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Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, I. Semester. I. Band.

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andere widerlegt; aber der Künstler firirt den Moment und verleiht dem Flüch¬
tigen die Weihe der Ewigkeit.

Die pantheistische Dichtung und die pantheistische Philosophie ist diesem
Glauben entgegengesetzt. Sie geht wie der Chemiker zu Werke, der nur Be¬
ziehungen, nur Werden und Vergehen begreift; sie hebt das Göttliche auf,
indem sie es in alle Erscheinungen gleichmäßig vertieft; sie vernichtet den Kern
des Lebens, indem sie alle Individualitäten analystrt; sie leugnet den Geist,
indem sie ihn zu einem Ergebniß der Elemente herabsetzt und ihn nur im Lichte
der Erscheinung betrachtet. Schon der Glaube an die Möglichkeit einer Poesie
unter solchen Bedingungen ist charakteristisch für unsre Zeit. Wenn Schefer,
der consequenteste Dichter des Pantheismus, wie Ludwig Feuerbach sein con-
sequentester Philosoph ist, es dennoch zu einer gewissen Physiognomie bringt,
so liegt das lediglich in seinem sehr energisch hervortretenden Cultus der Schön¬
heit, der freilich mit dem Princip des Pantheismus im weitesten Sinne auch
nicht zu vereinbaren ist.

Denn der Glaube an die Schönheit ist ein unklarer und schwankender,
wenn er nicht durch die Idee deS Erhabenen, die von der Idee der Freiheit
untrennbar ist, geläutert wird. Indem Kant den Begriff des Erhabenen dahin
feststellte, daß er sich nicht auf die Naturobjecte bezieht, sondern auf die Macht
des Geistes, der sich der Gewalt dieser Naturobjecte gegenüber frei erhält und
bei sich selbst bleibt, gab er etwas-mehr, als eine bloße ästhetische Definition;
er legte damit den Grundstein für alle Einsicht in Religion und Kunst/ Das
Gefühl der Schönheit muß ein interesseloses sein, und das verkennen alle
unsre modernen Poeten aus der Schule Mahomeds. Sie wehren sich leiden¬
schaftlich gegen alle Transscendenz in der Liebe, um uns dieses leicht ver¬
ständlichen und philosophischen Ausdrucks zu bedienen, welcher der allein treffende
ist. Die wahre Liebe geht nämlich über den Sinnenreiz hinaus, sie ist an¬
betend, aber nicht, wie der Orientale, den der Wahnsinn des Sinnenrausches
unter die Füße des geliebten Gegenstandes niederstreckt, sondern in dem Sinne)
daß sie in dem eignen Gefühl etwas Heiliges, etwas über den Wechsel deS Sin¬
neneindrucks Erhabenes erkennt. So unsinnige Formen diese Liebesvergötterung
annimmt, um so unsinniger, je unechter die Liebe ist, so liegt ihr doch stets
ursprünglich eine richtige Empfindung zugrunde, und das Christenthum, das die
sanctionirte Liebe, die Ehe, zu einer heiligen Handlung macht, hat darin einen
tiefern Blick bewiesen, als der Koran, der die Frauen zu bloßen sinnlichen
Reizmitteln herabsetzt und sie aus dem Paradiese ausschließt. Bei den Orientalen
ist die Vergötterung noch viel ausschweifender, als bei den tollsten Ausgeburten
unsrer eignen Phantasie. Es gibt keine Beschimpfung, welche die persischen
Dichter und ihre deutschen Nachahmer sich nicht selbst zufügten, um sich vor
dem geliebten Gegenstand recht tief zu demüthigen. Für Hases und seine


andere widerlegt; aber der Künstler firirt den Moment und verleiht dem Flüch¬
tigen die Weihe der Ewigkeit.

Die pantheistische Dichtung und die pantheistische Philosophie ist diesem
Glauben entgegengesetzt. Sie geht wie der Chemiker zu Werke, der nur Be¬
ziehungen, nur Werden und Vergehen begreift; sie hebt das Göttliche auf,
indem sie es in alle Erscheinungen gleichmäßig vertieft; sie vernichtet den Kern
des Lebens, indem sie alle Individualitäten analystrt; sie leugnet den Geist,
indem sie ihn zu einem Ergebniß der Elemente herabsetzt und ihn nur im Lichte
der Erscheinung betrachtet. Schon der Glaube an die Möglichkeit einer Poesie
unter solchen Bedingungen ist charakteristisch für unsre Zeit. Wenn Schefer,
der consequenteste Dichter des Pantheismus, wie Ludwig Feuerbach sein con-
sequentester Philosoph ist, es dennoch zu einer gewissen Physiognomie bringt,
so liegt das lediglich in seinem sehr energisch hervortretenden Cultus der Schön¬
heit, der freilich mit dem Princip des Pantheismus im weitesten Sinne auch
nicht zu vereinbaren ist.

