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Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, I. Semester. I. Band.

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Die Kronenlvnchter, von Armin. Zweiter Theil.

Bei der Sammlung der Arnimschen Schriften, die durch seine Gemahlin,
Frau Bettine von Arnim, veranstaltet wurde, zeigte man auch den zweiten
Band der Kronenwächter an, eines unvollendeten historischen Romans, der
neben der Dolores und der Jsabella von Aegypten die poetische Begabung des
Dichters am meisten entwickelt. Später verbreitete sich die Nachricht, jene
Anzeige beruhe nur auf einem Mißverständniß, die Papiere, die man für den
zweiten Band des Romans, gehalten, seien nur eine alte Abschrift des ersten
Bandes gewesen. Trotzdem blieb die Erpedition bei ihrer Anzeige, und da
die Kritik in den sonstigen Werken der Frau von Arnim manches entdeckt hatte,
was auf eine romantische Vermischung von Wahrheit und Dichtung hinzu¬
deuten schien, so gab man sich der Befürchtung, oder wir wollen lieber sagen,
der Hoffnung hin, in diesem Bande einer neuen Gattung der Wettineschen
Poesie zu begegnen. Das nun erschienene Buch hat wenigstens für uns diese
Vermuthung nicht bestätigt. Nach Ton und Haltung des Ganzen halten wir
es für ausgemacht, daß es wirklich von Arnim selbst herrührt; doch ist es ein
bloßer Entwurf, der bei einer weitem Durchsicht gewiß sehr wesentliche Ueber-
arbeitungen erfahren haben würde, was sich schon darin zeigt, daß mehre
Namen und Geschichten dieses Bandes mit dem ersten gar nicht überein¬
stimmen. Ausgeführt ist überdies nur die erste Hälfte; von dem folgenden,
welches nach der Notiz der 'Herausgeberin noch zwei Bände umfassen sollte,
ist nnr der Entwurf angegeben nebst einigen historischen Vorstudien.

Arnim hatte sich bei seinem Roman, einen Plan vorgesetzt, der mit seinen
großen Perspektiven einigermaßen an den Heinrich von Ofterdingen von
Novalis erinnert. Er wollte ein Gesammtbild von der Cultur Deutschlands
im Uebergang vom is. zum -16. Jahrhundert geben, das Ritter- und Hof¬
leben, das Städtewesen, den Bauernkrieg und die Reformation mit ihren Aus¬
wüchsen darin aufnehmen und durch symbolische Beziehungen dieses Zeitalter
mit der Vorzeit und der Zukunft des deutschen Volks verknüpfen. Wenn man
die bedeutenden und gewissenhaften Vorstudien in Anschlag bringt, die der
Dichter an sein Werk gewandt und die ihn zu einem der größten Kenner der
Sittengeschichte des 16. Jahrhunderts machten, ferner das tiefe, zuweilen über¬
raschende Verständniß für die geheimen Beziehungen der Geschichte, das über¬
all hervortritt, .wo er nicht entweder symbolisirt oder sich in den empirischen
Wust der Anekdoten einläßt, endlich das große plastische Talent in der Dar¬
stellung des Details, so müssen wir es im höchsten Grade bedauern, daß der
Entwurf nicht zur Ausführung gekommen ist. Aber zwei Eigenschaften Arnims
waren für die wirkliche Vollendung seiner Dichtungen sehr nachtheilig. Ein-


Die Kronenlvnchter, von Armin. Zweiter Theil.

Bei der Sammlung der Arnimschen Schriften, die durch seine Gemahlin,
Frau Bettine von Arnim, veranstaltet wurde, zeigte man auch den zweiten
Band der Kronenwächter an, eines unvollendeten historischen Romans, der
neben der Dolores und der Jsabella von Aegypten die poetische Begabung des
Dichters am meisten entwickelt. Später verbreitete sich die Nachricht, jene
Anzeige beruhe nur auf einem Mißverständniß, die Papiere, die man für den
zweiten Band des Romans, gehalten, seien nur eine alte Abschrift des ersten
Bandes gewesen. Trotzdem blieb die Erpedition bei ihrer Anzeige, und da
die Kritik in den sonstigen Werken der Frau von Arnim manches entdeckt hatte,
was auf eine romantische Vermischung von Wahrheit und Dichtung hinzu¬
deuten schien, so gab man sich der Befürchtung, oder wir wollen lieber sagen,
der Hoffnung hin, in diesem Bande einer neuen Gattung der Wettineschen
Poesie zu begegnen. Das nun erschienene Buch hat wenigstens für uns diese
Vermuthung nicht bestätigt. Nach Ton und Haltung des Ganzen halten wir
es für ausgemacht, daß es wirklich von Arnim selbst herrührt; doch ist es ein
bloßer Entwurf, der bei einer weitem Durchsicht gewiß sehr wesentliche Ueber-
arbeitungen erfahren haben würde, was sich schon darin zeigt, daß mehre
Namen und Geschichten dieses Bandes mit dem ersten gar nicht überein¬
stimmen. Ausgeführt ist überdies nur die erste Hälfte; von dem folgenden,
welches nach der Notiz der 'Herausgeberin noch zwei Bände umfassen sollte,
ist nnr der Entwurf angegeben nebst einigen historischen Vorstudien.

