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Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, I. Semester. II. Band.

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Dieses Mittel ist beiläufig nicht blos in Amerika anwendbar; wir könnten auf das lu-
crativste Geschäft, welches in den letzten zehn Jahren in Deutschland, und zwar
in Leipzig, lediglich dnrch Neclamen gemacht worden ist, hindeuten, wenn der
Gegenstand desselben nicht ein so schmuziger wäre. Wir könnten uns auch in die'
Poesie versteigen und namentlich auf berühmte Dichterwerke aufmerksam machen, --
allein Herr Barnum unterscheidet sich von unsern speculativen Landsleuten durch
die grenzenlose Unbefangenheit und darin liegt etwas specifisch Amerikanisches. Bei
den Engländern gibt es kein größres Schimpfwort, als Humbug, Windbeutel,
Aufschneider. - Herr Barnum wendet dieses Wort mit der größten Gemüthlichkeit
auf sich selbst an und stellt eine Wissenschaft des Hnmbug auf. Wir glauben
doch kaum, daß er sich durch diese Geständnisse bei seinen Landsleuten scha¬
den wird, denn die Amerikaner schätzen lediglich den dreisten, frechen Unter¬
nehmungsgeist und den Erfolg. In Deutschland würde mit der Auflösung
eines Mysteriums der Eindruck völlig verloren sein, in Amerika erregt da¬
gegen die aufgewandte Unverschämtheit einen neuen Reiz. Herr Barnum stellte
einmal eine alte Negerin als die Amme Washingtons ans, die also weit über hun¬
dert Jahre alt hätte sein müssen. Das Publicum strömte massenhaft hinzu, bis
es endlich der Sache überdrüssig wurde. Da ließ Barnum durch die Zeitungen
verbreiten, die ganze Sache wäre ein Betrug, jene Negerin wäre nichts weniger
als die Amme Washingtons, sie wäre ein künstlich bereiteter Automat. Infolge
dieser unsinnige" Lüge strömte der Pöbel aufs neue mit verdoppeltem Interesse zu
seinen Ausstellungen. Und man glaube nicht etwa, daß sich Barnum durch sein
Geschäft eines Marktschreiers in seiner socialen Stellung bedrückt fühlt; im Ge¬
gentheil, er ist ein guter Familienvater, er treibt nebenbei das Geschäft eines
Mäßigkcitsapostels und ist im Allgemeinen fest davon überzeugt, ein Wohlthäter der
Menschheit zu sein. Er hat dnrch die Ausstellung der Jenny Lind dem Kunstge¬
schmack in Amerika einen neuen Aufschwung gegeben, er hat durch die Kuriositäten
des Museums die Wissenschaft gefördert, ja er hat noch andere erstaunliche Dinge
zum Besten der Moral gethan. So hat er z. B. schmerzlich empfunden, daß seine
Landsleute eine krankhafte Vorliebe für alles Ausländische haben; um sie davon zu
heilen, hat er ihnen den bekannten Zwerg Tom Ponce als eine transatlantische
Naturseltenhcit gezeigt. Wenn er außerdem, um die zwerghafte Erscheinung noch
wunderbarer erscheinen zu lassen, das fünfjährige Kind für einen zwölfjährigen
Knaben ausgab, so geschah ja damit keinem Menschen ciir Schade; fünf Jahre oder
elf Jahre, es ist ja alles einerlei. Kurz, es ist in dem ganzen Buch eine Mischung
von gutmüthiger Albernheit und plumper Verschmitztheit, daß man weder recht zür¬
nen, noch sich recht belustigen kann. Zum Schluß legt man das Buch mit dem
entschiedenen Gefühl der Langeweile aus der Hand.




Herausgegeben von Gustav Freytag und Julia" Schmidt.
Als veraittwortl. Redacteur legitimirt: F. W. Gruuvw. -- Verlag von F. i.'. Herbig
in Leipzig.
Druck vo" C. E" Elben in Leipzig.

