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Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, II. Semester. III. Band.

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der kleinen Handelsflotte fehlte der Schutz einer Kriegsflotte. 18-14 übernahm
die Pforte vertragsmäßig die Sicherstellung der östreichischen Handelsschiffe ge¬
gen die Barbaresken. Die acht Kriegsschiffe und sieben Fregatten, welche
Oestreich im Jahre -18-16 in Venedig vorfand, ließ es verfallen; es hatte
England die Zusicherung geben müssen, keine großen Schiffe auf dem asiati¬
schen Meere zu halten.

Noch schlimmer lag der Landbau darnieder. Für Befreiung und Beweg¬
lichkeit des Grundeigenthums geschah nichts; Grundeigenthum konnte nicht von
Juden, die landschaftlichen Güter in den deutschen Landen konnte nur vom Adel
und vom Bürgerstand der landtagfähigen Städte erworben werden. Das Unter¬
thanenverhältniß der Gutsbauern, die feudalen Dienstbarkeiten, Roboten und
Zehnten verblieben. Noch in den vierziger Jahren wurde das Anerbieten
der Grundherrn zur Auseinandersetzung der bäuerlichen Verhältnisse zurück¬
gewiesen, bis die galizischen Ereignisse eintraten. Oestreich, das Europa mit
einem großen Theil seiner Kornbcdürfnisse versehen konnte, erzeugte nicht ein¬
mal seinen eignen Bedarf. In diesem Lande reichlicher Weiden betrug der
Ueberschuß der Vieheinfuhr über die Ausfuhr fast zwei Millionen. Mit Aus¬
nahme der gesegneten Lombardei brachte die Bodenfläche im Reiche kaum den
dritten Theil dessen, was sie liefern konnte. Es fehlte an jeder staatlichen
Forderung. Dazu kam, daß der Landwirth ein hohe directe und zu Gunsten
der Industrie eine nicht minder hohe indirecte Steuer zahlte, abgesehen von
denjenigen indirecten Steuern, welche Bettel, Klöster, Küchenlurus, unmäßige
Feier- und Wallfahrtstage verursachten. In Niederöstreich verschlang die
Schuldenlast das bäuerliche Grundeigenthum zu ^, in dem salzburger
Flachlande zur Hälfte, im Gebirgslande ganz. Dabei hielt der Staat seine
lästigen und schädlichen Salz- und Tabaksmonopole aufrecht, Ungarn blieb
von der Theilnahme an den Staatslasten zum Nachtheil des Reichsgan¬
zen erimirt, während die italienischen Provinzen, nach der Oberfläche ^g, nach
der Bevölkerung ^ des Reiches, über Vs der gesammten Grundsteuer bezahl¬
ten; die Metternichsche Kanzlei behauptete zwar, "die Lombardei könne mit dem
Golde gepflastert werden, das sie seit 30 Jahren erhielt," aber die Italiener
berechneten aus amtlichen Quellen, daß von den 78 bis 79 Millionen Lire lom-
bardischer Einkünfte Oestreich nur j3 Millionen auf das Land und seine Ver¬
waltung verwendet hat, daß der Lombardei 33, den italienischen Provinzen zu¬
sammen mit dem Zuschlag der verhältnißmäßigen venetianischen Ueberschüsse 37
bis 38 Millionen Lire jährlich entzogen wurden.

Das waren die Zustände in dem Musterstaate contrerevolutionärer Theorie.
Die Regierenden machten ausschließlich den Staat aus und deuteten ihn zu
ihrem Vortheil aus. Erst als seit dem Thronwechsel von -1840 in Preußen
ein neuer Lebenstrieb sich regte, trieb die nationale Eifersucht auch in Oestreich


der kleinen Handelsflotte fehlte der Schutz einer Kriegsflotte. 18-14 übernahm
die Pforte vertragsmäßig die Sicherstellung der östreichischen Handelsschiffe ge¬
gen die Barbaresken. Die acht Kriegsschiffe und sieben Fregatten, welche
Oestreich im Jahre -18-16 in Venedig vorfand, ließ es verfallen; es hatte
England die Zusicherung geben müssen, keine großen Schiffe auf dem asiati¬
schen Meere zu halten.

