu werden, welche andere moderne Künstler sich zu Schulden kommen ließen. Vielleicht erheben sich diese Bestrebungen mit der Zeit auch bis zu edleren Kreisen — vielleicht werden jüngere Kräfte aus den Werken dieser Künst¬ ler die Offenbarung schöpfen, wie in unsrer Zeit das Epos zu behandeln ist, dessen Held der Mensch ist, der Mensch in unsrer Gesellschaft, unsern Leiden, unsern Kämpfen, unsern Siegen; unsrer Geschichte und unsrer Anschauung ent¬ sprechend. An gefälligen Werken fehlt eS der französischen Bildhauerkunst nicht — man darf nur die Statuen von Point, von Clesinger, von Marcelin betrachten, um dies gern zuzugeben— aber das ist auch alles Lob, das man ihnen spen- den kann. — Anmuth, Lieblichkeit, — aber GroPe fehlt. Die Künstler, die wie Cavelicr hoher hinauswollen, scheitern an den antiken Idealen, welche ihren Geist erfüllen. Die Penelope von Cavelier (nicht ausgestellt), seine „Wahrheit", seiue Cornelia — haben alle bedeutende Vorzüge, es liegt ihnen ein ehren¬ haftes Bestreben zu Grunde; aber wenn man es wagt, einen Vergleich mit den Kunstschätzen im Louvre herauszufordern, muß man auch gesaßt darauf sein, wenn wir als Antwort auf die Frage zu diesen zurückkehren und jene ver¬ gessen. Ein junger Künstler, Namens Ernst Christophe machte einen Versuch, M>t der modernen Allegorie, der viel von sich reden machte. Als Allegorie fassen wir die kolossale Statue deS jungen Bildhauers aus, weil er sie nur als solche durch seine Freunde, welche in das Geheimniß seiner Inspiration und Aspiration eingeweiht sind, empfehlen läßt. Im Katalog lasen wir: „l^ äoulLur", während der vertraute Commentator uns ins Ohr flüstert„Ilses - ^ ?ranee." Eine ungeheure Frau, würdig alö Gemahlin Gargantuas oder Pantagruels von Rabelais verherrlicht zu werden, sitzt aus einem Felsstück — das Gesicht in den,Händen verbergend, während das aufgelöste Haar an den Knien hn- abhängt. Die Arme sind auf das Knie gestützt und in den kolossalen Gliedern sollen wir die Erschlaffung lesen, wie sie Folge der Verzweiflung ist. Die

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341580_100453/520>, abgerufen am 13.05.2024.