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Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, II. Semester. III. Band.

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schon einen merkbaren Einfluß auf die Maßnahmen des französischen Generalissimus
ausgeübt hat. Am Schlüsse des vorigen Monats waren es zwei Unternehmungen,
die bestimmt schienen, zu einer neuen Phase von Kriegführung überzuführen, und
eine dritte" war in der Vorbereitung begriffen; man wollte einerseits ein starkes
Armeecorps auf dem Plateau der Farm Makenzie festen Fuß fassen lassen, anderer¬
seits den Malakowthurm unter allen Umständen nehmen und somit den Fall der
Karabelnaja vorbereiten -- endlich hatte man in Absicht eine neue maritime Expe¬
dition zu unternehmen, deren Bestimmung muthmaßlich das Sumpfmeer sein mochte,
und mittelst welcher man möglicherweise hoffen durste, auf die russischen Verbin¬
dungen, die in Perekop wie in einem engen Hals zusammenlaufen, einzuwirken.
^ Alle diese Pläne scheinen auf der Annahme gefußt zu haben: die Russen
würden durch etwa die Hülste der verbündeten Streitkräfte vor Sebastopol im
Zaum gehalten werden können, und man vermöge die andere Hälfte mit freier
Ungebundenheit zu verwenden. Nachdem man die Verstärkung des Feindes um
etwa 40,000 Mann erfahren hatte, mußte man auf sie Verzicht leisten, weil die
Voraussetzung, der sie ihr Dasein verdankten, nicht mehr existirte. Nicht nur Bes¬
auet wurde zurückberufen, um bei Jnkerman Stellung zu nehmen, sondern man
ging in Betreff des Angriffs gegen den Malakowthurm vou der brüsten Form des
unvorbereiteter Sturmes zu einer äußerst langsamen und methodischen über. Was
die maritime Unternehmung angeht, so scheint sie entweder ganz ausgegeben worden
zu sein, oder nur im reducirten Maßstab zur Ausführung zu kommen.

Was nunmehr zu erwarten steht, ist eine Operationsepoche, die möglicher¬
weise bis zum Schluß des nächsten Monats reichen dürfte und in welcher die Ver¬
bündeten sich wieder von außen/ d. h. von jenseits der Tschernaja her, enger gebun¬
den befinden werden. Weder zu einem Schlage gegen die russische Feldarmee noch
zu einer ins Gewicht fallenden maritimen Expedition wird General Pelisfier in
diesem Zeiträume ausreichende Kreiste haben. Aber es ist nichtsdestoweniger mög¬
lich, daß seine Energie endlich aus dem Punkte, dem er jetzt seine Hauptaustrengnng
zuwendet, nämlich gegenüber dem Malakowthurme und dem Stadttheil der Kara¬
belnaja triumphirt.

Wie es scheint will man in Paris immer erst durch die allerdringendstcn
Umstände zur Nachsendung von bedeutenden Massen gezwungen sein. Nachdem man
den ganzen Monat Juni hat verstreichen lassen, ohne einen neuen Heertheil nach
dem Orient zu senden, wird die Rückkehr der russischen Feldarmee zur offensiven
Vertheidigung es zu Wege bringen, daß man ein viertes Corps endlich abgehen
läßt. Dieses wird im September an Ort und Stelle sein, und es kann die Dinge
bis zum Winter balanciren. Was dann werden wird, das entzieht sich aller
menschlichen Voraussicht.




Herausgegeben von Gustav Freytag und Julian Schmidt.
Als verantwort!. Redacteur legittmirt: Fi W. Grunow. -- Verlag von L. F. Herbig
in Leipzig.
Druck von C. E. Elbert in Leipzig.

schon einen merkbaren Einfluß auf die Maßnahmen des französischen Generalissimus
ausgeübt hat. Am Schlüsse des vorigen Monats waren es zwei Unternehmungen,
die bestimmt schienen, zu einer neuen Phase von Kriegführung überzuführen, und
eine dritte" war in der Vorbereitung begriffen; man wollte einerseits ein starkes
Armeecorps auf dem Plateau der Farm Makenzie festen Fuß fassen lassen, anderer¬
seits den Malakowthurm unter allen Umständen nehmen und somit den Fall der
Karabelnaja vorbereiten — endlich hatte man in Absicht eine neue maritime Expe¬
dition zu unternehmen, deren Bestimmung muthmaßlich das Sumpfmeer sein mochte,
und mittelst welcher man möglicherweise hoffen durste, auf die russischen Verbin¬
dungen, die in Perekop wie in einem engen Hals zusammenlaufen, einzuwirken.
^ Alle diese Pläne scheinen auf der Annahme gefußt zu haben: die Russen
würden durch etwa die Hülste der verbündeten Streitkräfte vor Sebastopol im
Zaum gehalten werden können, und man vermöge die andere Hälfte mit freier
Ungebundenheit zu verwenden. Nachdem man die Verstärkung des Feindes um
etwa 40,000 Mann erfahren hatte, mußte man auf sie Verzicht leisten, weil die
Voraussetzung, der sie ihr Dasein verdankten, nicht mehr existirte. Nicht nur Bes¬
auet wurde zurückberufen, um bei Jnkerman Stellung zu nehmen, sondern man
ging in Betreff des Angriffs gegen den Malakowthurm vou der brüsten Form des
unvorbereiteter Sturmes zu einer äußerst langsamen und methodischen über. Was
die maritime Unternehmung angeht, so scheint sie entweder ganz ausgegeben worden
zu sein, oder nur im reducirten Maßstab zur Ausführung zu kommen.

Was nunmehr zu erwarten steht, ist eine Operationsepoche, die möglicher¬
weise bis zum Schluß des nächsten Monats reichen dürfte und in welcher die Ver¬
bündeten sich wieder von außen/ d. h. von jenseits der Tschernaja her, enger gebun¬
den befinden werden. Weder zu einem Schlage gegen die russische Feldarmee noch
zu einer ins Gewicht fallenden maritimen Expedition wird General Pelisfier in
diesem Zeiträume ausreichende Kreiste haben. Aber es ist nichtsdestoweniger mög¬
lich, daß seine Energie endlich aus dem Punkte, dem er jetzt seine Hauptaustrengnng
zuwendet, nämlich gegenüber dem Malakowthurme und dem Stadttheil der Kara¬
belnaja triumphirt.

Wie es scheint will man in Paris immer erst durch die allerdringendstcn
Umstände zur Nachsendung von bedeutenden Massen gezwungen sein. Nachdem man
den ganzen Monat Juni hat verstreichen lassen, ohne einen neuen Heertheil nach
dem Orient zu senden, wird die Rückkehr der russischen Feldarmee zur offensiven
Vertheidigung es zu Wege bringen, daß man ein viertes Corps endlich abgehen
läßt. Dieses wird im September an Ort und Stelle sein, und es kann die Dinge
bis zum Winter balanciren. Was dann werden wird, das entzieht sich aller
menschlichen Voraussicht.




Herausgegeben von Gustav Freytag und Julian Schmidt.
Als verantwort!. Redacteur legittmirt: Fi W. Grunow. — Verlag von L. F. Herbig
in Leipzig.
Druck von C. E. Elbert in Leipzig.
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341580_99919/208>, abgerufen am 16.05.2024.