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Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, I. Semester. I. Band.

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ttistät, dieses Institut auch in allen neugebildeten Verfassungen durchführen
wollten. Allein der Grundbegriff des Nepräsentativstactts ist allerdings ein
allgemein giltiger; er ist das einzige Mittel, durch welches eine wirkliche
Nation sich bildet, und er ist, wenn man nur die Elemente nicht überall
gleichförmig herstellen will, auch überall durchzuführen. Die Natur des Staats
bringt es mit sich, daß namentlich bei größerer Ausdehnung und größerer
Complication der Geschäfte- die Regierung sich bis auf einen gewissen Grad
dem Volke entfremdet. Wenn nun diese Entfremdung nicht eine feindselige
werden soll, so muß ein Institut hergestellt werden, welches die beiden Gegen¬
sätze vermittelt, eine Versammlung, die unmittelbar aus dein Volke hervor¬
geht und dem Willen desselben eine bestimmte Fassung und eine verständige
Richtung gibt, die andrerseits dem Belieben der Negierung bestimmte Grenzen
zieht und jede Rechtsüberschreitung hintertreibt. Um nun diese Volksvertretung
nicht in eine unbedingte Opposition gegen die Regierung ausarten zu lassen,
hat der wahrhaft ausgebildete Repräsentativstaat zwei Mittel erfunden, die sich
überall wieder anwenden lassen: einmal die Trennung der Volksvertretung in
zwei Kammern, die einander controliren; sodann die Ergänzung der Regie¬
rungsgewalt durch Kräfte, die aus der Volksvertretung selbst genommen, sind,
und, was unmittelbar damit zusammenhängt, die Betheiligung der Regierungö-
mitglieder an der Volksvertretung selbst. Wenn auf diese Weise zwischen dem
eigentlichen Souverän und der ihn vertretenden Regierung ein Unterschied
gemacht wird, so ist das nur zum Nutzen der Krone, die dadurch frei über
dem Gewühl der Parteien schwebt.

Es ist ein großes Verdienst, diese Principien in einem bestimmten Fall
in aller Fülle des historischen Details entwickelt zu haben, und wir wünschen
daher der Schrift des Herrn von Lerchenfeld eine allgemeine Verbreitung. --

Das wunderliche Werk des Herrn v. Lamartine über die Türkei bietet
in seiner Fortsetzung, wie es nicht anders zu erwarten war, viele höchst geist¬
reiche Apercus und Anschauungen, die denjenigen, der nicht ängstlich nach
historischer Correctheit strebt, wol interessiren können. Wir kommen noch darauf
zurück. --

Zum Schluß führen wir eine Abhandlung über Friedrich v. Gentz in der
neuesten Lieferung der Ersch- und Gruberschen Encyklopädie an. Dieses Werk
enthält überhaupt in seinen neuesten Bänden einige sehr interessante Artikel,
auf die'wir noch später zurückzukommen gedenken. Für die Encyklopädie ist
es gewiß sehr vortheilhaft, wenn ihr soviele tüchtige-Schriftsteller ihre Kräfte
leihen; ob aber für das Publicum, möchte zweifelhaft sein; denn jene Samm¬
lung kommt ihrer ungeheuern Ausdehnung wegen doch nur in die eigentlich
gelehrten Anstalten, und da keine von den darin enthaltenen Abhandlungen
besonders gedruckt werben darf, so bleibt dadurch vieles dem größern Publicum


ttistät, dieses Institut auch in allen neugebildeten Verfassungen durchführen
wollten. Allein der Grundbegriff des Nepräsentativstactts ist allerdings ein
allgemein giltiger; er ist das einzige Mittel, durch welches eine wirkliche
Nation sich bildet, und er ist, wenn man nur die Elemente nicht überall
gleichförmig herstellen will, auch überall durchzuführen. Die Natur des Staats
bringt es mit sich, daß namentlich bei größerer Ausdehnung und größerer
Complication der Geschäfte- die Regierung sich bis auf einen gewissen Grad
dem Volke entfremdet. Wenn nun diese Entfremdung nicht eine feindselige
werden soll, so muß ein Institut hergestellt werden, welches die beiden Gegen¬
sätze vermittelt, eine Versammlung, die unmittelbar aus dein Volke hervor¬
geht und dem Willen desselben eine bestimmte Fassung und eine verständige
Richtung gibt, die andrerseits dem Belieben der Negierung bestimmte Grenzen
zieht und jede Rechtsüberschreitung hintertreibt. Um nun diese Volksvertretung
nicht in eine unbedingte Opposition gegen die Regierung ausarten zu lassen,
hat der wahrhaft ausgebildete Repräsentativstaat zwei Mittel erfunden, die sich
überall wieder anwenden lassen: einmal die Trennung der Volksvertretung in
zwei Kammern, die einander controliren; sodann die Ergänzung der Regie¬
rungsgewalt durch Kräfte, die aus der Volksvertretung selbst genommen, sind,
und, was unmittelbar damit zusammenhängt, die Betheiligung der Regierungö-
mitglieder an der Volksvertretung selbst. Wenn auf diese Weise zwischen dem
eigentlichen Souverän und der ihn vertretenden Regierung ein Unterschied
gemacht wird, so ist das nur zum Nutzen der Krone, die dadurch frei über
dem Gewühl der Parteien schwebt.

Es ist ein großes Verdienst, diese Principien in einem bestimmten Fall
in aller Fülle des historischen Details entwickelt zu haben, und wir wünschen
daher der Schrift des Herrn von Lerchenfeld eine allgemeine Verbreitung. —

Das wunderliche Werk des Herrn v. Lamartine über die Türkei bietet
in seiner Fortsetzung, wie es nicht anders zu erwarten war, viele höchst geist¬
reiche Apercus und Anschauungen, die denjenigen, der nicht ängstlich nach
historischer Correctheit strebt, wol interessiren können. Wir kommen noch darauf
zurück. —

Zum Schluß führen wir eine Abhandlung über Friedrich v. Gentz in der
neuesten Lieferung der Ersch- und Gruberschen Encyklopädie an. Dieses Werk
enthält überhaupt in seinen neuesten Bänden einige sehr interessante Artikel,
auf die'wir noch später zurückzukommen gedenken. Für die Encyklopädie ist
es gewiß sehr vortheilhaft, wenn ihr soviele tüchtige-Schriftsteller ihre Kräfte
leihen; ob aber für das Publicum, möchte zweifelhaft sein; denn jene Samm¬
lung kommt ihrer ungeheuern Ausdehnung wegen doch nur in die eigentlich
gelehrten Anstalten, und da keine von den darin enthaltenen Abhandlungen
besonders gedruckt werben darf, so bleibt dadurch vieles dem größern Publicum


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341580_98851/108>, abgerufen am 10.06.2024.