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Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, I. Semester. II. Band.

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ein Anhänger der Naturphilosophie und suchte sie nach seiner Rückkehr im
Sommer 1798 auch in seinem Vaterlande einzuführen. Durch ihn wurde auch
Steffens zuerst nach dieser Seite hin angeregt, Seine Ausflüge nach Deutsch¬
land dauerten fort, bis er sich im Jahre 1800 verheiratete. Mit mehren
Freunden betrieb er den Plan, gewissermaßen in einer Colonie das Ideal einer
vernünftigen und religiös gebildeten Gesellschaft herzustellen. Von diesem
Plane hat uns Steffens in seinem Roman: "die vier Norweger" einige An¬
deutungen gegeben; ein Buch, das überhaupt für die Kenntniß der Stim¬
mungen jener Zeit nicht unwichtig ist. Der Verkehr mit den Freunden in
Deutschland dauerte fort, gegen die mittelalterlichen Ideen derselben sprach er
sich mit Entschiedenheit aus. 18-10 schrieb er seine "Harmonie des Weltalls",
ganz im Sinne der Schellingschen Schule. Fichte, dem er das Werk zuschickte,
las es mit Interesse, obgleich er die Tendenz durchaus mißbilligen mußte.
181i wurde er Professor in Kiel, schrieb 1817 -- 22 eine Geschichte der Philo¬
sophie und starb 1833. Dies und die dürftigen Umrisse seines Lebens, die
uns sein Biograph mittheilt. Ungleich wichtiger ist der Nachtrag von Rist,
in dem uns von einem, aufrichtigen und hochgebildeten Mann die Stimmung
der Zeit, aus welcher die literarische Gährung zu Anfang des 18. Jahrhunderts
hervorging, auf das anschaulichste versinnlicht wird. --


Was ich erlebte; aus der Erinnerung niedergeschrieben von Heinrich
Steffens. Zehn Bde. 2. verbesserte Auflage. Breslau, Max. 1844. --

Wir haben bereits im 36. Heft des v. I. aus dieser Selbstbiographie,
soweit es unser Zweck erheischte, zahlreiche Mittheilungen gemacht; wir fuhren
sie hier noch einmal an, weil sie für jene kleinern Schriften gewissermaßen
den Abschluß bildet. Steffens hat bei der jüngern Generation vielfach den
größten Widerwillen erregt, und der Widerwille hat sich zum Theil auch auf diese
Schrift ausgedehnt. Man kann auch nicht leugnen, daß der alte Herr zu¬
weilen über Gebühr redselig ist, und daß eine größere Prägnanz dem
Werk äußerst vortheilhaft gewesen wäre. Trotzdem ist es doch für die Ge¬
schichte der Jahre 1799 -- 1819, soweit sie mit der Literatur zusammenhängt,
wir sprechen es ohne Bedenken aus, die wichtigste Quelle. Einmal kam Stef¬
fens als Fremder mitten in jene großartige Bewegung, und während diese
sich für die andern in kleine Einzelheiten zersplitterte, trat sie ihm mit der
imponirenden Gewalt einer glänzenden und in sich 'zusammenhängenden Er¬
scheinung gegenüber. Sodann war die rasche und geistreiche Empfänglick keit
seiner Phantasie, sowie die weibliche Bestimmbarkeit seines Charakters, die
ihn im Leben häusig auf Irrwege geführt hat, ganz dazu geeignet, die Be¬
wegungen unsrer Philosophie und Dichtkunst nicht blos mit dem Verstände,
sondern mit dem Gefühl aufzufassen. Endlich ist er durchaus ehrlich, soweit


ein Anhänger der Naturphilosophie und suchte sie nach seiner Rückkehr im
Sommer 1798 auch in seinem Vaterlande einzuführen. Durch ihn wurde auch
Steffens zuerst nach dieser Seite hin angeregt, Seine Ausflüge nach Deutsch¬
land dauerten fort, bis er sich im Jahre 1800 verheiratete. Mit mehren
Freunden betrieb er den Plan, gewissermaßen in einer Colonie das Ideal einer
vernünftigen und religiös gebildeten Gesellschaft herzustellen. Von diesem
Plane hat uns Steffens in seinem Roman: „die vier Norweger" einige An¬
deutungen gegeben; ein Buch, das überhaupt für die Kenntniß der Stim¬
mungen jener Zeit nicht unwichtig ist. Der Verkehr mit den Freunden in
Deutschland dauerte fort, gegen die mittelalterlichen Ideen derselben sprach er
sich mit Entschiedenheit aus. 18-10 schrieb er seine „Harmonie des Weltalls",
ganz im Sinne der Schellingschen Schule. Fichte, dem er das Werk zuschickte,
las es mit Interesse, obgleich er die Tendenz durchaus mißbilligen mußte.
181i wurde er Professor in Kiel, schrieb 1817 — 22 eine Geschichte der Philo¬
sophie und starb 1833. Dies und die dürftigen Umrisse seines Lebens, die
uns sein Biograph mittheilt. Ungleich wichtiger ist der Nachtrag von Rist,
in dem uns von einem, aufrichtigen und hochgebildeten Mann die Stimmung
der Zeit, aus welcher die literarische Gährung zu Anfang des 18. Jahrhunderts
hervorging, auf das anschaulichste versinnlicht wird. —


Was ich erlebte; aus der Erinnerung niedergeschrieben von Heinrich
Steffens. Zehn Bde. 2. verbesserte Auflage. Breslau, Max. 1844. —

Wir haben bereits im 36. Heft des v. I. aus dieser Selbstbiographie,
soweit es unser Zweck erheischte, zahlreiche Mittheilungen gemacht; wir fuhren
sie hier noch einmal an, weil sie für jene kleinern Schriften gewissermaßen
den Abschluß bildet. Steffens hat bei der jüngern Generation vielfach den
größten Widerwillen erregt, und der Widerwille hat sich zum Theil auch auf diese
Schrift ausgedehnt. Man kann auch nicht leugnen, daß der alte Herr zu¬
weilen über Gebühr redselig ist, und daß eine größere Prägnanz dem
Werk äußerst vortheilhaft gewesen wäre. Trotzdem ist es doch für die Ge¬
schichte der Jahre 1799 — 1819, soweit sie mit der Literatur zusammenhängt,
wir sprechen es ohne Bedenken aus, die wichtigste Quelle. Einmal kam Stef¬
fens als Fremder mitten in jene großartige Bewegung, und während diese
sich für die andern in kleine Einzelheiten zersplitterte, trat sie ihm mit der
imponirenden Gewalt einer glänzenden und in sich 'zusammenhängenden Er¬
scheinung gegenüber. Sodann war die rasche und geistreiche Empfänglick keit
seiner Phantasie, sowie die weibliche Bestimmbarkeit seines Charakters, die
ihn im Leben häusig auf Irrwege geführt hat, ganz dazu geeignet, die Be¬
wegungen unsrer Philosophie und Dichtkunst nicht blos mit dem Verstände,
sondern mit dem Gefühl aufzufassen. Endlich ist er durchaus ehrlich, soweit


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341580_99385/56>, abgerufen am 26.05.2024.