Noch schlimmer lag der Landbau darnieder. Für Befreiung und Beweg¬
lichkeit des Grundeigenthums geschah nichts; Grundeigenthum konnte nicht von
Juden, die landschaftlichen Güter in den deutschen Landen konnte nur vom Adel
und vom Bürgerstand der landtagfähigen Städte erworben werden. Das Unter¬
thanenverhältniß der Gutsbauern, die feudalen Dienstbarkeiten, Roboten und
Zehnten verblieben. Noch in den vierziger Jahren wurde das Anerbieten
der Grundherrn zur Auseinandersetzung der bäuerlichen Verhältnisse zurück¬
gewiesen, bis die galizischen Ereignisse eintraten. Oestreich, das Europa mit
einem großen Theil seiner Kornbcdürfnisse versehen konnte, erzeugte nicht ein¬
mal seinen eignen Bedarf. In diesem Lande reichlicher Weiden betrug der
Ueberschuß der Vieheinfuhr über die Ausfuhr fast zwei Millionen. Mit Aus¬
nahme der gesegneten Lombardei brachte die Bodenfläche im Reiche kaum den
dritten Theil dessen, was sie liefern konnte. Es fehlte an jeder staatlichen
Forderung. Dazu kam, daß der Landwirth ein hohe directe und zu Gunsten
der Industrie eine nicht minder hohe indirecte Steuer zahlte, abgesehen von
denjenigen indirecten Steuern, welche Bettel, Klöster, Küchenlurus, unmäßige
Feier- und Wallfahrtstage verursachten. In Niederöstreich verschlang die
Schuldenlast das bäuerliche Grundeigenthum zu ^, in dem salzburger
Flachlande zur Hälfte, im Gebirgslande ganz. Dabei hielt der Staat seine
lästigen und schädlichen Salz- und Tabaksmonopole aufrecht, Ungarn blieb
von der Theilnahme an den Staatslasten zum Nachtheil des Reichsgan¬
zen erimirt, während die italienischen Provinzen, nach der Oberfläche ^g, nach
der Bevölkerung ^ des Reiches, über Vs der gesammten Grundsteuer bezahl¬
ten; die Metternichsche Kanzlei behauptete zwar, „die Lombardei könne mit dem
Golde gepflastert werden, das sie seit 30 Jahren erhielt," aber die Italiener
berechneten aus amtlichen Quellen, daß von den 78 bis 79 Millionen Lire lom-
bardischer Einkünfte Oestreich nur j3 Millionen auf das Land und seine Ver¬
waltung verwendet hat, daß der Lombardei 33, den italienischen Provinzen zu¬
sammen mit dem Zuschlag der verhältnißmäßigen venetianischen Ueberschüsse 37
bis 38 Millionen Lire jährlich entzogen wurden.

Das waren die Zustände in dem Musterstaate contrerevolutionärer Theorie.
Die Regierenden machten ausschließlich den Staat aus und deuteten ihn zu
ihrem Vortheil aus. Erst als seit dem Thronwechsel von -1840 in Preußen
ein neuer Lebenstrieb sich regte, trieb die nationale Eifersucht auch in Oestreich


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[0109] der kleinen Handelsflotte fehlte der Schutz einer Kriegsflotte. 18-14 übernahm die Pforte vertragsmäßig die Sicherstellung der östreichischen Handelsschiffe ge¬ gen die Barbaresken. Die acht Kriegsschiffe und sieben Fregatten, welche Oestreich im Jahre -18-16 in Venedig vorfand, ließ es verfallen; es hatte England die Zusicherung geben müssen, keine großen Schiffe auf dem asiati¬ schen Meere zu halten. Noch schlimmer lag der Landbau darnieder. Für Befreiung und Beweg¬ lichkeit des Grundeigenthums geschah nichts; Grundeigenthum konnte nicht von Juden, die landschaftlichen Güter in den deutschen Landen konnte nur vom Adel und vom Bürgerstand der landtagfähigen Städte erworben werden. Das Unter¬ thanenverhältniß der Gutsbauern, die feudalen Dienstbarkeiten, Roboten und Zehnten verblieben. Noch in den vierziger Jahren wurde das Anerbieten der Grundherrn zur Auseinandersetzung der bäuerlichen Verhältnisse zurück¬ gewiesen, bis die galizischen Ereignisse eintraten. Oestreich, das Europa mit einem großen Theil seiner Kornbcdürfnisse versehen konnte, erzeugte nicht ein¬ mal seinen eignen Bedarf. In diesem Lande reichlicher Weiden betrug der Ueberschuß der Vieheinfuhr über die Ausfuhr fast zwei Millionen. Mit Aus¬ nahme der gesegneten Lombardei brachte die Bodenfläche im Reiche kaum den dritten Theil dessen, was sie liefern konnte. Es fehlte an jeder staatlichen Forderung. Dazu kam, daß der Landwirth ein hohe directe und zu Gunsten der Industrie eine nicht minder hohe indirecte Steuer zahlte, abgesehen von denjenigen indirecten Steuern, welche Bettel, Klöster, Küchenlurus, unmäßige Feier- und Wallfahrtstage verursachten. In Niederöstreich verschlang die Schuldenlast das bäuerliche Grundeigenthum zu ^, in dem salzburger Flachlande zur Hälfte, im Gebirgslande ganz. Dabei hielt der Staat seine lästigen und schädlichen Salz- und Tabaksmonopole aufrecht, Ungarn blieb von der Theilnahme an den Staatslasten zum Nachtheil des Reichsgan¬ zen erimirt, während die italienischen Provinzen, nach der Oberfläche ^g, nach der Bevölkerung ^ des Reiches, über Vs der gesammten Grundsteuer bezahl¬ ten; die Metternichsche Kanzlei behauptete zwar, „die Lombardei könne mit dem Golde gepflastert werden, das sie seit 30 Jahren erhielt," aber die Italiener berechneten aus amtlichen Quellen, daß von den 78 bis 79 Millionen Lire lom- bardischer Einkünfte Oestreich nur j3 Millionen auf das Land und seine Ver¬ waltung verwendet hat, daß der Lombardei 33, den italienischen Provinzen zu¬ sammen mit dem Zuschlag der verhältnißmäßigen venetianischen Ueberschüsse 37 bis 38 Millionen Lire jährlich entzogen wurden. Das waren die Zustände in dem Musterstaate contrerevolutionärer Theorie. Die Regierenden machten ausschließlich den Staat aus und deuteten ihn zu ihrem Vortheil aus. Erst als seit dem Thronwechsel von -1840 in Preußen ein neuer Lebenstrieb sich regte, trieb die nationale Eifersucht auch in Oestreich

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341580_99919/109>, abgerufen am 16.05.2024.