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Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, I. Semester. I. Band.

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wir es unrecht, daß man, um eine vereinzelte Thatsache zu rechtfertigen,
gemeinschädliche Maximen aufstellt. Was wir von der sogenannten Volks-
souveränetät halten, d. h. von der Abstimmung der gesammten Masse der
Bevölkerung über eine beliebige politische Frage, haben wir schon mehrfach
erörtert. Gellert hat eine allerliebste Fabel geschrieben: Die Bauern und der
Amtmann, die folgendermaßen schließt:


"Ihr Ochsen, die ihr alle seid,

Euch Flegeln geb ich den Bescheid,

Ihr sollt den Herrn zu euerm Psarrn behalten.

Sagt, wollt ihr oder nicht? denn jetzt sind wir noch da." --

Die Bauern lächelten: "Ach ja, Herr Amtmann, ja."


Der Erfolg würde wol in den meisten Fällen der nämliche sein, allein
wir würden es doch für unzweckmäßig halten, politische Fragen immer in der
Weise des groben Amtmanns zum Austrag zu bringen. Endlich halten wir
es für unrecht, das Bewußtsein von der Integrität der deutschen Nation dem
Napoleonismus gegenüber abschwächen zu wollen. Die Sache fängt an, sehr
ernsthaft zu werden. Wir haben so laut und energisch, wie es der Presse nur
irgend möglich ist, das Verhalten der östreichischen Regierung in der orien¬
talischen Angelegenheit anerkannt, gebilligt und andern Staaten zur Nachahmung
empfohlen. Nun stellen sich aber eine Masse liebedienerischer Anhänger ein,
von denen die östreichische Regierung hoffentlich bald sagen wird: "Herr, be¬
wahre mich vor meinen Freunden, vor meinen Feinden will ich mich schon
selber behüten." Ein großes Wiener Blatt hat viel Wesens von dem Brüllen
des östreichischen Löwen gemacht und sich darüber beschwert, daß die andern
Bestien im deutschen Stall nicht gleichfalls brüllten; es hat von dem gro߬
müthigen Schutz gesprochen, den dieser Löwe seinen Mitthieren angedeihen
lasse; es hat auf die durch Hegelsche Philosophie vollständig corrumpirte
deutsche Nationalität mit großer Verachtung herabgesehen und die östreichische
Regierung ermahnt, sich lieber aus die naturwüchsige Kraft der Anaken, Ku-
manen, Jazygen, Szekler u. s. w. zu stützen, anstatt auf das morsche
Deutschland. Wir wissen nicht, welcher von diesen naturwüchsigen Nationali¬
täten der Verfasser angehört, oder ob er vielleicht ein Angehöriger jenes
kosmopolitischen Stammes ist, welcher die östreichische Presse sast ausschließlich
repräsentirt; auf alle Fälle würden wir vermuthen, wenn es nicht grade Winter
wäre, er leide am Sonnenstich. Die liberale Partei in Norddeutschland hat
allerdings das zweckmäßige Verfahren der östreichischen Regierung gelobt und
das unzweckmäßige Verfahren anderer Regierungen getadelt, aber wenn man
die Nationalitäten gegeneinanderstellen will, so wollen wir uns doch noch
erst besinnen, ob wir die Jazygen, Kumanen und andere naturwüchsige
Völkerschaften an unsre Spitze stellen; vorläufig gehören sie noch in die


wir es unrecht, daß man, um eine vereinzelte Thatsache zu rechtfertigen,
gemeinschädliche Maximen aufstellt. Was wir von der sogenannten Volks-
souveränetät halten, d. h. von der Abstimmung der gesammten Masse der
Bevölkerung über eine beliebige politische Frage, haben wir schon mehrfach
erörtert. Gellert hat eine allerliebste Fabel geschrieben: Die Bauern und der
Amtmann, die folgendermaßen schließt:


„Ihr Ochsen, die ihr alle seid,

Euch Flegeln geb ich den Bescheid,

Ihr sollt den Herrn zu euerm Psarrn behalten.

Sagt, wollt ihr oder nicht? denn jetzt sind wir noch da." —

Die Bauern lächelten: „Ach ja, Herr Amtmann, ja."


Der Erfolg würde wol in den meisten Fällen der nämliche sein, allein
wir würden es doch für unzweckmäßig halten, politische Fragen immer in der
Weise des groben Amtmanns zum Austrag zu bringen. Endlich halten wir
es für unrecht, das Bewußtsein von der Integrität der deutschen Nation dem
Napoleonismus gegenüber abschwächen zu wollen. Die Sache fängt an, sehr
ernsthaft zu werden. Wir haben so laut und energisch, wie es der Presse nur
irgend möglich ist, das Verhalten der östreichischen Regierung in der orien¬
talischen Angelegenheit anerkannt, gebilligt und andern Staaten zur Nachahmung
empfohlen. Nun stellen sich aber eine Masse liebedienerischer Anhänger ein,
von denen die östreichische Regierung hoffentlich bald sagen wird: „Herr, be¬
wahre mich vor meinen Freunden, vor meinen Feinden will ich mich schon
selber behüten." Ein großes Wiener Blatt hat viel Wesens von dem Brüllen
des östreichischen Löwen gemacht und sich darüber beschwert, daß die andern
Bestien im deutschen Stall nicht gleichfalls brüllten; es hat von dem gro߬
müthigen Schutz gesprochen, den dieser Löwe seinen Mitthieren angedeihen
lasse; es hat auf die durch Hegelsche Philosophie vollständig corrumpirte
deutsche Nationalität mit großer Verachtung herabgesehen und die östreichische
Regierung ermahnt, sich lieber aus die naturwüchsige Kraft der Anaken, Ku-
manen, Jazygen, Szekler u. s. w. zu stützen, anstatt auf das morsche
Deutschland. Wir wissen nicht, welcher von diesen naturwüchsigen Nationali¬
täten der Verfasser angehört, oder ob er vielleicht ein Angehöriger jenes
kosmopolitischen Stammes ist, welcher die östreichische Presse sast ausschließlich
repräsentirt; auf alle Fälle würden wir vermuthen, wenn es nicht grade Winter
wäre, er leide am Sonnenstich. Die liberale Partei in Norddeutschland hat
allerdings das zweckmäßige Verfahren der östreichischen Regierung gelobt und
das unzweckmäßige Verfahren anderer Regierungen getadelt, aber wenn man
die Nationalitäten gegeneinanderstellen will, so wollen wir uns doch noch
erst besinnen, ob wir die Jazygen, Kumanen und andere naturwüchsige
Völkerschaften an unsre Spitze stellen; vorläufig gehören sie noch in die


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341580_98851/350>, abgerufen am 26.05.2024.