Denn der Glaube an die Schönheit ist ein unklarer und schwankender,
wenn er nicht durch die Idee deS Erhabenen, die von der Idee der Freiheit
untrennbar ist, geläutert wird. Indem Kant den Begriff des Erhabenen dahin
feststellte, daß er sich nicht auf die Naturobjecte bezieht, sondern auf die Macht
des Geistes, der sich der Gewalt dieser Naturobjecte gegenüber frei erhält und
bei sich selbst bleibt, gab er etwas-mehr, als eine bloße ästhetische Definition;
er legte damit den Grundstein für alle Einsicht in Religion und Kunst/ Das
Gefühl der Schönheit muß ein interesseloses sein, und das verkennen alle
unsre modernen Poeten aus der Schule Mahomeds. Sie wehren sich leiden¬
schaftlich gegen alle Transscendenz in der Liebe, um uns dieses leicht ver¬
ständlichen und philosophischen Ausdrucks zu bedienen, welcher der allein treffende
ist. Die wahre Liebe geht nämlich über den Sinnenreiz hinaus, sie ist an¬
betend, aber nicht, wie der Orientale, den der Wahnsinn des Sinnenrausches
unter die Füße des geliebten Gegenstandes niederstreckt, sondern in dem Sinne)
daß sie in dem eignen Gefühl etwas Heiliges, etwas über den Wechsel deS Sin¬
neneindrucks Erhabenes erkennt. So unsinnige Formen diese Liebesvergötterung
annimmt, um so unsinniger, je unechter die Liebe ist, so liegt ihr doch stets
ursprünglich eine richtige Empfindung zugrunde, und das Christenthum, das die
sanctionirte Liebe, die Ehe, zu einer heiligen Handlung macht, hat darin einen
tiefern Blick bewiesen, als der Koran, der die Frauen zu bloßen sinnlichen
Reizmitteln herabsetzt und sie aus dem Paradiese ausschließt. Bei den Orientalen
ist die Vergötterung noch viel ausschweifender, als bei den tollsten Ausgeburten
unsrer eignen Phantasie. Es gibt keine Beschimpfung, welche die persischen
Dichter und ihre deutschen Nachahmer sich nicht selbst zufügten, um sich vor
dem geliebten Gegenstand recht tief zu demüthigen. Für Hases und seine


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[0024] andere widerlegt; aber der Künstler firirt den Moment und verleiht dem Flüch¬ tigen die Weihe der Ewigkeit. Die pantheistische Dichtung und die pantheistische Philosophie ist diesem Glauben entgegengesetzt. Sie geht wie der Chemiker zu Werke, der nur Be¬ ziehungen, nur Werden und Vergehen begreift; sie hebt das Göttliche auf, indem sie es in alle Erscheinungen gleichmäßig vertieft; sie vernichtet den Kern des Lebens, indem sie alle Individualitäten analystrt; sie leugnet den Geist, indem sie ihn zu einem Ergebniß der Elemente herabsetzt und ihn nur im Lichte der Erscheinung betrachtet. Schon der Glaube an die Möglichkeit einer Poesie unter solchen Bedingungen ist charakteristisch für unsre Zeit. Wenn Schefer, der consequenteste Dichter des Pantheismus, wie Ludwig Feuerbach sein con- sequentester Philosoph ist, es dennoch zu einer gewissen Physiognomie bringt, so liegt das lediglich in seinem sehr energisch hervortretenden Cultus der Schön¬ heit, der freilich mit dem Princip des Pantheismus im weitesten Sinne auch nicht zu vereinbaren ist. Denn der Glaube an die Schönheit ist ein unklarer und schwankender, wenn er nicht durch die Idee deS Erhabenen, die von der Idee der Freiheit untrennbar ist, geläutert wird. Indem Kant den Begriff des Erhabenen dahin feststellte, daß er sich nicht auf die Naturobjecte bezieht, sondern auf die Macht des Geistes, der sich der Gewalt dieser Naturobjecte gegenüber frei erhält und bei sich selbst bleibt, gab er etwas-mehr, als eine bloße ästhetische Definition; er legte damit den Grundstein für alle Einsicht in Religion und Kunst/ Das Gefühl der Schönheit muß ein interesseloses sein, und das verkennen alle unsre modernen Poeten aus der Schule Mahomeds. Sie wehren sich leiden¬ schaftlich gegen alle Transscendenz in der Liebe, um uns dieses leicht ver¬ ständlichen und philosophischen Ausdrucks zu bedienen, welcher der allein treffende ist. Die wahre Liebe geht nämlich über den Sinnenreiz hinaus, sie ist an¬ betend, aber nicht, wie der Orientale, den der Wahnsinn des Sinnenrausches unter die Füße des geliebten Gegenstandes niederstreckt, sondern in dem Sinne) daß sie in dem eignen Gefühl etwas Heiliges, etwas über den Wechsel deS Sin¬ neneindrucks Erhabenes erkennt. So unsinnige Formen diese Liebesvergötterung annimmt, um so unsinniger, je unechter die Liebe ist, so liegt ihr doch stets ursprünglich eine richtige Empfindung zugrunde, und das Christenthum, das die sanctionirte Liebe, die Ehe, zu einer heiligen Handlung macht, hat darin einen tiefern Blick bewiesen, als der Koran, der die Frauen zu bloßen sinnlichen Reizmitteln herabsetzt und sie aus dem Paradiese ausschließt. Bei den Orientalen ist die Vergötterung noch viel ausschweifender, als bei den tollsten Ausgeburten unsrer eignen Phantasie. Es gibt keine Beschimpfung, welche die persischen Dichter und ihre deutschen Nachahmer sich nicht selbst zufügten, um sich vor dem geliebten Gegenstand recht tief zu demüthigen. Für Hases und seine

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341580_98851/24>, abgerufen am 26.05.2024.