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Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, I. Semester. I. Band.

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reich in allen übrigen Dingen. In allen diesen Punkten würde der russische
Kaiser, sobqld er von den Westmächtcn den Frieden erkauft, Preußen ent¬
gegentreten müssen, weil seine Interessen in allen diesen Punkten mit denen
des Nachbarstaates in einen unvermeidlichen Conflict kommen, und daß er in
solchen Fällen die verwandtschaftliche Pietät nicht über sein Interesse dominiren
läßt, hat er in den Jahren 1849 und SO hinlänglich gezeigt.

Niemand würde also von dem gegenwärtigen Abschluß eines Friedens so
benachtheiligt werden als Preußen, und, was wir niemals davon trennen,
Deutschland. Auch Oestreich würde in eine sehr bedenkliche Lage kom¬
men, denn es hat Nußland sehr schwer gereizt, und bei einer günstigen
Gelegenheit würde der letztere Staat sich wol zu rächen suchen. Allein die
Interessen üben doch immer einen mächtigern Einfluß aus als die Leiden¬
schaften, und wenn nicht Oestreich gradezu in den Besitz der Donaufürsten-
thümer kommt (wovon ja in den vier Garantiepunkten weder direct noch in-
direct die Rede ist), so wäre nicht abzusehen, welchen Gewinn Rußland von
einem Angriff auf Oestreich ziehen sollte. Ob Krakau und Lemberg russisch
oder östreichisch sind, das ist gewiß eine viel unwichtigere Frage, als die an¬
dere, in wessen Händen Kiel sein soll.

Unter diesen Umständen, müssen wir die Aussicht, daß der Friede unmög¬
lich, wenigstens im höchsten Grade unwahrscheinlich ist, so sehr sich unser
menschliches Gefühl dagegen sträubt, als eine glückliche begrüßen. Diese Aus¬
sicht beruht aber darauf, daß die Westmächte in diesem Augenblick keinen Frie¬
den anbieten können, den Nußland annehmen könnte. Wir wollen von der
Geldfrage absehen, die doch auch zugleich eine Ehrenfrage ist, für die sich in¬
dessen eine Ausgleichung finden könnte, und nur darauf hinweisen, daß eng¬
lisches und französisches Blut geflossen ist, für welches eine Geldentschädigung
anzunehmen kein englischer oder französischer Minister die Kühnheit haben
würde. Die Westmächte müssen also politische Anforderungen stellen, sie müssen
Garantien materieller Natur fordern, Garantien so ernster Art, daß sie auf
das französische und englische Volk einen sinnlichen Eindruck machen, und auf
diese einzugehen kann der Kaiser von Nußland solange keine Veranlassung
haben, als bis sich auch Preußen gegen ihn erklärthat, da der Entscheidungs-
kampf nur durch Preußen und mit Preußen geführt werden kann. Bis jetzt
aber glaubt Rußland noch immer, sich bei der Hoffnung beruhigen zu können,
daß eine wesentliche Aenderung in der preußischen Politik nicht eintreten wird,
und wenn es darin einen Rechnungsfehler begeht, wenn es den Einfluß der
Personen im Verhältniß zu den Thatsachen zu groß anschlägt, so ist das
wieder äußerst menschlich.

Wenn aber der Friede in diesem Augenblick nicht geschlossen wird, so
wird in Erfüllung gehen, was wir gleich zu Anfang der Krisis ausgesprochen,


reich in allen übrigen Dingen. In allen diesen Punkten würde der russische
Kaiser, sobqld er von den Westmächtcn den Frieden erkauft, Preußen ent¬
gegentreten müssen, weil seine Interessen in allen diesen Punkten mit denen
des Nachbarstaates in einen unvermeidlichen Conflict kommen, und daß er in
solchen Fällen die verwandtschaftliche Pietät nicht über sein Interesse dominiren
läßt, hat er in den Jahren 1849 und SO hinlänglich gezeigt.

Niemand würde also von dem gegenwärtigen Abschluß eines Friedens so
benachtheiligt werden als Preußen, und, was wir niemals davon trennen,
Deutschland. Auch Oestreich würde in eine sehr bedenkliche Lage kom¬
men, denn es hat Nußland sehr schwer gereizt, und bei einer günstigen
Gelegenheit würde der letztere Staat sich wol zu rächen suchen. Allein die
Interessen üben doch immer einen mächtigern Einfluß aus als die Leiden¬
schaften, und wenn nicht Oestreich gradezu in den Besitz der Donaufürsten-
thümer kommt (wovon ja in den vier Garantiepunkten weder direct noch in-
direct die Rede ist), so wäre nicht abzusehen, welchen Gewinn Rußland von
einem Angriff auf Oestreich ziehen sollte. Ob Krakau und Lemberg russisch
oder östreichisch sind, das ist gewiß eine viel unwichtigere Frage, als die an¬
dere, in wessen Händen Kiel sein soll.

Unter diesen Umständen, müssen wir die Aussicht, daß der Friede unmög¬
lich, wenigstens im höchsten Grade unwahrscheinlich ist, so sehr sich unser
menschliches Gefühl dagegen sträubt, als eine glückliche begrüßen. Diese Aus¬
sicht beruht aber darauf, daß die Westmächte in diesem Augenblick keinen Frie¬
den anbieten können, den Nußland annehmen könnte. Wir wollen von der
Geldfrage absehen, die doch auch zugleich eine Ehrenfrage ist, für die sich in¬
dessen eine Ausgleichung finden könnte, und nur darauf hinweisen, daß eng¬
lisches und französisches Blut geflossen ist, für welches eine Geldentschädigung
anzunehmen kein englischer oder französischer Minister die Kühnheit haben
würde. Die Westmächte müssen also politische Anforderungen stellen, sie müssen
Garantien materieller Natur fordern, Garantien so ernster Art, daß sie auf
das französische und englische Volk einen sinnlichen Eindruck machen, und auf
diese einzugehen kann der Kaiser von Nußland solange keine Veranlassung
haben, als bis sich auch Preußen gegen ihn erklärthat, da der Entscheidungs-
kampf nur durch Preußen und mit Preußen geführt werden kann. Bis jetzt
aber glaubt Rußland noch immer, sich bei der Hoffnung beruhigen zu können,
daß eine wesentliche Aenderung in der preußischen Politik nicht eintreten wird,
und wenn es darin einen Rechnungsfehler begeht, wenn es den Einfluß der
Personen im Verhältniß zu den Thatsachen zu groß anschlägt, so ist das
wieder äußerst menschlich.

Wenn aber der Friede in diesem Augenblick nicht geschlossen wird, so
wird in Erfüllung gehen, was wir gleich zu Anfang der Krisis ausgesprochen,


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341580_98851/10>, abgerufen am 26.05.2024.