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Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, I. Semester. II. Band.

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Michalei'i aus Dresden, zweimal; Frau Botschon aus Prag, zweimal und
im Pensionsconcert; Frau Nottes aus Hannover; Frau Förster aus Berlin.
Niemand wird behaupten, daß diese Damen die Normalleistungen der heutigen
Gesangskunst- repräsentiren, -- Frau Krebs-Michalesi allein darf für eine
ausgebildete Sängerin gelten und leider ist > ihre schöne Stimme stark im Ab¬
nehmen -- oder daß sie durch eigenthümliche Vorzüge rechtfertigten, warum sie
und nicht andre dem Publicum vorgeführt wurden; offenbar hatte der Zufall
und die Gelegenheit hauptsächlich entschieden, wer jedesmal die herkömmliche
Lücke im Programm in herkömmlicher Weise ausfüllen solle, natürlich mit den
beiden üblichen Arien, womöglich im ersten Theil Mozart oder Stradella und
im zweiten Rossini oder Donizetti, oder noch lieber statt der zweiten Arie eine
Hand voll Lieder. Mag man sich darüber nicht allzusehr wundern bei den
Damen, die nun einmal vor allem darnach streben, zu gefallen und wol wissen
mögen, daß sie dies mit kleinen Mitteln am schnellsten erreichen; aber daß ein
durchgebildeter Künstler von Einsicht und Verständniß, wie Herr Götze, auch
mit Liedern im Concert auftrat, das ist zu beklagen. Seine Stellung als
Sänger und Gesanglehrer ist dem Publicum gegenüber eine solche, daß er
modischen Schwächen nicht nachgeben, sondern entgegentreten sollte.

Unter den Solosachen, welche vorgetragen wurden, zeichneten sich aus ein
Concert für Violine und zwei Flöten mit Begleitung der Streichinstrumente
von J.S.Bach, das allerdings gegen das, was vorherging und besonders die
unmittelbar vorgestellte Arie von Rossini, wunderlich genug abstach, auch wol
einem geringern Theil des Publicums willkommener sein mochte, als jene;
von denen aber, welche mit ihren Interessen nicht allein die neue und neuste Musik
verfolgen, mit aufrichtiger Freude aufgenommen wurde. Demnächst ckamen zwei
neue Concerte von Nietz zur Aufführung, eins für die Violine, das andre für
die Klarinette, beides große, breit angelegte Musikstücke in der althergebrachten
Concertform, mehr für den Künstler, als für den Virtuosen und vor allem
darauf berechnet, gute Musik zu geben. Wenn schon den Etüden, Phantasien,
Pers6es und Morceaur gegenüber, in denen die Soloinstrumentalmustk sich
so vielfach zu zersplittern pflegt, ein solcher fester un<d gewappneter Gang auf
Anerkennung Anspruch hat, so zollt man diese um so lieber Werken, in welchen
nicht allein guter Wille sich ausspricht, sondern eine vollkommene Sicherheit
in der Form und Technik, sowie Leben und Geist in der Erfindung. Zu be¬
dauern war eS nur, daß diese Concerte, welche Sammlung und Aufmerksam¬
keit der Hörer verlangen, unter eine lange Reihe verschiedenartiger Com-
positionen, wie sie ein erster Theil mit sich bringt, untergestellt waren, so daß
man schon einigermaßen abgespannt war.

Von hiesigen Solisten ließ sich Herr Concertmeister David dreimal hören;
außer den schon angeführten Concerten von Bach (mit Herrn Grenser und


Michalei'i aus Dresden, zweimal; Frau Botschon aus Prag, zweimal und
im Pensionsconcert; Frau Nottes aus Hannover; Frau Förster aus Berlin.
Niemand wird behaupten, daß diese Damen die Normalleistungen der heutigen
Gesangskunst- repräsentiren, — Frau Krebs-Michalesi allein darf für eine
ausgebildete Sängerin gelten und leider ist > ihre schöne Stimme stark im Ab¬
nehmen — oder daß sie durch eigenthümliche Vorzüge rechtfertigten, warum sie
und nicht andre dem Publicum vorgeführt wurden; offenbar hatte der Zufall
und die Gelegenheit hauptsächlich entschieden, wer jedesmal die herkömmliche
Lücke im Programm in herkömmlicher Weise ausfüllen solle, natürlich mit den
beiden üblichen Arien, womöglich im ersten Theil Mozart oder Stradella und
im zweiten Rossini oder Donizetti, oder noch lieber statt der zweiten Arie eine
Hand voll Lieder. Mag man sich darüber nicht allzusehr wundern bei den
Damen, die nun einmal vor allem darnach streben, zu gefallen und wol wissen
mögen, daß sie dies mit kleinen Mitteln am schnellsten erreichen; aber daß ein
durchgebildeter Künstler von Einsicht und Verständniß, wie Herr Götze, auch
mit Liedern im Concert auftrat, das ist zu beklagen. Seine Stellung als
Sänger und Gesanglehrer ist dem Publicum gegenüber eine solche, daß er
modischen Schwächen nicht nachgeben, sondern entgegentreten sollte.

