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Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, I. Semester. I. Band.

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Vermuthung ist, für welche wir den Beleg der Erfahrung nicht anführen
können. Wenn es in der That wahr ist, daß die Schriften von Jeremias
Gotthelf von dem eigentlichen Volk, von den Bauern und Pächtern, gelesen
werden, so würde unsre Vermuthung irrig sein, und wir wünschten wol von
einem Sachverständigen darüber einen authentischen Bericht. --

Der historische Roman von A. Dumas ist mit dem fünften Bande
glücklich zu- Ende geführt. Nothwendig war es keineswegs; er hätte in der
bekannten Manier des Verfassers noch eine ganze Reihe von Bänden fort-
gesponnen werden können. Es ist doch sehr schade um das bedeutende Talent.
Bei seiner sehr guten Beobachtungsgabe und bei seiner Fähigkeit, rasch und
lebendig zu erzählen, hätte er für den französischen Roman in Frankreich etwas
Aehnliches werden können, wie W. Scott in England, wenn auch freilich'nur
in geringerem Grade; aber seine Achtung vor der Wahrheit und Natur ist
immer nur sehr gering gewesen, und in künstlerischer Beziehung ist er über
die Improvisation nie hinausgegangen: eine Methode, die für den Augenblick
einnimmt und besticht, die aber das Werk zu einer baldigen Vergessenheit
verdammt.

Die musikalischen Phantasien sind in der Weise Hoffmanns gehalten;
die berühmtesten Componisten werden uns in romantischem Lichte dargestellt und
allerlei zierliche Betrachtungen daran geknüpft. Wenn sich nur die Verfasserin
nicht durch ihr Bestreben nach rührenden Eindrücken dazu .hätte verleiten
lassen, zu lange bei trüben Bildern zu verweilen. Die Sterbescenen nehmen
einen unbilligen Raum in diesen Skizzen ein; und wenn auch der Tod eine
sehr ernsthafte Seite des Lebens ist, die man niemals ganz außer Acht lassen
soll, so hat doch alles seine Grenzen, und wir halten es nicht für zweckmäßig,
in der Weise der alten Aegypter unsre Freudenmahle durch Mumien verzieren
zu lassen. --

Herr Klencke arbeitet in seinen literaturhistorischcn Romanen rüstig weiter.
In seine neueste, ziemlich umfangreiche Schilderung hat er alle die Personen
verwebt, die irgendeinen Einfluß auf die Entwicklung der Kunst gehabt haben
und dabei in irgendeine Berührung mit Gleim gekommen sind. Für viele
Leser, die gern das Nützliche mit dem Angenehmen verbinden, ist eine solche
Methode wohlberechnet; vom künstlerischen Standpunkte ist sie nicht zu billi¬
gen , -wie wir das schon häufig ausgeführt haben. Die Sprache und Denk¬
weise jener Zeit so genau zu copiren, daß die Dichtung der Wirklichkeit in
die Arme greift, ist ja doch nicht möglich, und für seine eignen Ansichten,
Meinungen und Reflexionen bekannte literaturhistorische Vignetten zu suchen,
hat keinen rechten Zweck. --

Der Roman von Achard ist eine Episode aus dem Lorettenleben, wie
sie die neue Schule der französischen Novellistik mit ebensoviel Eifer als Sach-


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Vermuthung ist, für welche wir den Beleg der Erfahrung nicht anführen
können. Wenn es in der That wahr ist, daß die Schriften von Jeremias
Gotthelf von dem eigentlichen Volk, von den Bauern und Pächtern, gelesen
werden, so würde unsre Vermuthung irrig sein, und wir wünschten wol von
einem Sachverständigen darüber einen authentischen Bericht. —

Der historische Roman von A. Dumas ist mit dem fünften Bande
glücklich zu- Ende geführt. Nothwendig war es keineswegs; er hätte in der
bekannten Manier des Verfassers noch eine ganze Reihe von Bänden fort-
gesponnen werden können. Es ist doch sehr schade um das bedeutende Talent.
Bei seiner sehr guten Beobachtungsgabe und bei seiner Fähigkeit, rasch und
lebendig zu erzählen, hätte er für den französischen Roman in Frankreich etwas
Aehnliches werden können, wie W. Scott in England, wenn auch freilich'nur
in geringerem Grade; aber seine Achtung vor der Wahrheit und Natur ist
immer nur sehr gering gewesen, und in künstlerischer Beziehung ist er über
die Improvisation nie hinausgegangen: eine Methode, die für den Augenblick
einnimmt und besticht, die aber das Werk zu einer baldigen Vergessenheit
verdammt.

