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Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, I. Semester. II. Band.

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fliegenden Buchhändlers, ist anschaulich und mit vieler Wärme dargestellt. Man
sieht, daß der Verfasser gut beobachtet hat, und daß er das Volk mit wirklicher
Liebe umfaßt. Der novellistische Theil dagegen ist sehr schwach, und die Versuche,
ins Tragische oder Sentimentale überzugehen, sind 'mißlungen. Ueberhaupt wird
mit dieser Gattung doch einiger Mißbrauch getrieben. Der Stoff reicht für eine
kleine Schilderung aus, wie sie Dickens in seinen "Londoner Skizzen" so meister¬
haft zu geben weiß; wenn mau ihn aber ausdehnen und eine verwickelte Geschichte
herausspiuuen will, so fühlt mau doch, daß das Gemälde zum Umfang des Rahmens
nicht paßt. Selten thut, der Verfasser seinem Gemüth soviel Zwang an, bei den
natürlichen Voraussetzungen seiner Geschichte stehen zu bleiben. In der Regel wird
er warm für seinen Helden, sührt ihn in größere Verhältnisse ein, und wenn er
recht gutmüthig ist, so sucht er lahm mich look Hie Hand einer reichen Erbin zu ver¬
schaffen. Durch diese Einmischung des poetischen Lottericsvicls, die freilich dem Herzen
des Romanschreibers Ehre macht, wird die künstlerische Unbefangenheit gestört, und
der Ausgang, sei er nun ein befriedigender oder ein schmerzlicher, stimmt nicht zu dem,
was die Exposition erwarten ließ. Und doch wollen wir im Ganzen diese Ablenkung
vom Reich der Chimären zur Wirklichkeit mit Freude begrüßen, denn nur aus dem
festen Boden des Gegebenen findet die Kunst eine bleibende Stätte.

Album. Bibliothek deutscher Originalromane, herausgegeben von Kober.
Leipzig, Hübner. -- Die neuesten Lieferungen dieser beliebten Sammlung enthalten
folgende Romane: Vorleben eines Künstlers, nach dessen Erinnerungen herausge¬
geben von Siegfried Kapper (2 Bde). Margarethe Maultasch, historische Erzählung
von Joseph Meßner, und Ein französisches Landschloß, Novelle von Th. Munde.--
Der erste Roman ist eine harmlose und in vielen Einzelnheiten sehr ansprechende
Erzählung aus dem gewöhnlichen Leben, das in dem bunten Wechsel seiner Er¬
eignisse noch immer Stoff genug sür den Menschenbeobachter gibt, wenn man nur
die' Augen ausmachen will. -- Der historische Roman ist durchaus im Stil Spind¬
lers und verräth in seinen Schilderungen viel Talent, das aber durch den gänzli¬
chen Mangel an Composition und durch die Neigung zu Greueln verkümmert wird. --
Den Roman von Mundt haben wir mit einem Befremden gelesen, das noch über
die gewöhnlichen Empfindungen hinausgeht, welche die moderne Romanlectüre ge¬
wöhnlich erregt. Die Erfindung geht über alles heraus, was die Franzosen ge¬
leistet haben. Ein gemeiner Dieb, Straßenräuber und Mörder ist der ganz ernst¬
haft und tragisch aufgefaßte Held dieser wunderbaren Geschichte.

Frühling und Liebe. Dichtungen von Albrecht Brüning. E. Roter.
Wriczen a. O. -1854. -- Eine sanfte, stille Poesie, ohne Weltschmerz, ohne Groll
gegen Gott und die Menschen. --




Herausgegeben von Gustav Freytag und Julia" Schmidt.
Als veronlworll. Nedacieur legitimin: F. W. Grunow. -- Verlag von F. L. Hrrvig
in Leipzig.
Druck von C. E. Elbert in Leipzig.


fliegenden Buchhändlers, ist anschaulich und mit vieler Wärme dargestellt. Man
sieht, daß der Verfasser gut beobachtet hat, und daß er das Volk mit wirklicher
Liebe umfaßt. Der novellistische Theil dagegen ist sehr schwach, und die Versuche,
ins Tragische oder Sentimentale überzugehen, sind 'mißlungen. Ueberhaupt wird
mit dieser Gattung doch einiger Mißbrauch getrieben. Der Stoff reicht für eine
kleine Schilderung aus, wie sie Dickens in seinen „Londoner Skizzen" so meister¬
haft zu geben weiß; wenn mau ihn aber ausdehnen und eine verwickelte Geschichte
herausspiuuen will, so fühlt mau doch, daß das Gemälde zum Umfang des Rahmens
nicht paßt. Selten thut, der Verfasser seinem Gemüth soviel Zwang an, bei den
natürlichen Voraussetzungen seiner Geschichte stehen zu bleiben. In der Regel wird
er warm für seinen Helden, sührt ihn in größere Verhältnisse ein, und wenn er
recht gutmüthig ist, so sucht er lahm mich look Hie Hand einer reichen Erbin zu ver¬
schaffen. Durch diese Einmischung des poetischen Lottericsvicls, die freilich dem Herzen
des Romanschreibers Ehre macht, wird die künstlerische Unbefangenheit gestört, und
der Ausgang, sei er nun ein befriedigender oder ein schmerzlicher, stimmt nicht zu dem,
was die Exposition erwarten ließ. Und doch wollen wir im Ganzen diese Ablenkung
vom Reich der Chimären zur Wirklichkeit mit Freude begrüßen, denn nur aus dem
festen Boden des Gegebenen findet die Kunst eine bleibende Stätte.

Album. Bibliothek deutscher Originalromane, herausgegeben von Kober.
Leipzig, Hübner. — Die neuesten Lieferungen dieser beliebten Sammlung enthalten
folgende Romane: Vorleben eines Künstlers, nach dessen Erinnerungen herausge¬
geben von Siegfried Kapper (2 Bde). Margarethe Maultasch, historische Erzählung
von Joseph Meßner, und Ein französisches Landschloß, Novelle von Th. Munde.—
Der erste Roman ist eine harmlose und in vielen Einzelnheiten sehr ansprechende
Erzählung aus dem gewöhnlichen Leben, das in dem bunten Wechsel seiner Er¬
eignisse noch immer Stoff genug sür den Menschenbeobachter gibt, wenn man nur
die' Augen ausmachen will. — Der historische Roman ist durchaus im Stil Spind¬
lers und verräth in seinen Schilderungen viel Talent, das aber durch den gänzli¬
chen Mangel an Composition und durch die Neigung zu Greueln verkümmert wird. —
Den Roman von Mundt haben wir mit einem Befremden gelesen, das noch über
die gewöhnlichen Empfindungen hinausgeht, welche die moderne Romanlectüre ge¬
wöhnlich erregt. Die Erfindung geht über alles heraus, was die Franzosen ge¬
leistet haben. Ein gemeiner Dieb, Straßenräuber und Mörder ist der ganz ernst¬
haft und tragisch aufgefaßte Held dieser wunderbaren Geschichte.

Frühling und Liebe. Dichtungen von Albrecht Brüning. E. Roter.
Wriczen a. O. -1854. — Eine sanfte, stille Poesie, ohne Weltschmerz, ohne Groll
gegen Gott und die Menschen. —




Herausgegeben von Gustav Freytag und Julia» Schmidt.
Als veronlworll. Nedacieur legitimin: F. W. Grunow. — Verlag von F. L. Hrrvig
in Leipzig.
Druck von C. E. Elbert in Leipzig.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341580_99385/288>, abgerufen am 25.05.2024.