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Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, II. Semester. III. Band.

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wichtig. Er war hingekommen als entschiedener Anhänger der Gefühlsphilo¬
sophie , als Gegner Fichtes und der Romantik. Das Athenäum hatte sich
über den Mitarbeiter an der Metakritik sehr respectwidrig ausgesprochen, es
hatte ihn mit Lafontaine zusammengestellt. Als Anhang zum ersten Bande des
Titan ließ Jean Paul den C.ovis l'lÄitiana seu LeiK^ederiuna drucken, eine
Satire gegen den transscendentalen Idealismus, die wunderlich genug aus¬
sah, die auf alle Fälle dem größern Publicum noch weniger zugänglich war,
als Fichtes Schriften selbst. Nun kam er in Berlin im Kreise der geistreichen
Frauen mit den bedeutenden Männern, die jene Richtung vertraten, in un¬
mittelbare Berührung. Er lernte Fichte, Schleiermacher, A. W. Schlegel, Treck.
Bernhardt :c. persönlich kennen, und was das Wichtigste war, die Gegner der
Romantik, Merkel an ihrer Spitze, sielen auch über ihn her. So wurde das
Bündniß schnell geschlossen, Jean Paul trat als Vertheidiger der Romantik
eins, las den Jacob Böhme mit Eifer und die 1804 erschienene Vorschule der
Aesthetik, eine Sammlung seiner "Regelbücber" legt Zeugniß von dieser
Wendung ab. Doch war das Bündniß nur äußerlich.

Schleiermacher sowol als Schlegel hatten eine natürliche Abneigung gegen
den verwilderten Stil ihres neuen Freundes, und die Apotheose des eben ver¬
storbenen Herder am Schluß der Vorschule stellte das etwas laugewordcne Ver¬
hältniß zu den Gefühlsphilosophen wieder her.

Noch wichtiger wurde der Aufenthalt in Berlin für Jean Paul durch den
Abschluß seiner Liebesversuche. Er war der vornehmen Damen müde und ver¬
lobte sich im November 1800 mit Karoline Maier, einer hochgebildeten Beamten¬
tochter; er war bereits 38 Jahr alt. Da er in Berlin keine Anstellung fand,
so ging er im Juni -1801 nach Meiningen, von da nach Koburg, bis er sich
im Frühjahr 1803 in Baireuth ansiedelte. Die Poesie seines Lebens war vor¬
über. "Bisher hager, bleich und die Unruhe seiner Seele in einem hastigen
Wort, in dem suchenden Auge und der unsteten Bewegung ausdrückend, von
einem Fleck zum andern eilend, nirgend mit einem Entschluß und dem Gefühl
des Bleibens, selbst im Gespräch nicht verharrend, wölbte sich plötzlich seine
ganze Gestalt, es füllte und brannte sich sein Gesicht, er bekam ein äußerst,
robustes Ansetzn, und man konnte ihn von da an bis zu seinem Ende fast
dick nennen, auf eine Weise, daß seine frühern Freunde ihn kaum wiederzu¬
erkennen vermochten." Er wandte sich an verschiedene Fürsten um ein Jahr¬
gehalt, er fand es endlich 1809 bei dem Coadjutor von Dalberg. Sein wei¬
teres Leben hat für die Literaturgeschichte kein Interesse, er blieb der gefeierte
Dichter, wurde von Briefen und Reisenden heimgesucht und fuhr fort, an sich
und andern Erperimente zu machen. ,,Jeder, der ihm nahestand, geschweige
der an ihm herauswuchs, konnte das eigentliche und wahre Ziel seines Stre-
bens in nichts Anderem erblicken, als ein großer Dichter, Gelehrter und


wichtig. Er war hingekommen als entschiedener Anhänger der Gefühlsphilo¬
sophie , als Gegner Fichtes und der Romantik. Das Athenäum hatte sich
über den Mitarbeiter an der Metakritik sehr respectwidrig ausgesprochen, es
hatte ihn mit Lafontaine zusammengestellt. Als Anhang zum ersten Bande des
Titan ließ Jean Paul den C.ovis l'lÄitiana seu LeiK^ederiuna drucken, eine
Satire gegen den transscendentalen Idealismus, die wunderlich genug aus¬
sah, die auf alle Fälle dem größern Publicum noch weniger zugänglich war,
als Fichtes Schriften selbst. Nun kam er in Berlin im Kreise der geistreichen
Frauen mit den bedeutenden Männern, die jene Richtung vertraten, in un¬
mittelbare Berührung. Er lernte Fichte, Schleiermacher, A. W. Schlegel, Treck.
Bernhardt :c. persönlich kennen, und was das Wichtigste war, die Gegner der
Romantik, Merkel an ihrer Spitze, sielen auch über ihn her. So wurde das
Bündniß schnell geschlossen, Jean Paul trat als Vertheidiger der Romantik
eins, las den Jacob Böhme mit Eifer und die 1804 erschienene Vorschule der
Aesthetik, eine Sammlung seiner „Regelbücber" legt Zeugniß von dieser
Wendung ab. Doch war das Bündniß nur äußerlich.

Schleiermacher sowol als Schlegel hatten eine natürliche Abneigung gegen
den verwilderten Stil ihres neuen Freundes, und die Apotheose des eben ver¬
storbenen Herder am Schluß der Vorschule stellte das etwas laugewordcne Ver¬
hältniß zu den Gefühlsphilosophen wieder her.

Noch wichtiger wurde der Aufenthalt in Berlin für Jean Paul durch den
Abschluß seiner Liebesversuche. Er war der vornehmen Damen müde und ver¬
lobte sich im November 1800 mit Karoline Maier, einer hochgebildeten Beamten¬
tochter; er war bereits 38 Jahr alt. Da er in Berlin keine Anstellung fand,
so ging er im Juni -1801 nach Meiningen, von da nach Koburg, bis er sich
im Frühjahr 1803 in Baireuth ansiedelte. Die Poesie seines Lebens war vor¬
über. „Bisher hager, bleich und die Unruhe seiner Seele in einem hastigen
Wort, in dem suchenden Auge und der unsteten Bewegung ausdrückend, von
einem Fleck zum andern eilend, nirgend mit einem Entschluß und dem Gefühl
des Bleibens, selbst im Gespräch nicht verharrend, wölbte sich plötzlich seine
ganze Gestalt, es füllte und brannte sich sein Gesicht, er bekam ein äußerst,
robustes Ansetzn, und man konnte ihn von da an bis zu seinem Ende fast
dick nennen, auf eine Weise, daß seine frühern Freunde ihn kaum wiederzu¬
erkennen vermochten." Er wandte sich an verschiedene Fürsten um ein Jahr¬
gehalt, er fand es endlich 1809 bei dem Coadjutor von Dalberg. Sein wei¬
teres Leben hat für die Literaturgeschichte kein Interesse, er blieb der gefeierte
Dichter, wurde von Briefen und Reisenden heimgesucht und fuhr fort, an sich
und andern Erperimente zu machen. ,,Jeder, der ihm nahestand, geschweige
der an ihm herauswuchs, konnte das eigentliche und wahre Ziel seines Stre-
bens in nichts Anderem erblicken, als ein großer Dichter, Gelehrter und


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341580_99919/102>, abgerufen am 22.05.2024.