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Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, I. Semester. II. Band.

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zu Zeit sich auch an die allgemeinen Principien erinnert, daß man an die
Zukunft denkt, für die man zwar nicht unmittelbar arbeiten, deren Gestalt
man aber durch Entschlüsse, in der Hitze des Augenblicks gefaßt, leicht gefähr¬
den kann. -- In dieser Beziehung schwebt nun Herr Schuselka in einem ver¬
hängnisvollen Irrthum, den ein großer Theil der östreichischen Patrioten zu
theilen scheint.

Herr Schuselka erklärt nämlich ganz unbefangen, die gegenwärtige preu¬
ßische Politik sei die Fortsetzung der kleindeutschen Politik von 1849. Einzelne
Ähnlichkeiten liegen nahe. Jetzt wie damals macht das preußische Cabinet
Opposition gegen Oestreich, jetzt wie damals sucht es einen Sonderbund der
mittlern und kleinen deutschen Fürsten hervorzurufen. Zudem ist das Ministerium
im Wesentlichen dasselbe. Allein damit dürfte auch die Aehnlichkeit aufhören.

Die kleindeutsche Politik des Ministeriums Manteuffel im Jahre 1849
war nicht eine eigne Erfindung, sondern eine Erbschaft der Weidenbuschpartei
in Frankfurt und Gotha. Solange der Wind mit dieser Partei ging, wurde
sie auch officiell anerkannt; als der Wind sich drehte, hatte die neupreußische
Partei das entscheidende Wort. Vom Januar 1849 bis zum December 1830
sehen wir die erste Partei von Tag zu Tag an Terrain verlieren, die zweite
gewinnen. Die llvncwm inen-icUes Politik war nur das Thermometer dieser
Luftveränderung. So ist es auch jetzt. Nicht die kleiudeutsche Partei gibt in
diesem Augenblick den Inhalt der officiellen Politik, sondern die ihr feindliche
Partei. Dieselbe Partei, welche in der Schlacht bei Bronzell im Herzen auf
östreichischer Seite stand, macht jetzt gegen Oestreich Front. Man darf diesen
Umstand nicht übersehen, wenn man sich von der preußischen Politik eine rich¬
tige Vorstellung machen will.

Nun bleibt freilich, abgesehen von aller Parteiung, in der Regierung eines
in seinen Grundvesten wohlgeordneten Staats immer noch ein Nest der tradi¬
tionellen, aus der Natur des Staates hergeleiteten Politik, die von dem augen¬
blicklichen Stand der Parteien unabhängig ist. Das Bestreben, die auseinan¬
dergerissenen Theile des preußischen Staates durch ein Bündniß mit den
Nachbarstaaten aneinanderzukitten, liegt zu sehr in der Natur der Sache,
als daß es nicht bei jeder Regierung auf irgendeine Weise wieder hervortreten
sollte. Selbst wenn das Ministerium den Herren v. Gerlach und Stahl über¬
tragen werden sollte, würden wir sie sehr bald durch die Nothwendigkeit in eine
verwandte Richtung getrieben sehen. Aber es kommt auf die Art und Weise,
es kommt auf den Zweck an, in dem man ein solches Bündniß sucht und hier
findet zwischen 1849 und 1850 ein vollkommener Gegensatz statt. Die leitende
Partei von 1849 wollte die kleinen Nachbarstaaten zu einem frischen deutschen
Leben emporziehen, die leitende Partei von 1833 will sie aus dem Strome des
erwachten deutschen Lebens herausreißen.


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zu Zeit sich auch an die allgemeinen Principien erinnert, daß man an die
Zukunft denkt, für die man zwar nicht unmittelbar arbeiten, deren Gestalt
man aber durch Entschlüsse, in der Hitze des Augenblicks gefaßt, leicht gefähr¬
den kann. — In dieser Beziehung schwebt nun Herr Schuselka in einem ver¬
hängnisvollen Irrthum, den ein großer Theil der östreichischen Patrioten zu
theilen scheint.

Herr Schuselka erklärt nämlich ganz unbefangen, die gegenwärtige preu¬
ßische Politik sei die Fortsetzung der kleindeutschen Politik von 1849. Einzelne
Ähnlichkeiten liegen nahe. Jetzt wie damals macht das preußische Cabinet
Opposition gegen Oestreich, jetzt wie damals sucht es einen Sonderbund der
mittlern und kleinen deutschen Fürsten hervorzurufen. Zudem ist das Ministerium
im Wesentlichen dasselbe. Allein damit dürfte auch die Aehnlichkeit aufhören.

Die kleindeutsche Politik des Ministeriums Manteuffel im Jahre 1849
war nicht eine eigne Erfindung, sondern eine Erbschaft der Weidenbuschpartei
in Frankfurt und Gotha. Solange der Wind mit dieser Partei ging, wurde
sie auch officiell anerkannt; als der Wind sich drehte, hatte die neupreußische
Partei das entscheidende Wort. Vom Januar 1849 bis zum December 1830
sehen wir die erste Partei von Tag zu Tag an Terrain verlieren, die zweite
gewinnen. Die llvncwm inen-icUes Politik war nur das Thermometer dieser
Luftveränderung. So ist es auch jetzt. Nicht die kleiudeutsche Partei gibt in
diesem Augenblick den Inhalt der officiellen Politik, sondern die ihr feindliche
Partei. Dieselbe Partei, welche in der Schlacht bei Bronzell im Herzen auf
östreichischer Seite stand, macht jetzt gegen Oestreich Front. Man darf diesen
Umstand nicht übersehen, wenn man sich von der preußischen Politik eine rich¬
tige Vorstellung machen will.

Nun bleibt freilich, abgesehen von aller Parteiung, in der Regierung eines
in seinen Grundvesten wohlgeordneten Staats immer noch ein Nest der tradi¬
tionellen, aus der Natur des Staates hergeleiteten Politik, die von dem augen¬
blicklichen Stand der Parteien unabhängig ist. Das Bestreben, die auseinan¬
dergerissenen Theile des preußischen Staates durch ein Bündniß mit den
Nachbarstaaten aneinanderzukitten, liegt zu sehr in der Natur der Sache,
als daß es nicht bei jeder Regierung auf irgendeine Weise wieder hervortreten
sollte. Selbst wenn das Ministerium den Herren v. Gerlach und Stahl über¬
tragen werden sollte, würden wir sie sehr bald durch die Nothwendigkeit in eine
verwandte Richtung getrieben sehen. Aber es kommt auf die Art und Weise,
es kommt auf den Zweck an, in dem man ein solches Bündniß sucht und hier
findet zwischen 1849 und 1850 ein vollkommener Gegensatz statt. Die leitende
Partei von 1849 wollte die kleinen Nachbarstaaten zu einem frischen deutschen
Leben emporziehen, die leitende Partei von 1833 will sie aus dem Strome des
erwachten deutschen Lebens herausreißen.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341580_99385/43>, abgerufen am 18.05.2024.