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Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, I. Semester. I. Band.

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sächlich der Ausspruch gewiß ein unrichtiger ist. Der deutsche Bund be¬
steht, abgesehen von seinen deutschen Mitgliedern, worunter zwei Großmächte
sind, die noch sonstige Besitzungen haben, aus zwei Provinzen fremder König¬
reiche: Dänemark und Niederlande. Von diesen vier Mächten steht unzweifel¬
haft fest, daß sie in ihrer Eigenschaft als souveräne europäische Mächte nach Be¬
lieben Krieg sühren können, auch gegeneinander; der deutsche Bund ist in
solchem Fall nicht in der Lage, solchen unglücklichen Zustand zu hintertreiben,
er kann also an und für sich nicht eine Großmacht genannt werden. Dagegen
wird wol jeder deutsche Patriot darüber einig sein, daß ein Uebergehen in die¬
sen Zustand im höchsten Grade wünschenswert!) sein muß.

Man hat in frühern Zeiten Radikalmittel versucht: man dachte an eine
deutsche Republik,, oder an die Verwandlung des Staatenbundes in einen
Bundesstaat auf demokratischer Grundlage. Nachdem diese Illusionen vorüber
waren, ergriff Preußen die Initiative und suchte die Souveränetät Deutschlands
dadurch herzustellen, daß es dasselbe von Oestreich losreißen wollte. Auch dies
Bestreben mißlang, und nicht weniger der gleich daraus folgende Versuch Oest¬
reichs, das bisher bestehende Band schärfer anzuziehen. Wenn wir die.Politik
der beiden deutschen Großmächte in der gegenwärtigen Zeit verfolgen, so werden
wir wol leicht bemerken, daß diese beiden entgegengesetzten Tendenzen noch
immer als fromme Wünsche im Hinterhalt bleiben, daß aber keiner von beiden
Staaten an eine ernsthafte Durchführung denkt. Preußen mag den Gedanken
der Union noch immer als schöne Idee in seinem Herzen tragen, um den Aus¬
druck des seligen Herrn v. Radowitz zu gebrauchen, aber es hat wol nicht
daS geringste Gelüst, im Augenblick etwas dafür zu thun; und Oestreich,
obgleich seine Lage jetzt grade viel günstiger ist, günstiger, als jemals seit 1813,
und obgleich es für seine Hegemonie die Tradition voraushat, wird doch gewiß
in seinen Plänen nicht soweit gehen, Preußen zum Range der übrigen deutschen
Königreiche Herabdrücken zu wollen, was unumgänglich nothwendig wäre, wenn
Deutschland sich als eine einheitliche Großmacht darstellen sollte.

Unter diese" Umständen wird die relative Einheit Deutschlands nur erreicht
werden, wenn man vom Gegebenen, d. h. vom Dualismus, ausgeht. Die
Einheit Deutschlands heißt vorläufig nichts Anderes, als die Einigkeit zwischen
Oestreich und Preußen. Nun hat zwar in der letzten Zeit die östreichische
Politik große Vortheile davongetragen, da sie geschickt, energisch und consequent
verfuhr, während die preußische grade das Gegentheil war, und die öffentliche
Meinung neigt sich in diesem Augenblick entschieden zu Oestreich; allein auf
diese äußern Erfolge und Stimmungen allein kann man doch kein politisches
Gebäude aufrichten, und wenn Oestreich die in Preußen concentrirte Staats¬
kraft thatsächlich und dauerhaft für seine Zwecke gewinnen will, so genügt es
nicht, seine Schwäche zu benutzen, sondern es muß ihm mit besserem Rath und


sächlich der Ausspruch gewiß ein unrichtiger ist. Der deutsche Bund be¬
steht, abgesehen von seinen deutschen Mitgliedern, worunter zwei Großmächte
sind, die noch sonstige Besitzungen haben, aus zwei Provinzen fremder König¬
reiche: Dänemark und Niederlande. Von diesen vier Mächten steht unzweifel¬
haft fest, daß sie in ihrer Eigenschaft als souveräne europäische Mächte nach Be¬
lieben Krieg sühren können, auch gegeneinander; der deutsche Bund ist in
solchem Fall nicht in der Lage, solchen unglücklichen Zustand zu hintertreiben,
er kann also an und für sich nicht eine Großmacht genannt werden. Dagegen
wird wol jeder deutsche Patriot darüber einig sein, daß ein Uebergehen in die¬
sen Zustand im höchsten Grade wünschenswert!) sein muß.

Man hat in frühern Zeiten Radikalmittel versucht: man dachte an eine
deutsche Republik,, oder an die Verwandlung des Staatenbundes in einen
Bundesstaat auf demokratischer Grundlage. Nachdem diese Illusionen vorüber
waren, ergriff Preußen die Initiative und suchte die Souveränetät Deutschlands
dadurch herzustellen, daß es dasselbe von Oestreich losreißen wollte. Auch dies
Bestreben mißlang, und nicht weniger der gleich daraus folgende Versuch Oest¬
reichs, das bisher bestehende Band schärfer anzuziehen. Wenn wir die.Politik
der beiden deutschen Großmächte in der gegenwärtigen Zeit verfolgen, so werden
wir wol leicht bemerken, daß diese beiden entgegengesetzten Tendenzen noch
immer als fromme Wünsche im Hinterhalt bleiben, daß aber keiner von beiden
Staaten an eine ernsthafte Durchführung denkt. Preußen mag den Gedanken
der Union noch immer als schöne Idee in seinem Herzen tragen, um den Aus¬
druck des seligen Herrn v. Radowitz zu gebrauchen, aber es hat wol nicht
daS geringste Gelüst, im Augenblick etwas dafür zu thun; und Oestreich,
obgleich seine Lage jetzt grade viel günstiger ist, günstiger, als jemals seit 1813,
und obgleich es für seine Hegemonie die Tradition voraushat, wird doch gewiß
in seinen Plänen nicht soweit gehen, Preußen zum Range der übrigen deutschen
Königreiche Herabdrücken zu wollen, was unumgänglich nothwendig wäre, wenn
Deutschland sich als eine einheitliche Großmacht darstellen sollte.

Unter diese» Umständen wird die relative Einheit Deutschlands nur erreicht
werden, wenn man vom Gegebenen, d. h. vom Dualismus, ausgeht. Die
Einheit Deutschlands heißt vorläufig nichts Anderes, als die Einigkeit zwischen
Oestreich und Preußen. Nun hat zwar in der letzten Zeit die östreichische
Politik große Vortheile davongetragen, da sie geschickt, energisch und consequent
verfuhr, während die preußische grade das Gegentheil war, und die öffentliche
Meinung neigt sich in diesem Augenblick entschieden zu Oestreich; allein auf
diese äußern Erfolge und Stimmungen allein kann man doch kein politisches
Gebäude aufrichten, und wenn Oestreich die in Preußen concentrirte Staats¬
kraft thatsächlich und dauerhaft für seine Zwecke gewinnen will, so genügt es
nicht, seine Schwäche zu benutzen, sondern es muß ihm mit besserem Rath und


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341580_98851/115>, abgerufen am 09.06.2024.