Dieses Mittel ist beiläufig nicht blos in Amerika anwendbar; wir könnten auf das lu-
crativste Geschäft, welches in den letzten zehn Jahren in Deutschland, und zwar
in Leipzig, lediglich dnrch Neclamen gemacht worden ist, hindeuten, wenn der
Gegenstand desselben nicht ein so schmuziger wäre. Wir könnten uns auch in die'
Poesie versteigen und namentlich auf berühmte Dichterwerke aufmerksam machen, —
allein Herr Barnum unterscheidet sich von unsern speculativen Landsleuten durch
die grenzenlose Unbefangenheit und darin liegt etwas specifisch Amerikanisches. Bei
den Engländern gibt es kein größres Schimpfwort, als Humbug, Windbeutel,
Aufschneider. - Herr Barnum wendet dieses Wort mit der größten Gemüthlichkeit
auf sich selbst an und stellt eine Wissenschaft des Hnmbug auf. Wir glauben
doch kaum, daß er sich durch diese Geständnisse bei seinen Landsleuten scha¬
den wird, denn die Amerikaner schätzen lediglich den dreisten, frechen Unter¬
nehmungsgeist und den Erfolg. In Deutschland würde mit der Auflösung
eines Mysteriums der Eindruck völlig verloren sein, in Amerika erregt da¬
gegen die aufgewandte Unverschämtheit einen neuen Reiz. Herr Barnum stellte
einmal eine alte Negerin als die Amme Washingtons ans, die also weit über hun¬
dert Jahre alt hätte sein müssen. Das Publicum strömte massenhaft hinzu, bis
es endlich der Sache überdrüssig wurde. Da ließ Barnum durch die Zeitungen
verbreiten, die ganze Sache wäre ein Betrug, jene Negerin wäre nichts weniger
als die Amme Washingtons, sie wäre ein künstlich bereiteter Automat. Infolge
dieser unsinnige« Lüge strömte der Pöbel aufs neue mit verdoppeltem Interesse zu
seinen Ausstellungen. Und man glaube nicht etwa, daß sich Barnum durch sein
Geschäft eines Marktschreiers in seiner socialen Stellung bedrückt fühlt; im Ge¬
gentheil, er ist ein guter Familienvater, er treibt nebenbei das Geschäft eines
Mäßigkcitsapostels und ist im Allgemeinen fest davon überzeugt, ein Wohlthäter der
Menschheit zu sein. Er hat dnrch die Ausstellung der Jenny Lind dem Kunstge¬
schmack in Amerika einen neuen Aufschwung gegeben, er hat durch die Kuriositäten
des Museums die Wissenschaft gefördert, ja er hat noch andere erstaunliche Dinge
zum Besten der Moral gethan. So hat er z. B. schmerzlich empfunden, daß seine
Landsleute eine krankhafte Vorliebe für alles Ausländische haben; um sie davon zu
heilen, hat er ihnen den bekannten Zwerg Tom Ponce als eine transatlantische
Naturseltenhcit gezeigt. Wenn er außerdem, um die zwerghafte Erscheinung noch
wunderbarer erscheinen zu lassen, das fünfjährige Kind für einen zwölfjährigen
Knaben ausgab, so geschah ja damit keinem Menschen ciir Schade; fünf Jahre oder
elf Jahre, es ist ja alles einerlei. Kurz, es ist in dem ganzen Buch eine Mischung
von gutmüthiger Albernheit und plumper Verschmitztheit, daß man weder recht zür¬
nen, noch sich recht belustigen kann. Zum Schluß legt man das Buch mit dem
entschiedenen Gefühl der Langeweile aus der Hand.




Herausgegeben von Gustav Freytag und Julia» Schmidt.
Als veraittwortl. Redacteur legitimirt: F. W. Gruuvw. — Verlag von F. i.'. Herbig
in Leipzig.
Druck vo» C. E„ Elben in Leipzig.
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341580_99385/208>, abgerufen am 18.05.2024.