Die musikalischen Phantasien sind in der Weise Hoffmanns gehalten;
die berühmtesten Componisten werden uns in romantischem Lichte dargestellt und
allerlei zierliche Betrachtungen daran geknüpft. Wenn sich nur die Verfasserin
nicht durch ihr Bestreben nach rührenden Eindrücken dazu .hätte verleiten
lassen, zu lange bei trüben Bildern zu verweilen. Die Sterbescenen nehmen
einen unbilligen Raum in diesen Skizzen ein; und wenn auch der Tod eine
sehr ernsthafte Seite des Lebens ist, die man niemals ganz außer Acht lassen
soll, so hat doch alles seine Grenzen, und wir halten es nicht für zweckmäßig,
in der Weise der alten Aegypter unsre Freudenmahle durch Mumien verzieren
zu lassen. —

Herr Klencke arbeitet in seinen literaturhistorischcn Romanen rüstig weiter.
In seine neueste, ziemlich umfangreiche Schilderung hat er alle die Personen
verwebt, die irgendeinen Einfluß auf die Entwicklung der Kunst gehabt haben
und dabei in irgendeine Berührung mit Gleim gekommen sind. Für viele
Leser, die gern das Nützliche mit dem Angenehmen verbinden, ist eine solche
Methode wohlberechnet; vom künstlerischen Standpunkte ist sie nicht zu billi¬
gen , -wie wir das schon häufig ausgeführt haben. Die Sprache und Denk¬
weise jener Zeit so genau zu copiren, daß die Dichtung der Wirklichkeit in
die Arme greift, ist ja doch nicht möglich, und für seine eignen Ansichten,
Meinungen und Reflexionen bekannte literaturhistorische Vignetten zu suchen,
hat keinen rechten Zweck. —

Der Roman von Achard ist eine Episode aus dem Lorettenleben, wie
sie die neue Schule der französischen Novellistik mit ebensoviel Eifer als Sach-


18*
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[0147] Vermuthung ist, für welche wir den Beleg der Erfahrung nicht anführen können. Wenn es in der That wahr ist, daß die Schriften von Jeremias Gotthelf von dem eigentlichen Volk, von den Bauern und Pächtern, gelesen werden, so würde unsre Vermuthung irrig sein, und wir wünschten wol von einem Sachverständigen darüber einen authentischen Bericht. — Der historische Roman von A. Dumas ist mit dem fünften Bande glücklich zu- Ende geführt. Nothwendig war es keineswegs; er hätte in der bekannten Manier des Verfassers noch eine ganze Reihe von Bänden fort- gesponnen werden können. Es ist doch sehr schade um das bedeutende Talent. Bei seiner sehr guten Beobachtungsgabe und bei seiner Fähigkeit, rasch und lebendig zu erzählen, hätte er für den französischen Roman in Frankreich etwas Aehnliches werden können, wie W. Scott in England, wenn auch freilich'nur in geringerem Grade; aber seine Achtung vor der Wahrheit und Natur ist immer nur sehr gering gewesen, und in künstlerischer Beziehung ist er über die Improvisation nie hinausgegangen: eine Methode, die für den Augenblick einnimmt und besticht, die aber das Werk zu einer baldigen Vergessenheit verdammt. Die musikalischen Phantasien sind in der Weise Hoffmanns gehalten; die berühmtesten Componisten werden uns in romantischem Lichte dargestellt und allerlei zierliche Betrachtungen daran geknüpft. Wenn sich nur die Verfasserin nicht durch ihr Bestreben nach rührenden Eindrücken dazu .hätte verleiten lassen, zu lange bei trüben Bildern zu verweilen. Die Sterbescenen nehmen einen unbilligen Raum in diesen Skizzen ein; und wenn auch der Tod eine sehr ernsthafte Seite des Lebens ist, die man niemals ganz außer Acht lassen soll, so hat doch alles seine Grenzen, und wir halten es nicht für zweckmäßig, in der Weise der alten Aegypter unsre Freudenmahle durch Mumien verzieren zu lassen. — Herr Klencke arbeitet in seinen literaturhistorischcn Romanen rüstig weiter. In seine neueste, ziemlich umfangreiche Schilderung hat er alle die Personen verwebt, die irgendeinen Einfluß auf die Entwicklung der Kunst gehabt haben und dabei in irgendeine Berührung mit Gleim gekommen sind. Für viele Leser, die gern das Nützliche mit dem Angenehmen verbinden, ist eine solche Methode wohlberechnet; vom künstlerischen Standpunkte ist sie nicht zu billi¬ gen , -wie wir das schon häufig ausgeführt haben. Die Sprache und Denk¬ weise jener Zeit so genau zu copiren, daß die Dichtung der Wirklichkeit in die Arme greift, ist ja doch nicht möglich, und für seine eignen Ansichten, Meinungen und Reflexionen bekannte literaturhistorische Vignetten zu suchen, hat keinen rechten Zweck. — Der Roman von Achard ist eine Episode aus dem Lorettenleben, wie sie die neue Schule der französischen Novellistik mit ebensoviel Eifer als Sach- 18*

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341580_98851/147>, abgerufen am 10.06.2024.