Unter den Solosachen, welche vorgetragen wurden, zeichneten sich aus ein
Concert für Violine und zwei Flöten mit Begleitung der Streichinstrumente
von J.S.Bach, das allerdings gegen das, was vorherging und besonders die
unmittelbar vorgestellte Arie von Rossini, wunderlich genug abstach, auch wol
einem geringern Theil des Publicums willkommener sein mochte, als jene;
von denen aber, welche mit ihren Interessen nicht allein die neue und neuste Musik
verfolgen, mit aufrichtiger Freude aufgenommen wurde. Demnächst ckamen zwei
neue Concerte von Nietz zur Aufführung, eins für die Violine, das andre für
die Klarinette, beides große, breit angelegte Musikstücke in der althergebrachten
Concertform, mehr für den Künstler, als für den Virtuosen und vor allem
darauf berechnet, gute Musik zu geben. Wenn schon den Etüden, Phantasien,
Pers6es und Morceaur gegenüber, in denen die Soloinstrumentalmustk sich
so vielfach zu zersplittern pflegt, ein solcher fester un<d gewappneter Gang auf
Anerkennung Anspruch hat, so zollt man diese um so lieber Werken, in welchen
nicht allein guter Wille sich ausspricht, sondern eine vollkommene Sicherheit
in der Form und Technik, sowie Leben und Geist in der Erfindung. Zu be¬
dauern war eS nur, daß diese Concerte, welche Sammlung und Aufmerksam¬
keit der Hörer verlangen, unter eine lange Reihe verschiedenartiger Com-
positionen, wie sie ein erster Theil mit sich bringt, untergestellt waren, so daß
man schon einigermaßen abgespannt war.

Von hiesigen Solisten ließ sich Herr Concertmeister David dreimal hören;
außer den schon angeführten Concerten von Bach (mit Herrn Grenser und


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[0296] Michalei'i aus Dresden, zweimal; Frau Botschon aus Prag, zweimal und im Pensionsconcert; Frau Nottes aus Hannover; Frau Förster aus Berlin. Niemand wird behaupten, daß diese Damen die Normalleistungen der heutigen Gesangskunst- repräsentiren, — Frau Krebs-Michalesi allein darf für eine ausgebildete Sängerin gelten und leider ist > ihre schöne Stimme stark im Ab¬ nehmen — oder daß sie durch eigenthümliche Vorzüge rechtfertigten, warum sie und nicht andre dem Publicum vorgeführt wurden; offenbar hatte der Zufall und die Gelegenheit hauptsächlich entschieden, wer jedesmal die herkömmliche Lücke im Programm in herkömmlicher Weise ausfüllen solle, natürlich mit den beiden üblichen Arien, womöglich im ersten Theil Mozart oder Stradella und im zweiten Rossini oder Donizetti, oder noch lieber statt der zweiten Arie eine Hand voll Lieder. Mag man sich darüber nicht allzusehr wundern bei den Damen, die nun einmal vor allem darnach streben, zu gefallen und wol wissen mögen, daß sie dies mit kleinen Mitteln am schnellsten erreichen; aber daß ein durchgebildeter Künstler von Einsicht und Verständniß, wie Herr Götze, auch mit Liedern im Concert auftrat, das ist zu beklagen. Seine Stellung als Sänger und Gesanglehrer ist dem Publicum gegenüber eine solche, daß er modischen Schwächen nicht nachgeben, sondern entgegentreten sollte. Unter den Solosachen, welche vorgetragen wurden, zeichneten sich aus ein Concert für Violine und zwei Flöten mit Begleitung der Streichinstrumente von J.S.Bach, das allerdings gegen das, was vorherging und besonders die unmittelbar vorgestellte Arie von Rossini, wunderlich genug abstach, auch wol einem geringern Theil des Publicums willkommener sein mochte, als jene; von denen aber, welche mit ihren Interessen nicht allein die neue und neuste Musik verfolgen, mit aufrichtiger Freude aufgenommen wurde. Demnächst ckamen zwei neue Concerte von Nietz zur Aufführung, eins für die Violine, das andre für die Klarinette, beides große, breit angelegte Musikstücke in der althergebrachten Concertform, mehr für den Künstler, als für den Virtuosen und vor allem darauf berechnet, gute Musik zu geben. Wenn schon den Etüden, Phantasien, Pers6es und Morceaur gegenüber, in denen die Soloinstrumentalmustk sich so vielfach zu zersplittern pflegt, ein solcher fester un<d gewappneter Gang auf Anerkennung Anspruch hat, so zollt man diese um so lieber Werken, in welchen nicht allein guter Wille sich ausspricht, sondern eine vollkommene Sicherheit in der Form und Technik, sowie Leben und Geist in der Erfindung. Zu be¬ dauern war eS nur, daß diese Concerte, welche Sammlung und Aufmerksam¬ keit der Hörer verlangen, unter eine lange Reihe verschiedenartiger Com- positionen, wie sie ein erster Theil mit sich bringt, untergestellt waren, so daß man schon einigermaßen abgespannt war. Von hiesigen Solisten ließ sich Herr Concertmeister David dreimal hören; außer den schon angeführten Concerten von Bach (mit Herrn Grenser und

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341580_99385/296>, abgerufen am 27.05.2024.