Arnim hatte sich bei seinem Roman, einen Plan vorgesetzt, der mit seinen
großen Perspektiven einigermaßen an den Heinrich von Ofterdingen von
Novalis erinnert. Er wollte ein Gesammtbild von der Cultur Deutschlands
im Uebergang vom is. zum -16. Jahrhundert geben, das Ritter- und Hof¬
leben, das Städtewesen, den Bauernkrieg und die Reformation mit ihren Aus¬
wüchsen darin aufnehmen und durch symbolische Beziehungen dieses Zeitalter
mit der Vorzeit und der Zukunft des deutschen Volks verknüpfen. Wenn man
die bedeutenden und gewissenhaften Vorstudien in Anschlag bringt, die der
Dichter an sein Werk gewandt und die ihn zu einem der größten Kenner der
Sittengeschichte des 16. Jahrhunderts machten, ferner das tiefe, zuweilen über¬
raschende Verständniß für die geheimen Beziehungen der Geschichte, das über¬
all hervortritt, .wo er nicht entweder symbolisirt oder sich in den empirischen
Wust der Anekdoten einläßt, endlich das große plastische Talent in der Dar¬
stellung des Details, so müssen wir es im höchsten Grade bedauern, daß der
Entwurf nicht zur Ausführung gekommen ist. Aber zwei Eigenschaften Arnims
waren für die wirkliche Vollendung seiner Dichtungen sehr nachtheilig. Ein-


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[0143] Die Kronenlvnchter, von Armin. Zweiter Theil. Bei der Sammlung der Arnimschen Schriften, die durch seine Gemahlin, Frau Bettine von Arnim, veranstaltet wurde, zeigte man auch den zweiten Band der Kronenwächter an, eines unvollendeten historischen Romans, der neben der Dolores und der Jsabella von Aegypten die poetische Begabung des Dichters am meisten entwickelt. Später verbreitete sich die Nachricht, jene Anzeige beruhe nur auf einem Mißverständniß, die Papiere, die man für den zweiten Band des Romans, gehalten, seien nur eine alte Abschrift des ersten Bandes gewesen. Trotzdem blieb die Erpedition bei ihrer Anzeige, und da die Kritik in den sonstigen Werken der Frau von Arnim manches entdeckt hatte, was auf eine romantische Vermischung von Wahrheit und Dichtung hinzu¬ deuten schien, so gab man sich der Befürchtung, oder wir wollen lieber sagen, der Hoffnung hin, in diesem Bande einer neuen Gattung der Wettineschen Poesie zu begegnen. Das nun erschienene Buch hat wenigstens für uns diese Vermuthung nicht bestätigt. Nach Ton und Haltung des Ganzen halten wir es für ausgemacht, daß es wirklich von Arnim selbst herrührt; doch ist es ein bloßer Entwurf, der bei einer weitem Durchsicht gewiß sehr wesentliche Ueber- arbeitungen erfahren haben würde, was sich schon darin zeigt, daß mehre Namen und Geschichten dieses Bandes mit dem ersten gar nicht überein¬ stimmen. Ausgeführt ist überdies nur die erste Hälfte; von dem folgenden, welches nach der Notiz der 'Herausgeberin noch zwei Bände umfassen sollte, ist nnr der Entwurf angegeben nebst einigen historischen Vorstudien. Arnim hatte sich bei seinem Roman, einen Plan vorgesetzt, der mit seinen großen Perspektiven einigermaßen an den Heinrich von Ofterdingen von Novalis erinnert. Er wollte ein Gesammtbild von der Cultur Deutschlands im Uebergang vom is. zum -16. Jahrhundert geben, das Ritter- und Hof¬ leben, das Städtewesen, den Bauernkrieg und die Reformation mit ihren Aus¬ wüchsen darin aufnehmen und durch symbolische Beziehungen dieses Zeitalter mit der Vorzeit und der Zukunft des deutschen Volks verknüpfen. Wenn man die bedeutenden und gewissenhaften Vorstudien in Anschlag bringt, die der Dichter an sein Werk gewandt und die ihn zu einem der größten Kenner der Sittengeschichte des 16. Jahrhunderts machten, ferner das tiefe, zuweilen über¬ raschende Verständniß für die geheimen Beziehungen der Geschichte, das über¬ all hervortritt, .wo er nicht entweder symbolisirt oder sich in den empirischen Wust der Anekdoten einläßt, endlich das große plastische Talent in der Dar¬ stellung des Details, so müssen wir es im höchsten Grade bedauern, daß der Entwurf nicht zur Ausführung gekommen ist. Aber zwei Eigenschaften Arnims waren für die wirkliche Vollendung seiner Dichtungen sehr nachtheilig. Ein-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341580_98851/143>, abgerufen am 10.06.2024.