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Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, II. Semester. III. Band.

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teristisch für den damaligen Geist der höhern Befehlshaber des preußischen
Heeres, für baaren Unsinn erklärte und das er nicht ohne Mühe ausführen
konnte. In Göttingen, wo Professoren und Studenten in dem jungen Offi¬
zier blos einen Raufbold zu finden erwarteten, widmete er sich mit Eifer dem
Studium und hatte während seines ganzen Aufenthaltes kein einziges Duell.

Die Briefe, in denen Ledebur seine Erlebnisse einem Freunde, dem Grafen
zur Lippe auf Baruth mittheilt, versetzen uns gleich auf daS Schlachtfeld
von Auerjrädt, wo der junge Offizier einen Zug des Regiments Borstell, als
Flankeurs vorgeschickt, befehligt. In dieser Stellung war er ziemlich selbstständig,
denn die alten Herren hatten zu viel mit sich selbst zu thun", um sich um ihn zu
bekümmern und er hieb sich auf eigne Faust wacker mit der französischen Ca-
valerie herum. Als er sich später dem Regimente wieder anschloß, war dieses
durch einen mißlungenen Angriff etwas in Unordnung gerathen, doch keineswegs
entmuthigt. Aber es fehlte an einem Offizier, der es gegen den Feind, welcher
sichtlich vor der preußischen Cavalerie Respect hatte, führen konnte. Der Ge¬
neral war bei jenem mißlungenen Angriff an der Spitze des Regiments verwun¬
det worden, "der Commandeur Oberst Ki., aber nicht zu finden. Oberst K.......,
in der peinlichsten Verlegenheit über das, was zu thun sei, ritt hin und her,
fragte diesen und jenen und saßte auf Zureden wol einmal ein Herz, um
Marsch! Vorwärts! zu commandiren, aber mit einer solchen Unsicherheit, daß
man gleich merkte, wie es ihm kein rechter Ernst war und niemand sich des¬
halb berufen fühlte, Folge zu leisten, während Major M .... seine Unfähig¬
keit unter erkünstelten ironischen Lächeln zu verbergen suchte und that, als wisse er
wohl, was geschehen müsse, wenn er nur dürfe! Major sah... hatte den besten
redlichsten Willen und empfand den tiefsten Schmerz über diese Zustände, wagte es
"der nicht, seine untergeordnete Autorität hier geltend zu machen. Daß die
Befehle zu dem, was geschehen sollte, von oben kommen müßten, diente allen
zum Vorwande, bis dahin sich ruhig zu verhalten -- von oben aber erfolgten
keine Befehle." Das unthätige Stillstehen im Kanonenseuer und die sicht¬
liche Unfähigkeit und Unentschlossenheit der Obern konnten das Regiment nur
entmuthigen, zumal da es, schon von Haus aus schlecht beritten, die Pferde kaum
von der Stelle bringen konnte. Ihm gegenüber hielt ein französisches Reiter¬
regiment, das einen Angriff der Preußen zu fürchten schien, als diese aber keine
Anstalt machten, endlich selbst antrabte, woraus die Angegriffenen Kehrt machten
und vom Schlachtfeld verschwanden! Nur einzelne blieben zurück, die nun Ledebur
Zu sammeln suchte, um sich der noch im Gefecht befindlichen Reiterei irgendwo
anzuschließen. Damit noch beschäftigt, fand er einen Schwerverwundeten Kameraden
und Freund auf dem Schlachtfelde liegen, den er zu retten versuchte. Erstieg
vom Pferde, um ihn mit Hilfe zweier anderer unberittenen Cavaleristen fortzu¬
tragen, mußte aber davon ablassen, da der Schwerverwundete zu schwach war.


Grenzboten. III. ->8os. 23

teristisch für den damaligen Geist der höhern Befehlshaber des preußischen
Heeres, für baaren Unsinn erklärte und das er nicht ohne Mühe ausführen
konnte. In Göttingen, wo Professoren und Studenten in dem jungen Offi¬
zier blos einen Raufbold zu finden erwarteten, widmete er sich mit Eifer dem
Studium und hatte während seines ganzen Aufenthaltes kein einziges Duell.

Die Briefe, in denen Ledebur seine Erlebnisse einem Freunde, dem Grafen
zur Lippe auf Baruth mittheilt, versetzen uns gleich auf daS Schlachtfeld
von Auerjrädt, wo der junge Offizier einen Zug des Regiments Borstell, als
Flankeurs vorgeschickt, befehligt. In dieser Stellung war er ziemlich selbstständig,
denn die alten Herren hatten zu viel mit sich selbst zu thun", um sich um ihn zu
bekümmern und er hieb sich auf eigne Faust wacker mit der französischen Ca-
valerie herum. Als er sich später dem Regimente wieder anschloß, war dieses
durch einen mißlungenen Angriff etwas in Unordnung gerathen, doch keineswegs
entmuthigt. Aber es fehlte an einem Offizier, der es gegen den Feind, welcher
sichtlich vor der preußischen Cavalerie Respect hatte, führen konnte. Der Ge¬
neral war bei jenem mißlungenen Angriff an der Spitze des Regiments verwun¬
det worden, „der Commandeur Oberst Ki., aber nicht zu finden. Oberst K.......,
in der peinlichsten Verlegenheit über das, was zu thun sei, ritt hin und her,
fragte diesen und jenen und saßte auf Zureden wol einmal ein Herz, um
Marsch! Vorwärts! zu commandiren, aber mit einer solchen Unsicherheit, daß
man gleich merkte, wie es ihm kein rechter Ernst war und niemand sich des¬
halb berufen fühlte, Folge zu leisten, während Major M .... seine Unfähig¬
keit unter erkünstelten ironischen Lächeln zu verbergen suchte und that, als wisse er
wohl, was geschehen müsse, wenn er nur dürfe! Major sah... hatte den besten
redlichsten Willen und empfand den tiefsten Schmerz über diese Zustände, wagte es
»der nicht, seine untergeordnete Autorität hier geltend zu machen. Daß die
Befehle zu dem, was geschehen sollte, von oben kommen müßten, diente allen
zum Vorwande, bis dahin sich ruhig zu verhalten — von oben aber erfolgten
keine Befehle." Das unthätige Stillstehen im Kanonenseuer und die sicht¬
liche Unfähigkeit und Unentschlossenheit der Obern konnten das Regiment nur
entmuthigen, zumal da es, schon von Haus aus schlecht beritten, die Pferde kaum
von der Stelle bringen konnte. Ihm gegenüber hielt ein französisches Reiter¬
regiment, das einen Angriff der Preußen zu fürchten schien, als diese aber keine
Anstalt machten, endlich selbst antrabte, woraus die Angegriffenen Kehrt machten
und vom Schlachtfeld verschwanden! Nur einzelne blieben zurück, die nun Ledebur
Zu sammeln suchte, um sich der noch im Gefecht befindlichen Reiterei irgendwo
anzuschließen. Damit noch beschäftigt, fand er einen Schwerverwundeten Kameraden
und Freund auf dem Schlachtfelde liegen, den er zu retten versuchte. Erstieg
vom Pferde, um ihn mit Hilfe zweier anderer unberittenen Cavaleristen fortzu¬
tragen, mußte aber davon ablassen, da der Schwerverwundete zu schwach war.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341580_99919/185>, abgerufen am 16.06.2024.