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Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, II. Semester. III. Band.

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wohnheiten. Ueber das Strafgesetz sprachen Thatsachen das Urtheil: die
Naubanfälle in der Lombardei mehrten sich und Mailand glich des Nachts
einer belagerten Stadt. In allen Gerichten waren der Vorsitz und die
höchsten Stellen Deutschen vorbehalten, die Criminalhöfe beider Apellations-
gerichte konnte man jederzeit blos aus Deutschen zusammensetzen. Gras Lasanski
äußerte: "Man müsse Italien germanistren" und die Spruchsatire nannte
den Deutschen unter den drei Pester, welche das Schicksal über daS Land
verhängt habe.

Polizeiwesen und Späherei herrschten im weitesten Umfang. Metternich
erklärte, "daß die hohe Polizei jetzt mit der Politik enge verbunden sei und sie
in gewisser Weise selbst beherrsche." Selbst gegen die höchsten Beamten ging
der spähende Verdacht soweit, daß bei dem Postdirector Böcking in Mailand 18i8
alle ihre Siegel vorgefunden wurden. Eine Instruktion für die geheime Polizei
aus dem Jahre 1826 schreibt bis ins Einzelnste die geheime Bewachung nicht
nur der öffentlichen Meinung und der geheimen Gesellschaften vor, sondern
auch der Censurbehörden, der amtlichen und häuslichen Aufführung der Be¬
amten, der Lehren, des Lebenswandels und der Bekanntschaften der Geist¬
lichen und Lehrer, des Geistes und Betragens des Militärs, der fremden Besuche,
des Reisenden, des Briefverkehrs der Grenzländer und endlich der eignen Ver¬
trauten. Die Polizei sollte der "väterlichen" Negierung alle Privatverhält¬
nisse verrathen; sie sollte dem Staat alles ersetzen, waS anderswo die öffent¬
liche Meinung, Rede und Schrift weit zuverlässiger und offen und ehrlich
leistet.

Dasselbe System wurde auf alle andern Landestheile, auf das verfassungs¬
begabte Ungarn wie auf die harmlosen deutschen Erdtaube übertragen. Jede
Politische Selbstständigkeit, jede geistige Bewegung wurde gehemmt und selbst
den Aufschwung der materiellen Interessen hielt das Regierungssystem in
seiner Folgerichtigkeit nieder. Bis 1840 herrschte in Oestreich vollendeter
Stillstand.

Die unbeschränkte Machtvollkommenheit der Krone und ihrer Diener über
alle Angelegenheiten der Unterthanen blieb Grundlage des ganzen Staats¬
gebäudes. Die Regierung nahm nicht nur Macht und Gewalt, sondern auch
die Einsicht für sich allein in Anspruch. Sie erließ nicht blos Gesetze und
allgemeine Verwaltungsvorschriften, sondern bestimmte auch die Ausführung
derselben für jeden einzelnen Fall, für unvorgesehene Fälle mußte die Weisung
in Wien eingeholt werden. Nach einer Methode sollten von Wien aus die so
verschiedenartigen Länder des Reiches regiert werden, die Landesbehörden hatten
keinen selbstständigen Einfluß. Dieser unnatürlichen Centralisation gegenüber
herrschte in Wien völlige Einheitslostgkeit in der obersten Verwaltung. Es
bestand kein erster Minister. Der Kaiser, der sich rühmte, einen brauchbaren


Grenzbotc". III. -18os. , 13

wohnheiten. Ueber das Strafgesetz sprachen Thatsachen das Urtheil: die
Naubanfälle in der Lombardei mehrten sich und Mailand glich des Nachts
einer belagerten Stadt. In allen Gerichten waren der Vorsitz und die
höchsten Stellen Deutschen vorbehalten, die Criminalhöfe beider Apellations-
gerichte konnte man jederzeit blos aus Deutschen zusammensetzen. Gras Lasanski
äußerte: „Man müsse Italien germanistren" und die Spruchsatire nannte
den Deutschen unter den drei Pester, welche das Schicksal über daS Land
verhängt habe.

Polizeiwesen und Späherei herrschten im weitesten Umfang. Metternich
erklärte, „daß die hohe Polizei jetzt mit der Politik enge verbunden sei und sie
in gewisser Weise selbst beherrsche." Selbst gegen die höchsten Beamten ging
der spähende Verdacht soweit, daß bei dem Postdirector Böcking in Mailand 18i8
alle ihre Siegel vorgefunden wurden. Eine Instruktion für die geheime Polizei
aus dem Jahre 1826 schreibt bis ins Einzelnste die geheime Bewachung nicht
nur der öffentlichen Meinung und der geheimen Gesellschaften vor, sondern
auch der Censurbehörden, der amtlichen und häuslichen Aufführung der Be¬
amten, der Lehren, des Lebenswandels und der Bekanntschaften der Geist¬
lichen und Lehrer, des Geistes und Betragens des Militärs, der fremden Besuche,
des Reisenden, des Briefverkehrs der Grenzländer und endlich der eignen Ver¬
trauten. Die Polizei sollte der „väterlichen" Negierung alle Privatverhält¬
nisse verrathen; sie sollte dem Staat alles ersetzen, waS anderswo die öffent¬
liche Meinung, Rede und Schrift weit zuverlässiger und offen und ehrlich
leistet.

Dasselbe System wurde auf alle andern Landestheile, auf das verfassungs¬
begabte Ungarn wie auf die harmlosen deutschen Erdtaube übertragen. Jede
Politische Selbstständigkeit, jede geistige Bewegung wurde gehemmt und selbst
den Aufschwung der materiellen Interessen hielt das Regierungssystem in
seiner Folgerichtigkeit nieder. Bis 1840 herrschte in Oestreich vollendeter
Stillstand.

Die unbeschränkte Machtvollkommenheit der Krone und ihrer Diener über
alle Angelegenheiten der Unterthanen blieb Grundlage des ganzen Staats¬
gebäudes. Die Regierung nahm nicht nur Macht und Gewalt, sondern auch
die Einsicht für sich allein in Anspruch. Sie erließ nicht blos Gesetze und
allgemeine Verwaltungsvorschriften, sondern bestimmte auch die Ausführung
derselben für jeden einzelnen Fall, für unvorgesehene Fälle mußte die Weisung
in Wien eingeholt werden. Nach einer Methode sollten von Wien aus die so
verschiedenartigen Länder des Reiches regiert werden, die Landesbehörden hatten
keinen selbstständigen Einfluß. Dieser unnatürlichen Centralisation gegenüber
herrschte in Wien völlige Einheitslostgkeit in der obersten Verwaltung. Es
bestand kein erster Minister. Der Kaiser, der sich rühmte, einen brauchbaren


Grenzbotc». III. -18os. , 13
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341580_99919/105>, abgerufen am 03.06.2024.